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Wird auf einem Bucheinband die Gestalterin vor dem Autoren genannt, so ist man versucht, in diesen Umstand etwas hineinzulesen. Im Fall von DRACULA - MYTHEN UND WAHRHEITEN liest man dabei ganz richtig, ohne dass das per se schlecht sein müsste: Das Buch, gestaltet von Christine Klell, ist ein schönes Buch. Der Einband ist wertig, die Seiten sind glänzend und schwer. Es hat Diagramme, Sternbilder, Collagen von Modernem und Klassischen, sogar einen Mal- und Bastelteil. Es macht Spaß, darin zu blättern. Aber wie passt das alles zusammen? Darauf weiß der Text leider keine Antwort.
Ein "Handbuch der Vampire" ist im Untertitel versprochen. Was man stattdessen bekommt, ist eine sehr willkürliche Stoffsammlung zwischen bemühtem Witz und halben Ernst. Die Eigenleistung von Autor Reinhard Deutsch liegt hier weniger im Verfassen, eher im Horten und (meist unkommentierten) Publizieren von Beiträgen unterschiedlicher Art (Prosa, Poesie, Essays, Internet-Fundstücke) und Qualität. Die Zusammenhänge zum Thema sind oft Interpretationssache, aber man ist sich zwischen Ober- und Untertitel eh nicht sicher, was überhaupt das Thema ist: Geht es jetzt speziell um Dracula, oder doch um Vampire im Allgemeinen? Wohl letzteres. Der Graf taucht immer wieder auf, aber lange bleibt er nie. Zwar wird die Handlung von Bram Stokers Roman minutiös nacherzählt, aber darauf folgt kaum eine halbe Seite Analyse, wenn man sie überhaupt so nennen möchte. Die Feststellung, dass der Reiz jenes Buches darin liege, "dass die pseudomythologischen Grundregeln vom Leser akzeptiert werden müssen, damit die innere Logik der Handlung sich entfalten kann", kann man zwar so unterschreiben. Andererseits: Ist das nicht bei jeder fantastischen Erzählung so? Schwammigkeit und Willkür auch da, wo es um den filmischen Dracula geht. In kurzen Porträts werden Bela Lugosi, Christopher Lee und Klaus Kinski vorgestellt, nicht ohne bei letzterem darauf hinzuweisen, dass seine Leistung an die Max Schrecks in derselben Rolle nicht heranreiche. Warum hat man dann nicht gleich Schreck statt Kinski porträtiert?
Nicht die einzige konzeptionelle Frage, die man still in sich hinein stellt. Seiten über Seiten im Filmkapitel werden von Listen von Titeln in Beschlag genommen, versehen mit Angaben zu Regie und Produktionsjahr, aber ansonsten bar jeder Information oder Einordnung. Lediglich den Hinweis, dass keine Liste jemals vollständig sein kann, bekommt man mit auf den Weg. Tatsächlich wäre die kleinliche Beschwerde, dass ausgerechnet Lieblingsfilm XY ausgelassen wurde, müßig. Dennoch sei vermerkt, dass man kaum Fehl an einer Liste finden kann, auf der ein Film mit dem schönen Titel I WAS A TEENAGE ZABBADOING, von dem man noch nie gehört hat (kurz gegooglet: offensichtlich eine anstrengende Heimvideoproduktion aus Westdeutschland), ebenso Platz findet wie der großartige LEMORA: LADY DRACULA, von dem man dachte, man wäre der einzige, der ihn kennt und liebt. Blättert man jedoch glücklich weiter zur kurzen TV-Liste, muss nun doch die gar nicht so kleinliche Frage gestattet sein, warum mit DARK SHADOWS ausgerechnet die Mutter aller Vampirfernsehserien fehlt, während Sendereihen, in denen Blutsauger allenfalls Randerscheinungen sind, berücksichtigt werden. Noch eine Seite weiter stellt sich die Frage, warum ausgerechnet die eigenschaftslose Modeserie THE VAMPIRE DAIRIES, an die es in ein paar Jahren nur noch vage Erinnerungen geben wird, die einzige ist, die etwas ausführlich vorgestellt wird (wenn auch wieder nur auf dem analytischen Niveau einer abgetippten Pressemitteilung).
Ein Handbuch ist nicht nur ein Handbuch, weil der Leser es zur Hand nimmt, sondern auch, weil es den Leser bei der Hand nimmt. Da versagt DRACULA - MYTHEN UND WAHRHEITEN leider. Zu planlos der Mix aus guten Essays (z. B. zu Hammer-Filmen und dem deutschen Stummfilm), flauen Witzchen (Koch- und Cocktail-Rezepten), Original-Lyrik von Goethe bis DJ Bobo, schönem Artwork und langen Listen. Wer etwas nachschlagen möchte (dafür sind Handbücher angedacht), sollte es woanders versuchen. Wer sich intensiv mit der Materie auseinandersetzen will, muss hier lange die Spreu vom Weizen trennen. Wer aber ab und zu einen kuriosen Wundertüteneffekt schätzt, der kann mit diesem Werk ein paar vergnügliche und irritierende Momente verbringen. So ist DRACULA - MYTHEN UND WAHRHEITEN ein ideales Geschenkbuch: Geschenkt ist nicht zu teuer. Aber die Eigenanschaffung will wohlüberlegt und gut begründet sein.
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