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ZEITEN DES AUFRUHRS (USA 2008)

von Marc Zeller

Original Titel. REVOLUTIONARY ROAD
Laufzeit in Minuten. 119

Regie. SAM MENDES
Drehbuch. JUSTIN HAYTHE
Musik. THOMAS NEWMAN
Kamera. ROGER DEAKINS
Schnitt. TARIQ ANWAR
Darsteller. LEONARDO DICAPRIO . KATE WINSLET . KATHY BATES . KATHRYN HAHN u.a.

Review Datum. 2009-01-08
Kinostart Deutschland. 2009-01-15

Als Vielfilmer kann man Sam Mendes beim besten Willen nicht bezeichnen. Sein neuster Film, die Literaturadaption ZEITEN DES AUFRUHRS, ist gerade mal seine vierte Kinoproduktion in neun Jahren. 1999 erschien der Engländer mit seinem Instant Classic AMERICAN BEAUTY auf der kinematographischen Bühne und wurde über Nacht zur Kultfigur: Wie dieser vor ironischem Biss triefende Erstling die US-amerikanische Gesellschaft aufs Korn nahm und mit dem scharfen Auge eines Snipers genau auf die richtigen Stellen zielte, war mehr als nur bemerkenswert.

Es folgten stillere Ereignisse, gute Filme zwar, aber ohne das Brimborium, das sein Debüt auslöste. ROAD TO PERDITION war eine feine Graphic Novel-Adaption, die tief und vor allem tiefgründig in die Welt des organisierten Verbrechens hinabstieg, um dort nicht ganz überraschend eine verhängnisvolle Gewaltspirale zu entdecken. JARHEAD thematisierte den Krieg in seiner Sinn- und Hoffnungslosigkeit mit einem schrägen Blick hinter die Kulissen, den viele nicht so ganz kapierten und deshalb links liegen ließen.

Mendes vierte Regiearbeit ZEITEN DES AUFRUHRS, die am 15. Januar in den deutschen Kinos anläuft, verspricht nun ein Wiedersehen, das viele von Herzen herbeigesehnt und ebenso viele in ihren schlimmsten Schnulz-Albträumen mit Grauen befürchtet haben: Kate Winslet und Leonardo DiCaprio, die beiden Turteltäubchen Rose und Jack aus James Camerons TITANIC, sind nach mehr als 10 Jahren Trennung wieder als Filmpaar vereint. Aber Vorsicht: Dieses Mal dürfen Romantik-Allergiker aufatmen, denn Mendes wäre nicht Mendes, wenn er nicht genau diesen Liebesmythos benutzen würde, um ihn aufs Schlimmste zu demontieren.

Als April und Frank Wheeler (Kate Winslet und Leonardo DiCaprio) sich kennen und lieben lernten, schworen sie sich, dass sie nie so bieder und normal werden würden wie all die anderen um sie herum. Sie wollten an ihren Träumen festhalten und ihre Lebensziele verwirklichen, komme was da wolle. Doch so einfach ist das nicht, erst recht nicht in den amerikanischen Suburbs der 1950er Jahre, und noch weniger, wenn man zwei Kinder zu hüten hat. April und Frank wohnen zwar in der Revolutionary Road, aber ihr Leben geht nach ein paar Ehejahren einen doch ziemlich durchschnittlichen Weg: Er macht täglich seinen langweiligen Bürojob und wird seine Frustration bei gelegentlichen sexuellen Intermezzi mit einem jungen Naivchen aus seiner Firma los; sie sitzt zu Hause, trifft sich mit der affektierten Vermieterin Mrs. Givings (Kathy Bates), sorgt für die Kiddies und hält insgesamt die Fassade des revolutionären Wheeler-Pärchens aufrecht. April ist es auch, die versucht, sich aus dieser selbst angelegten Zwangsjacke zu befreien, indem sie Frank vorschlägt, endlich einen Jugendtraum wahr zu machen: Nach Paris soll es gehen, wo sie als Sekretärin arbeiten und Frank viel Freiraum zur persönlichen Entfaltung lassen will. Doch wieder kommt es anders: Frank wird befördert und ist sich plötzlich nicht mehr sicher, ob er alles hinschmeißen will, und April wird zum dritten Mal schwanger. Aber manche Träume sind so groß, dass sie sich schwer im Zaum halten lassen, wenn sie erst einmal entfesselt sind – und die Wheelers sind gefangen in einer Zwickmühle, aus der es nur zwei Wege gibt: Ausreißen oder Zerreißen.

