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DIE VERLEGERIN (Großbritannien/USA 2017)

von Andreas Günther

Original Titel. THE POST
Laufzeit in Minuten. 116

Regie. STEVEN SPIELBERG
Drehbuch. LIZ HANNAH . JOSH SINGER
Musik. JOHN WILLIAMS
Kamera. JANUSZ KAMINSKI
Schnitt. SARAH BROSHAR . MICHAEL KAHN
Darsteller. MERYL STREEP . TOM HANKS . SARAH PAULSON . BOB ODENKIRK u.a.

Review Datum. 2018-02-26
Kinostart Deutschland. 2018-02-22

Das sei ja wie bei Watergate: Viele politische Skandale rufen einen solchen Vergleich hervor - und nicht nur politische. Manchmal genügt schon die minimalste Entblößung eines Teils der weiblichen Brust in einem Entertainmentformat, um von "Nipplegate" zu faseln. Aber das historische Gedächtnis ist kurz. US-Präsident Nixon hat Anfang der 1970er Jahre als Höhepunkt einer umfangreichen Diffamierungs- und Infiltrationskampagne gegen den politischen Gegner nicht nur einen Einbruch in das Hautpquartier der Demokraten im so gennanten "Watergate"-Appartment-Komplex veranlasst. Sondern bereits zuvor die journalistische Aufklärung des Desasters in Vietnam mit juristischer Hilfe zu hintertreiben versucht. Daran erinnert Steven Spielbergs neues Werk DIE VERLEGERIN. Zugleich gebärdet es sich als leidenschaftliche Verteidigung der Pressefreiheit. Die USA haben dies wahrscheinlich gerade jetzt bitter nötig. Spielberg verabreicht seine Lektion aber so süßlich, dass der Lerneffekt darunter leidet. Was für Schluckimpfung gut funktionieren mag, raubt einem Film leicht seine Brisanz und lullt in eine Heile-Welt-Schimäre ein. Wachsamkeit und Bewusstsein für die Gefahr wären angebrachter.

Am Anfang stehen tausende Dokumente der amerikanischen Regierung unter verschiedenen Präsidenten, Republikanern wie Demokraten. Sie haben sich seit dem Ende der 1950er Jahre angesammelt und sagen alle das Gleiche: Der Krieg in Vietnam ist nicht zu gewinnen. Doch der Öffentlichkeit gaukeln die Politiker das Gegenteil vor. Buchstäblich hautnah miterleben kann das Think-Tank-Mitarbeiter Daniel Ellsberg (Matthew Rhyes) Ende der 1960er Jahre. Er nimmt selbst an einem blutig scheiternden Angriff teil. Im Flugzeug nach Hause hört er von Außenminister Robert McNamara (Bruce Greenwood) eine vernichtende Einschätzung der militärischen Lage - und noch auf dem Rollfeld gegenüber der Presse Eitel Sonnenschein verbreiten. Ellsberg will nicht mitschuldig daran sein, dass noch mehr junge Männer im Dschungel sterben müssen. Mit einer kleinen Gruppe von Mitstreitern entschließt er sich, die geheimen Dokumente der Presse zugänglich zu machen, die die Unaufrichtigkeit der Politker zu beweisen imstande sind.

Aber die Chancen für eine Berichterstattung über die so genannten "Pentagon Papers" stehen nicht gut. Zwar ist die renommierte "New York Times" als erste große Zeitung an der Sache brennend interessiert. Aber Nixon ist zu allem bereit, um entsprechende Veröffentlichungen zu verhindern. Erst recht scheut er nicht davor zurück, Unterlassungsklagen anzustrengen, die für die Leitung des Blattes Gefängnis und für das Unternehmen die Schließung bedeuten können. Begründung: Die Enthüllungen würden das Leben amerikanischer Soldaten und Agenten in Vietnam gefährden. Dabei würde der Schwerpunkt doch auf länger zurückliegende Ereignisse liegen.

Bei der "Washington Post" sieht die Lage nicht viel besser aus. Chefredakteur Ben Bradlee (Tom Hanks) wittert die Gelegenheit, von der Lokalzeitung in die erste Liga der schreibenden Presse aufzusteigen. Doch die Herausgeberschaft ist erst kürzlich an Katherine Graham (Meryl Streep) übergegangen, die damit ihren verstorbenen Mann beeerbt hat. "Katy" hat sich das nötige Wissen für ihren Job schnell angeeignet. Trotzdem überlässt sie die Entscheidungen lieber den Männern, insbesondere ihren finanziellen Beratern, die mit ihr über das Schicksal der Zeitung mitbestimmen. Sie sehen in Publikationen zu den "Pentagon Papers" eine mögliche existenzielle Bedrohung für die Zeitung, zumal diese gerade im Begriff ist, an die Börse zu gehen. Die Aussicht, dass Herausgeberin und Chefredakteur bald hinter Gittern landen könnten und "die Post" dichtmachen müsste, erscheint für Investoren alles andere als verlockend.

