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Ende letzten Jahres habe ich an aufeinander folgenden Tagen zwei Filme gesehen: ANCHORMAN 2 und THE WOLF OF WALL STREET. Einer der beiden Filme war ein überlanger, penibel der selbst entwickelten Formel folgender Aufguss eines wesentlich besseren Originals, der gelegentlich zwar durchaus sehr komisch war, sich aber viel zu oft in anscheinend improvisierten, erzählerisch überflüssigen Dialogszenen verlor. Der andere Film war ANCHORMAN 2.
WOLF OF WALL STREET ist die wahre Geschichte (wie wahr auch immer "wahre Geschichten" in Filmen sind) von Aufstieg und Fall des Börsenmaklers Jordan Belfort (Leonardo DiCaprio). Um sie zu erzählen bedient Regisseur Martin Scorsese sich seines eigenen GOODFELLAS-Modells - gerade am Anfang des Films stellt er so manchen Moment aus seinem Meisterwerk beinahe 1:1 nach, nur eben mit "Wall Street" statt "Mafia".
Auf einem inhaltlichen Level sagt das natürlich erstmal einiges: Ein Beinahe-Remake eines Films über organisiertes Verbrechen beschäftigt sich im Jahre 2014 (natürlich) mit Finanz-Betrügern. Als Martin Scorsese-Film ist THE WOLF OF WALL STREET aber gerade deshalb im Grunde ziemlich uninteressant: Scorsese hat diesen Film schon vor langer Zeit gedreht, und zwar in viel, viel besser. Denn THE WOLF OF WALL STREET übernimmt zwar dessen Tropen, ist aber erzählerisch und stilistisch nicht so stringent wie GOODFELLAS und entwickelt (u.a.) deshalb nie dessen Resonanz.
So - Achtung, ekliges Wort - episch GOODFELLAS auch ist, behält er doch eine gewisse erzählerische Ökonomie: Jede überlange Dialogszene, jede aufwendige Plansequenz, jeder Voice Over erzählt auch tatsächlich etwas, bringt die Handlung voran oder entwickelt die Charaktere weiter. WOLF OF WALL STREET dagegen ist voll von Szenen, die entweder lange nach der Pointe oder dem Punkt, den sie machen wollen, weitergehen und dann irgendwann ins Leere verlaufen, oder die gleich ganz überflüssig sind, die wirklich keinen auf den Film als Ganzes bezogenen Zweck erfüllen. Es scheint, als habe Scorsese, nachdem er entschieden hatte, Jordan Belforts Geschichte als Comedy zu inszenieren, Judd Apatows Gesamtwerk studiert und dessen Vorliebe für ausufernde, improvisierte riffs übernommen. Das muss nicht schlecht sein, doch es fällt immer wieder auf, dass außer Jonah Hill (als Belforts rechte Hand Donnie Azoff) und der nur gelegentlich auftretende Rob Reiner (als Belforts Vater) die wenigsten der Darsteller Erfahrung mit Improv haben, und tatsächlich ist es in erster Linie Hill, der zwischen all dem eher ziellosen Dauergequatsche seiner Co-Darsteller die ein oder andere tatsächlich clevere, witzige Zeile unterkriegt. Es gibt allerdings durchaus andere Szenen - eine drogeninduzierte Slapstick-Sequenz bleibt besonders im Gedächtnis - die tatsächlich komisch sind, auch, wenn diese ebenfalls in den seltensten Fällen irgendetwas erzählen.
Überhaupt fühlt man sich während der 180 Minuten Laufzeit des Films immer wieder, als würde man einen frühen rough cut sehen. Die Comedy-Anleihen sind da noch das geringste Problem (oder zumindest das, was am einfachsten zu erklären ist). Andere Elemente des Films sind, gerade von Regie-Veteran Scorsese, schlicht rätselhaft: Stilistische Inkonsistenzen wie DiCaprios zu Anfang prominentes Aufbrechen der vierten Wand, das Scorsese dann über weite Strecken zu vergessen scheint und durch einen generischen Voice Over ersetzt, sodass es - auch, wenn es sporadisch, aber in gefühlt zufälligen Momenten, zurückkehrt - nie wie ein konsequent und gezielt eingesetztes Stilmittel wirkt; das willkürliche Einsetzen von Voice Over anderer Charaktere - allerdings nicht, um wie in GOODFELLAS eine weitere Perspektive einzuführen, sondern um einen billigen Gag zu machen; unnötige Erklärsequenzen, wie die, in der wir zunächst als überraschenden sight gag Belforts im Drogenrausch zu Schrott gefahrenes Auto sehen, nur um dann die nicht einmal besonders unterhaltsame Unfall-Fahrt doch noch zu sehen - warum noch einmal ausformulieren, was in einem Bild längst erzählt war?
Es hat alles etwas vom undisziplinierten Erstwerk eines Jungregisseurs, der Szenen nur deshalb im Film behält, weil er sie "irgendwie cool" fand, nicht, weil sie irgendetwas zu erzählen oder thematisch zu vermitteln haben (zumal er den Exzess seiner Protagonisten zwar irgendwie anprangern möchte, ihn gleichzeitig aber auch eindeutig feiert). Irgendwie ja auch schön für Scorsese, dass er offenbar jung geblieben ist, aber eigentlich sollte er sich das mittlerweile abgewöhnt haben.
Das klingt alles schlimmer als es ist. THE WOLF OF WALL STREET ist, mit allen seinen Fehlern, ein unterhaltsamer Film, die drei Stunden vergehen rasch und, wir sind in einem Scorsese-Film, natürlich gibt es immer wieder Momente, die man auf einem rein handwerklichen Level bewundern kann. Nur kommt dabei, sieht man mal vom wirklich offensichtlichen "Maybe greed is not that good" ab, eben nicht wirklich viel rum.
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