Die zum familiären Garten Eden hochstilisierten Vorstädte scheinen es Mendes angetan zu haben: Hinterfragte er in seinem Erstling das moderne Leben hinter den weiß gestrichenen Lattenzäunen, so ist ZEITEN DES AUFRUHRS eine Abhandlung über die Zwänge und leeren Ideale der Fifties. Die Buchvorlage ist Standardliteratur für alle, die sich mit dem American Dream befassen, jener fast unerreichbaren Illusion, der auch heute noch viele Menschen überall auf der Welt anhängen. Somit ist Film wie Buch eine gewisse Aktualität nicht abzusprechen, und selbst wenn es nur eine historische Geschichte wäre: Das ist starker Stoff, der Lebensentwürfe mit einem lauten Knall zerplatzen lässt, auf dass es weithin zu hören sein möge. Dennoch hat dieser neue Film – leider – wenig mit AMERICAN BEAUTY gemein, weil Mendes in all den Jahren anscheinend eine wichtige Zutat aus dem Fenster geschmissen hat: Subtilität. Wie hier offen über die Thematik des Films palavert wird, grenzt schon an Penetranz. Andauernd wird der Wohnort von April und Frank, die Revolutionary Road, versinnbildlicht; ständig reden die beiden über die Diskrepanz zwischen dem was sie wollten und dem was sie haben; immer bla bla bla über Dinge, die man als Zuschauer gezeigt und nicht erzählt bekommen möchte, zumal man dank der grundsätzlich guten Geschichte schon früh versteht, worum es geht. Was als Roman funktioniert, wirkt in zwei Stunden Film zu gedrungen, zu direkt, einfach too much. Mendes hat also das Chirurgenskalpell, mit dem er so zielsicher umgehen konnte, dieses Mal gegen ein derbes Schlachterbeil eingetauscht, das sicher auch Wunden schlägt, aber eben mit deutlich chaotischerem, unpräziserem Ausgang.

Mendes' In-your-face-Taktik nervt stellenweise tierisch, aber glücklicherweise ist da jemand, der den Film rettet. Dieser Jemand ist wohl kaum der Regisseur selbst, und es ist auch nicht Thomas Newman, dessen Geklimper schon wieder nach SIX FEET UNDER klingt. Nein, es ist das Darstellerensemble, das ZEITEN DES AUFRUHRS sehenswert macht. Bis in die Nebenrollen sind die Charaktere perfekt besetzt: Kathy Bates brilliert als Mrs. Givings, die sich selbst karikierende Personifikation der Oberflächlichkeit; Kathryn Hahn und David Harbour geben das bis zum Brechreiz auf glückliche Familie getrimmte Nachbarpärchen mit erfrischender Präsenz; und Michael Shannon sorgt als verrückter Sohn von Mrs. Givings mit derben Sprüchen dafür, dass die Heile-Welt-Fraktion die Wahrheit mit gequältem Lachen als Wahnsinn abtun muss. Kate Winslet ist ohnehin eine der besten Schauspielerinnen ihrer Generation; sie zeigt auch unter der Regie ihres Ehemannes keinerlei Schwäche und portraitiert eine komplexe Frauenfigur angemessen vielschichtig. Die größte Leistung bringt aber Mr. DiCaprio, der die Entwicklung vom Kinderstar zum Charakterkopf nun eindeutig vollzogen hat. Hat er bei seinen letzten Auftritten mit Dreitagebart den harten Typen markiert, so bekommen wir hier wieder den Milchbubi seiner früheren Filme zurück. Optik hin oder her, DiCaprio geht in der Rolle des Familienvaters wider Willen spielend über Grenzen hinweg, als wollte er seinen Kritikern das Lästermaul ein für alle Mal stopfen. Wie er sich in manchen Szenen in Streits hineinsteigert, wie er explodiert, die angestauten Gefühle vor lauter Zorn nicht mehr kontrollieren kann; wie er kurz darauf mit wütenden Tränen in den Augen dasteht und aussieht wie ein kleiner trotziger Junge: Diese glaubwürdige, Abgründe offenbarende Darstellung ist nicht nur oscarreif, sondern garantiert auch die beste Performance, die der oft unterschätzte Schauspieler bislang abgeliefert hat.

Hätte Mendes seinem Publikum ein paar eigene graue Zellen zugestanden und weniger mehr sein lassen, wäre sein vierter Film vielleicht ein Knüller geworden. So ist er eben ein schön gestalteter Luftballon, der nur deshalb nicht zusammenschrumpelt, weil die grandiose Besetzung unermüdlich hineinbläst und die von Regie und Drehbuch verursachten Lecks nach und nach zukleistert.











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