Drucken oder nicht? Katy erkennt, dass sie die Entscheidung darüber selbst fällen muss, das Telefon in der Hand, Ben Bradlee am anderen Ende der Leitung, der sie um die Freigabe bekniet. Aber um Katy herum stehen all die gut genährten Bedenkenträger in feinen Anzügen, bebrillt, mit schütterem Haar, die ihr dringend abraten. Katys unvernünftiger Starrsinn ist für sie ein Fall fürs Mitleid. Langsam und unerbittlich, mit untrüglichem Gespür für dramatische Zuspitzung, nähert sich die Kamera von Janusz Kaminski Katys Gesicht mit dem irritierten Mund, der sich zögern öffnet, wieder schließt, nochmals sich öffnet, anfängt zu reden und gleichwohl immer noch zaudert, das wirklich Wichtige zu sagen.

Es ist bewundernswert, wie es Meryl Streep immer wieder gelingt, ihren somnambulen Schauspielstil, dessen Tradition auf die Stummfilmzeit zurückgeht, mit ihren Figuren und den Anforderungen des jeweiligen Filmthemas perfekt in Einklang zu bringen. Sogar in der hektischen Modewelt von DER TEUFEL TRÄGT PRADA hat sie Platz für eine tranceartige, bourdieulastige Kontemplation über die sozialen Sickereffekte der Haute Couture gefunden. Ihre Katherine Graham wirft auf dem Weg zu Ben Bradlees Tisch in einem Luxusrestaurant fast einen Stuhl um und hockt mit dem zerstreuten Lächeln einer fast Betäubten in endlosen Meetings. Meryl Streep verkörpert so eine Frau, die noch nicht ganz zu dem erwacht ist, was und wer sie sein kann. Den Gegenpart des Tatmenschen nimmt Ben Bradley ein. Der hat jedoch Nachhilfe in Prinzipientreue nötig. Ebenso entrückt manieriert wie treffsicher kontert Katy Bens Vorwurf, sie würde mit Politikern wie McNamara kungeln, mit dem Hinweis, dass er ja wohl auch nicht nur Tiefschläge gegen die Politik ausgeteilt habe, wenn er und seine Frau jede Woche bei den Kennedys zum Abendessen eingeladen waren.

So entwickelt sich denn DIE VERLEGERIN mindestens zur doppelten Emanzipationsgeschichte. Das Ideal des Dienstes der Presse an der Allgemeinheit hilft dabei. Katy beruft sich darauf wie auf eine höhere Pflicht. Mit dem Ideal im Rücken entwickelt sie Mut, kann sie ihre Position gegenüber den Männern und ihren kurzsichtigen ökonomischen Interessen behaupten, vermag selbstbewusst die Initiatve zu ergreifen und eigenständig zu handeln. Ben Bradlee besinnt sich darauf, dass er in erster Linie als Journalist seine Pflicht zu erfüllen hat und persönliche Beziehungen zu Politikern dahinter zurückzustehen haben. Tom Hanks führt seinen Charakter so entschieden in diese Richtung, dass er Gefahr läuft, Ben Bradlee zum kauzig-raubeinigen Gutmenschen zu verkleinern wie ihn John Wayne bis zum Abwinken gegeben hat.

Auch Spielberg und seine Drehbuchautoren neigen zu Übertreibung. Sie verbinden Katy Graham und Ben Bradlee zu einer Art platonischem Liebespaar, einer Minne-Beziehung, einer Romanze aus hochherzigen Gefühlen. Er gibt den Ritter mit der Schreibmaschine, sie die Königin, die angerührt in den Redaktionsräumen ihrer Untertanen ansichtig wird. Der Termin vor Gericht kommt einer heimlichen Trauung gleich. Beim Verlassen des Supreme Court geht Katy durch eine Schar junger Mädchen, die sie bewundernd anblicken und eine Gasse aus Brautjungfern sein könnten. Und wie Ben und Katy so zwischen den riesrigen Druckerpressen der "Post" hindurchschreiten, schlingen sich die rotierenden Zeitungen wie Konfetti-Bänder um die beiden wie um frisch Vermählte.

Spielberg weiß dabei anscheinend sehr genau, was er tut. DIE VERLEGERIN legt die beiden poetologischen Pole offen, zwischen denen sich der Film bewegt. Zu Beginn hantiert Ellsberg mit einem Plakat zu ZWEI BANDITEN. Geschrieben hat den Film William Goldman - ebenso wie DIE UNBESTECHLICHEN, Alan J. Pakulas Meisterwerk über den Watergate-Skandal mit Robert Redford und Dustin Hoffman in den Rollen der "Washington Post"-Reporter Bod Woodward und Carl Bernstein. Das Drehbuch von William Godman - das ist der eine Orientierungspunkt von DIE VERLEGERIN.

