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DAS VATERSPIEL (Österreich/Deutschland 2009)

von Björn Lahrmann

Original Titel. DAS VATERSPIEL
Laufzeit in Minuten. 117

Regie. MICHAEL GLAWOGGER
Drehbuch. MICHAEL GLAWOGGER
Musik. OLGA NEUWIRTH
Kamera. ATTILA BOA
Schnitt. VESSELA MARTSCHEWSKI
Darsteller. HELMUT KÖPPING . SABINE TIMOTEO . ULRICH TUKUR . CHRISTIAN TRAMITZ u.a.

Review Datum. 2009-03-09
Kinostart Deutschland. 2009-11-26

Ein schmuckloser weißer Raum, vielleicht ein Amtszimmer bei Gericht. Ein Mann sitzt da an einem Tisch vor einem Bandgerät, eingefangen von einer statischen Kamera im Deckenwinkel, wie in einem Überwachungsvideo. Wir schreiben die 60er. Der Mann, ein litauischer Jude namens Jonas Shtrom (meisterlich: Ulrich Tukur), beginnt zu erzählen, in bemüht nüchternen Monologen, durch die die unterdrückte Anspannung blitzt: Von seiner Kindheit in Memel, damals, in den 30ern; von seinem Klassenkameraden Algis Munkaitis, der eines Tages verschwand, um nach der Okkupation Litauens durch die Wehrmacht als Nazi-Kollaborateur wieder aufzutauchen; schließlich und vor allem von seinem Vater, der während einer nächtlichen Massentötung von eben jenem Algis Munkaitis erschlagen worden war, würdelos, mit nichts als einem Pyjama am Leib. Soweit die erste Geschichte.

In den 80ern – zur Zeit der zweiten Geschichte – ist der Erzählrhythmus gleich ein anderer: Die Szenen sind ausrisshaft, elliptisch, der Schnitt assoziativ, wie auf Koks. Wir lernen Rupert 'Ratz' Kramer (Helmut Köpping) kennen, Philosophiestudent, Hobby-Programmierer und Politikersohn mit einem, gelinde gesagt, ungesunden Vaterkomplex. Zwar ist sein alter Herr (Christian Tramitz) – seines Zeichens österreichischer Sozialdemokrat zu einer Zeit, da es so etwas noch gab – auf widerlich dandyhafte Weise korrupt und hat für seinen Sohn bloß halbgaren Spott und Desinteresse übrig; aber der glühende Hass, den Ratz für ihn empfindet, ist trotzdem jenseits aller Proportionalität. Als Ventil hat er in durchkifften Nächten ein simples Computerspiel entwickelt, dessen Ziel es ist, Armeen von virtuellen Doppelgängern des Vaters abzuknallen. Sie alle tragen Pyjama.

Mit Jonas auf der einen und Ratz auf der anderen Seite skizziert DAS VATERSPIEL – Michael Glawoggers unfokussierte, verwucherte, unbedingt sehenswerte Verfilmung des Romans von Josef Haslinger – zwei grundverschiedene Umgangsformen mit etwas, das man "Generationenballast" nennen könnte. Beide haben an den Grausamkeiten der Vätergeneration – den als Opfer erlittenen wie den als Täter begangenen – zu tragen, reagieren jedoch mit fundamental gegensätzlichen Bewegungen darauf: Wo Jonas den Holocaust einzugrenzen gezwungen ist auf die Suche nach Gerechtigkeit für ein einziges ermordetes Individuum, bläst Jonas in einem Akt von radikal geschichtsfernem Solipsismus den Privatkonflikt mit seinem Vater zum digitalen Genozid auf.

Zusammengeführt (oder aneinandergekracht) werden diese beiden Modelle nun in der dritten, eigentlichen Geschichte des Films. Es sind die späten 90er: Ratz, ein Versager auf ganzer Linie, feilt immer noch an seinem Vaterspiel herum. Ein 3D-Shooter ist mittlerweile draus geworden, der es jedem Spieler erlaubt, per Fotoscan gegen Horden eigener Väter anzutreten. Das Spiel ist Ratz zum festen Teil seiner Alltagswahrnehmung geworden; während einer hypnotischen Nachtfahrt durch einen Schneesturm brechen die animierten Figuren plötzlich aus dem weißen Wirbel hervor, als pflügte er mitten durch seinen eigenen Kopf. Eines Tages ereilt ihn ein Anruf von Mimi (Sabine Timoteo), seiner großen Liebe aus Studienzeiten, die ihn nach New York befehligt, wo er das Haus ihres Großvaters renovieren soll. In der Hoffnung, sein Spiel dort an den Mann bringen zu können, nimmt Ratz an – nicht ahnend, dass es sich bei Mimis Großvater um niemand anderen handelt als Algis Munkaitis.

Dass er die ethischen Spannungen, die sich aus dieser Konfrontation ergeben, nicht zum Ausbruch kommen lässt, ist dem Film hoch anzurechnen und hebt ihn ab von der Masse an einfältigen Problemdramen, deren politisch korrekte Stolperfallen und Sentimentalitäten das Drehbuch bravourös umschifft. Ratz wird zwar, als er die Wahrheit über Munkaitis erfährt, kurz aufmucken – sein Opa sei schließlich auch mal in Dachau gewesen, da könne er jetzt unmöglich einem Nazi Tisch und Bett bereiten –, aber es ist, das wird schnell klar, eine antrainierte Kurzschlussreaktion ohne tatsächliche Resonanz in seinem Moralgefüge. Ratz, der sich lieber in seine virtuelle Ersatzrealität flüchtet als den Konflikt mit seinem Vater offen auszutragen, wird sich bis zum Ende in keiner Weise zu Munkaitis' monströsen Verbrechen, die selbiger ihm in einem gespenstischen Monolog reuelos beichten wird, positionieren können. Alles, was über bloßes Spiel hinaus geht, ist tabu.

Das Bauen der Computerwelt, das Bauen am Versteck des gesuchten Kriegsverbrechers: Beide künden von einer Mentalität des Verdrängens, des luftdichten Versiegelns von Schuld und, ganz allgemein, von einer fortschreitenden Egozentrierung des Lebens fern von historischen Zusammenhängen. Anders als Jonas, der mit seiner Erzählung über die Grenzen des Protokollzimmers hinauszielt und Munkaitis seiner gerechten Strafe zuführen möchte, verschließen sich die jüngeren Figuren in ihren Höhlen – den Computerzimmern, Designerlofts, Kellerverliesen – und lassen sich jenseits dieser Sphären auf nichts festlegen. An Mimi etwa, der wegen eines Erbsyndroms keine Haare wachsen, bleibt buchstäblich nichts haften; ihre Allianzen sind flüchtig, wie die Perücken, die sie alle paar Tage wechselt. Man mag Glawogger vorwerfen, dass er sich nicht stärker auf diese Zentralproblematik konzentriert hat; ganz en passant behandelt der Film noch so illustre Themen wie den Niedergang der österreichischen Sozialdemokratie, Alkoholismus und Inzest. Aber vielleicht sind es gerade solche unerklärlichen Fremdkörper, die dem VATERSPIEL seinen ungeheuren Sogeffekt verleihen; die zwischen seinen zwar parallel montierten, aber tonal unvereinbaren Erzählebenen Lücken aufklaffen lassen, die den Film vor jeder bequemen und somit fatalen narrativen Schließung bewahren.











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