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DER VORLESER (USA/Deutschland 2008)

von Florian Lieb

Original Titel. THE READER
Laufzeit in Minuten. 123

Regie. STEPHEN DALDRY
Drehbuch. DAVID HARE
Musik. NICO MUHLY
Kamera. CHRIS MENGES . ROGER DEAKINS
Schnitt. CLAIRE SIMPSON
Darsteller. KATE WINSLET . RALPH FIENNES . DAVID KROSS . HANNAH HERZSPRUNG u.a.

Review Datum. 2009-02-09
Kinostart Deutschland. 2009-02-26

In Amerika erachtet man Bernhard Schlinks Roman Der Vorleser, der als erster deutscher Roman auf Platz Eins der New York Times Bestsellerliste stieg, als das wichtigste deutsche Buch zum Thema Holocaust. In Deutschland gibt es hierfür einen spezifischen Begriff: Vergangenheitsbewältigung. Bereits vor dreizehn Jahren, ein Jahr nach Erscheinen des Buches, sicherte sich Harvey Weinstein die Rechte für eine Verfilmung. Diese wurde nunmehr unter der Regie von Stephen Daldry nach einem Drehbuch von David Hare vorgenommen. Beide hatten bereits Anfang des neuen Jahrtausends mit THE HOURS bewiesen, dass sie ein kompetentes Duo für anspruchsvolle Buchadaptionen bilden.

Der 15-jährige Michael Berg (David Kross) lernt im Nachkriegs-Berlin die 36-jährige Hanna Schmitz (Kate Winslet) kennen. Hals über Kopf beginnt sich der pubertierende Schüler in die Frau, die seine Mutter sein könnte, zu verlieben. Beide fangen eine Affäre miteinander an, in der deutlich wird, dass Michael Hannas Spielzeug ist. Als seine Noten sich verschlechtern, kreiert Hanna ein Ritual zwischen beiden. Bevor sie ihr Liebesspiel beginnen, muss Michael ihr aus seinen Schulbüchern von Homer und Horaz vorlesen. Während durch die Beziehung Michaels Selbstvertrauen wächst, nehmen die Geschehnisse für Hanna eine andere Wendung. Eines Tages verschwindet sie ohne Worte aus Berlin. Michael wird sie erst acht Jahre später wiedersehen. Als Angeklagte in einem Kriegsverbrecherprozess.

Während Schlinks Roman in chronologischer Reihenfolge aus der Ich-Perspektive Michael Bergs erzählt wird, beschreitet DER VORLESER einen anderen Weg. Die Filmhandlung fungiert als Retrospektive des gealterten Michael (Ralph Fiennes), der hin und wieder die laufende Handlung unterbricht. Erst in seiner letzten halben Stunde fokussiert sich der Film vollends auf den britischen Darsteller. Durch die Tatsache, dass Hare einer Erzählstimme aus dem Weg geht, verliert Daldrys Film etwas von seiner emotionalen Intensität, da dem Publikum ein genauerer Blick in das Innenleben von Michael Berg, wie im Buch geschehen, verwehrt bleibt.

Davon abgesehen filmt Daldry Schlinks Roman beinahe minutiös ab, speziell in der ersten Viertelstunde des Filmes. Nur an wenigen Stellen finden Abänderungen statt, dies jedoch bisweilen auf Kosten des näheren Verständnisses der Figuren. Einige Abweichungen wie die Einführung von Karoline Herfurths Figur verfolgen dabei keinen offensichtlichen Zweck. Grundsätzlich handelt es sich bei DER VORLESER jedoch um eine äußerst getreue Adaption des vorliegenden Romans, ähnlich wie es Daldry und Hare schon bei THE HOURS gehandhabt hatten. Gemeinsam mit Nico Muhlys stimmiger Musik und den starken Bildern von Chris Menges und Roger Deakins ist Daldrys Werk zumindest auf formaler Ebene kaum ein Vorwurf zu machen.

Inhaltlich sieht das etwas anders aus. In Schlinks Roman geht es um Vergangenheitsbewältigung und die Kollektivschuld des deutschen Volkes hinsichtlich des Holocaust. Oder besser gesagt um die Auseinandersetzung der so genannten "zweiten Generation" mit ihren Eltern. Jener Nachkriegsgeneration, die mit dem Makel des Holocaust aufwachsen musste, ohne in irgendeiner Weise für das Dritte Reich verantwortlich gewesen zu sein. In einer Szene des Filmes ist davon die Rede, dass jeder in Deutschland damals von den Konzentrationslagern habe wissen müssen. Schließlich hätte es tausende davon gegeben. Statt sich mit dieser Schuldfrage genauer zu beschäftigen, wie in Schlinks Roman geschehen, nutzt Daldry jenen Aspekt der Geschichte leider nur als Spannungslement.

Schauspielerisch weist sich DER VORLESER als deutscher Film aus. Außer Kate Winslet, Ralph Fiennes und Lena Olin sind die meisten Darsteller deutschsprachig. Sowohl Winslet als auch Fiennes tun sich zu Beginn des Filmes in ihren Darstellungen etwas schwer. Während Fiennes unter der geringen Präsenz seiner Figur zu leiden scheint, bereitet Winslet die Portraitierung von Hanna gerade im ersten Drittel der Affäre mit Michael Probleme. Ihr mürrisches Spiel wirkt mitunter steif. Erst mit dem Gerichtsprozess beginn die Britin ihr wahres Gesicht zu zeigen. Seinen Höhepunkt hat der Film daher in seiner letzten halben Stunde, wenn sowohl Winslet als auch Fiennes zu Hochleistungen aufsteigen.

Eine Enttäuschung ist hingegen Jungschauspieler David Kross. Zwar stellt seine Beteiligung erst seinen dritten Kinofilm dar und zugleich den ersten internationalen, dennoch ist sein Unvermögen die meiste Zeit hindurch spürbar. Im Gegensatz zu seiner Filmfigur weiß Kross nicht zum rechten Zeitpunkt seine Naivität und Weinerlichkeit abzulegen. Daldry wäre hier gut beraten gewesen, auf einen britischen Darsteller zurückzugreifen. Die restlichen deutschen Schauspieler schlagen sich dagegen ordentlich, abgesehen von Alexandra Maria Lara, die mit internationalen Ansprüchen – wie man bereits in YOUTH WITHOUT YOUTH gesehen hat – überfordert zu sein scheint.

Eine Szene zwischen Kross und Bruno Ganz ausgenommen, vermag DER VORLESER selten in die moralischen Tiefen der Vergangenheitsbewältigung und gerade auch des Rechtsproblems einzutauchen. Für eine filmische Auseinandersetzung im Spielfilmformat mag dies auch nicht wirklich umsetzbar gewesen zu sein. Letztlich ist Stephen Daldrys Adaption weitestgehend getreu und grundsätzlich auch überzeugend gespielt.











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