Der andere Orientierungspunkt versteckt sich im Abspann, in der Widmung für die 2012 verstorbene Nora Ephron. Bevor die Tochter zweier Drehbuchautoren mit dem Skript zu HARRY AND SALLY und als Regisseurin von SCHLAFLOS IN SEATTLE in Hollywood durchstartete, arbeitete sie als Journalistin und Essayistin. In jener Zeit war sie mit dem schon genannten Carl Bernstein verheiratet und hatte zwei Söhne mit ihm. Was das für eine Leidenszeit war, verarbeitete sie im Roman und Drehbuch zu SODBRENNEN. Jack Nicholson mimte das alter ego von Carl Bernstein, das von Nora Ephron keine andere als - Meryl Streep. Als die Beziehung mit Bernstein noch taufrisch war, verfasste Ephron mit ihm zusammen ein Drehbuch zu DIE UNBESTECHLICHEN. Es stellte ein Konkurrenzangebot zu der Arbeit von Goldman dar, der natürlich wenig amüsiert war. Bob Woodard schämte sich später für die Offerte . Doch Robert Redford, so berichtet es Goldman in seinen Bestseller-Memoiren "Adventures in the Screen-Trade", in Deutschland unter dem Titel "Das Hollywood-Geschäft" erhältlich, Robert Redford soll durchaus in Versuchung gewesen sein. Von Goldmans nüchtern-journalistischen Ansatz habe sich der Vorschlag von Ephron und Bernstein durch eine gehörige Portion Romantik unterschieden. Für Redford war das nach seinen großen Kumpelfilmerfolgen eine große Verlockung. DIE VERLEGERIN hat nun offenbar dem Ephronschen Vermächtnis Genüge tun wollen - ein bisschen wenigstens.

Aber halb faktenorientiertes Presseportrait, halb Schmonzette könnte ingesamt zu wenig sein, zumindest dann, wenn, wie Spielberg zu erkennen gibt, es darum geht, die in der US-Verfassung verankerte Pressefreiheit gegen ihre absolute Verunglimpfung durch und unter Trump wirkungsvoll zu schützen. Dafür wäre ein anderer Modus nötig, der des Kampfes. Ästhetisch hat Pakulas Film in dieser Hinsicht Maßstäbe gesetzt, und zwar von der ersten Sekunde an. DIE UNBESTECHLICHEN setzt damit ein, dass die Typen einer Schreibmaschine das Datum des Einbruchs in das Hauptquartier der Demokraten in Papier hämmern - mit einem Laut, der außer aus Tippgeräuschen auch noch aus Peitschen- und Pistolenknall geschichtet ist.

Das "Happy End" reduziert sich auf die Fernschreiber-Nachricht, dass Nixon abgedankt hat und Gerald Ford sein Nachfolger geworden ist. Viel präsenter ist eine der vorherigen Einstellungen, in denen "Woodstein", wie Jason Robards' Ben Bradlee sein Reporterduo ruft, auf ihre Schreibmaschinen eindreschen, während im Fernsehen zu Nixons Einführung in die zweite Amtszeit Kanonen Salutschüsse abfeuern. In diesem Schlacht-Dyptichon bekriegt sich das Wort der Wahrheit mit dem Bild einer korrupten, skrupellosen Herrschaft. Nichts ist entschieden, alles ist immer wieder neu zu erstreiten, lautet die Botschaft. Keineswegs haben die Journalisten das Privileg, außerhalb dieses Komplexes zu stehen. Vielmehr sind sie darin impliziert. Die Redaktion wie die Schaltstellen der Regierung dominieren heller Stein und Glas, blasses Licht und Abschattungen von Weiß, mattem Blau und Schwarz. Der Widerstand kann nur von innen erfolgen. Seine Kräfte zeigen sich in den Arbeitsgeräuschen der Journalisten, die gegen die Wände anbranden, und in der Flüsterstimme von "Deep Throat zwischen den Pfeilern einer dunklen Tiefgarage.

Der Film DIE VERLEGERIN hingegen will nicht kämpfen, sondern feiern, und zwar einen weit zurückliegenden Sieg. An die Zukunft adressiert ist nur die erdfarbene Ausstrahlung von Katys getäfeltem Büro, die Durchsetzung eines wohltuenden weiblichen Prinzips ankündigend. Die studiohafte Ausleuchtung der Redaktion wirkt im Vergleich zur unterkühlten Atmosphäre bei Pakula bestürzend altertümlich. Dazu passt die Detailverliebtheit, mit der Spielberg das Zeitungsgeschäft des analogen Zeitalters Station für Station nachverfolgt, von der Schreibmaschine über die Setzerei und die Druckerei bis hin zum Straßenverkauf. Eine elegische Archäologie des Pressewesens bietet er, keine Zurüstung für die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft, ein Abschied statt eines Aufbruchs. Das Ende ist zum beruhigten Schlafenlegen geeignet, nicht zum dringend nötigen Weckruf. DIE UNBESTECHLICHEN erweisen sich als unentbehrlich.











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