Marcus Stiglegger kann mit Fug und Recht zu den bekanntesten Filmwissenschaftlern im deutschsprachigen Raum gezählt werden. Sammlern dürfte der Publizist vor allem aufgrund seiner unzähligen Booklet-Texte (von KING OF NEW YORK bis zu SUSPIRIA) und Audiokommentare für Mediabooks und Sondereditionen ein Begriff sein. Stiglegger ist aber vor allem auch ein sehr umtriebiger Autor, der in regelmäßigen Abständen Herausgeberbände (etwa zu Dario Argento und David Cronenberg) und eigene Veröffentlichungen zum Thema Film auf den Markt bringt.
GRENZKONTAKTE - EXKURSIONEN INS ABSEITS DER FILMGESCHICHTE, Ende 2016 als Taschenbuch im Martin Schmitz Verlag erschienen, gehört dabei zu seinen unterhaltsamsten Werken, pendelt die Veröffentlichung doch stets zwischen sehr persönlichen und wissenschaftlichen Abschnitten. Mit dieser kurzweiligen Mixtur ist das 240 Seiten umfassende Buch somit gleich für mehrere Zielgruppen empfehlenswert.
In insgesamt 22 Kapitel (inklusive Vorwort und abschließendem Gespräch mit Kai Naumann) widmet sich Stiglegger verschiedenen Filmen, Genres und Regisseuren aus dem "Abseits der Filmgeschichte". Inwiefern man hier die Einordnung der jeweiligen Werke und Filmemacher in die Abseits-Kategorie teilt, muss jeder Leser selbst entscheiden. So oder so: Verkannt, berüchtigt, missverstanden oder von Publikum und Kritik an den Rand der Filmkultur gedrängt sind die meisten der thematisierten Werke definitiv. Dennoch stehen nicht nur (aber auch) die großen und kleinen Skandal- und Nischenfilme im Vordergrund. Dies belegen die Kapitel in denen der Autor den Schwerpunkt auf vergleichsweise anerkannte Filmemacher legt (z.B. Michael Mann, Abel Ferrara oder Takeshi Kitano).
GRENZKONTAKTE - EXKURSIONEN INS ABSEITS DER FILMGESCHICHTE gibt Einblicke und Ableitungen zu Filmen "die sich schlicht ereignen" (Backcovertext). Stiglegger gelingt es dabei hervorragend die Energie, das Besondere und das, was unter der Oberfläche schlummert, für den Leser greifbar zu machen. Das diesbezüglich immer wieder persönliche Anekdoten auftauchen, besonders dominant im Text zum berühmt-berüchtigten 70er-Jahre Western DAS WIEGELIED VOM TOTSCHLAG, macht die Kapitel nicht nur sehr kurzweilig, sondern zeigt auch stets Einsichten in den glühenden Filmfan, der Stiglegger nun mal nach wie vor ist.
Die Länge der Texte ist gleichzeitig Vor- und Nachteil. Während einige Abschnitte über zehn Seiten umfassen, sind andere Texte sehr kurz (z.B. das Kapitel zum Berlin-Film ANGEL EXPRESS). Auch wenn Stiglegger bei diesen sehr kurzen Kapiteln ebenfalls interessante Perspektiven zu Ästhetik, filmhistorischer Relevanz oder allgemeiner Lesart zu Tage fördert, wirken diese doch mehr wie verschriftlichte, lediglich angerissene und nicht in die Tiefe gehende Gedankengänge und weniger wie echte publizistische Auseinandersetzungen. Nichtsdestotrotz sind diese Abschnitte ein lohnenswertes Zwischenspiel im Kontext ausführlicher, sehr tiefschürfender Kapitel (man denke an den Text zum japanischen Ausnahmeregisseur/Autor Ryu Murakami).
Die Erkundungsreise, die GRENZKONTAKTE - EXKURSIONEN INS ABSEITS DER FILMGESCHICHTE unternimmt, ist somit nie langweilig und bleibt stets abwechslungsreich. Zwischen ausführlichen Einordnungen, knappen Anmerkungen und persönlichen Gedankengänge dominiert nach der Lektüre der Mehrheit der Texte vor allem das Bedürfnis diese filmischen "Grenzkontakte" einmal selbst aufzunehmen und die jeweiligen Werke (neu bzw. wieder) zu entdecken. Für Kenner der wissenschaftlichen Fachbeiträge des Autors sowieso lohnenswert, empfiehlt sich die Textsammlung auch für diejenigen die Stiglegger eher als Kolumnist (für die Filmzeitschrift Deadline) und fleißigen Booklet-Schreiber schätzen und ein wenig mehr in die Gedankenwelt und das breit gefächerte interdisziplinäre Fachwissen des Autors eintauchen möchten.
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