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WE ARE THE FLESH (Mexiko/Frankreich 2016)

von Thorsten Hanisch

Original Titel. TENEMOS LA CARNE
Laufzeit in Minuten. 79

Regie. EMILIANO ROCHA MINTER
Drehbuch. EMILIANO ROCHA MINTER
Musik. ESTEBAN ALDRETE
Kamera. YOLLÓTL ALVARADO
Schnitt. YIBRAN ASUAD . EMILIANO ROCHA . MINTER
Darsteller. MARÍA CID . MARÍA EVOLI . DIEGO GAMALIEL . NOÉ HERNÁNDENZ u.a.

Review Datum. 2016-10-04
Kinostart Deutschland. 2016-10-06

WE ARE THE FLESH ist einer dieser urpersönlichen Filme, die hier und da mal ums Eck schauen, mit unbändiger Verspieltheit und noch größerer Lust am Provozieren der Zuschauerschaft einen dicken grünen Fladen ins Gesicht speien und die zu erwartende Kontroverse billigend und vielleicht auch mit etwas schelmischer Freude in Kauf nehmen, den wahre Kunst hat noch nie allen gefallen. Ein paar wenige finden's geil, dass endlich mal wieder jemand auf der Leinwand so richtig schön rumrüpelt, Kino schafft, das lebt, das kreischt, faucht, schwitzt und diejenigen sehen vielleicht auch einen Sinn, nehmen was fürs eigene Leben mit, der größere Teil rüpft aber das Nässchen und keift was von "Prätentiös!" (früher bekannt als: "hab ich nicht verstanden").

Regisseure, die im Kino noch eine Kunstform sehen, die dem Zuschauer mehr bieten soll, als "gute Unterhaltung", eine Kunstform, die nicht dazu verpflichtet ist, sich einzuschleimen, haben's schwer heutzutage. Nicolas Winding Refn kann ein Lied davon singen, das der blutjunge Mexikaner Emiliano Rocha Minter seit einiger Zeit mitpfeift, denn sein erster abendfüllender Spielfilm hinterlässt eine Kluft von der Größe des Grand Canyons.

Erzählt wird...ja, was eigentlich genau? Also, der Basisplot geht so: Das Geschwisterpaar Lucio und Fauno landet nach Jahre des Herumirrens in einer postapokalyptischen Welt in einem der letzten halbwegs intakt gebliebenen Gebäude und trifft dort auf den alten, ranzigen Mariano, der offenbar nicht mehr alle Nadeln in der Tanne hat. Als Gegenleistung für Unterkunft und Verpflegung müssen sie ihn allerdings beim Bau eines geburtsartigen Kanals aus Pappmache und Klebeband helfen. Der Mann hat allerdings noch weitere Pläne und so erleben die beiden jungen Menschen bald Dinge, die jungen Menschen nicht unbedingt erleben sollten.

WE ARE THE FLESH lässt das transgressive Kino der 70er- und frühen 80er-Jahre wieder aufleben und saut rum, dass es eine Freude ist: POV-Blow-Job? Check. Necrophilie? Check. Inzest? Check. Urinieren? Check. Kannibalismus? Check. Natürlich wurde hier mit einem Auge auf potentielle Schockwirkung geschielt, anderseits gerät das Ganze trotzdem nie zur rein pubertären Nummernrevue, denn Minter füllt seine potentiellen Aufreger-Szenen in ein geschickt aufgefächertes, eindeutig uneindeutiges Plotkonstrukt, dass locker flockig mit politischen, religiösen oder sexuellen Metaphern um sich wirft und somit jede Menge Deutungsmöglichkeit bietet, mit einem pfiffigen Ende eine eindeutige Antwort allerdings gekonnt umschifft, so aber natürlich auch in Gefahr läuft, diese Nebeligkeit vorgeworfen zu bekommen. Will uns der Macher mit seinem Film wirklich was sagen oder wollte hier nur ein selbstverliebter Wüstling einen auf dicke Hose machen?

Aber das ist letztendlich egal, denn selbst wenn Minter mit seinem Debüt unter dem Strich nur eine Luftblase abgeliefert haben sollte, fällt das nicht weiter ins Gewicht, denn der Jungregisseur - und hier liegt eine weitere Verbindung zu Agent Provocateur Refn - kann sich so eine Nummer erlauben und zwar ganz schlicht aus einem Grund: Weil er es kann. Sein Film ist schlichtweg atemberaubend inszeniert und nutzt seine originelle, extrem starke Bildsprache und den fantastischen Einsatz der Tonspur zu einer Auflösung sämtlicher Wahrnehmungsfixpunkte: Parallel zu dem Geschwisterpaar wird auch dem Zuschauer immer weiter der Boden unter den Füßen weggezogen und das macht - vorausgesetzt man mag sich drauf einlassen - ausgesprochen viel Spaß. Oder anders, salopper formuliert: WE ARE THE FLESH ist der perfekte Mindfuck. Muss man auch können.











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