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THE TOWN - STADT OHNE GNADE (USA 2010)

von Florian Lieb

Original Titel. THE TOWN
Laufzeit in Minuten. 120

Regie. BEN AFFLECK
Drehbuch. PETER CRAIG . BEN AFFLECK . AARON STOCKARD
Musik. DAVID BUCKLEY . HARRY GREGSON-WILLIAMS
Kamera. ROBERT ELSWIT
Schnitt. DYLAN TICHENOR
Darsteller. BEN AFFLECK . REBECCA HALL . JON HAMM . JEREMY RENNER u.a.

Review Datum. 2010-09-22
Kinostart Deutschland. 2010-09-23

Sprichwörter haben etwas für sich. Das weiß vermutlich niemand besser als Ben Affleck. "Je höher der Aufstieg, desto tiefer der Fall", lautet eines. Vier Jahre lang, von 1998 bis 2002, war Affleck obenauf. Einer der Stars von Hollywood, mit Millionengehältern und Freundinnen, die auf die Namen Gwyneth Paltrow und Jennifer Lopez hörten. Mit den Bruckheimer-Filmen ARMAGEDDON und PEARL HARBOUR spielte er Hunderte Millionen Dollar weltweit ein. 2002 trat er in die Fußstapfen von Harrison Ford und wurde in DER ANSCHLAG zu Jack Ryan. Es folgte mit DAREDEVIL die Hauptrolle in einer Comic-Verfilmung - 2003 noch keine Selbstverständlichkeit wie heutzutage. Doch 2003 sollte zum Schicksalsjahr werden. Die Kinoversion des roten Teufels von New York floppte (dabei ist der Director's Cut durchaus gelungen), das gemeinsame Filmprojekt GIGLI mit Freundin J.Lo wurde mit 7 Millionen Dollar Einspiel weltweit zum Desaster. Als "Bennifer" vorbei war, schien dies auch auf Afflecks Karriere zuzutreffen. In den folgenden Jahren übernahm er primär Nebenrollen in kleineren Filmen. Während Freund und Kollege Matt Damon zum Superstar aufstieg, schien Affleck da gelandet zu sein, wo er angefangen hatte.

Wenn du willst, dass etwas richtig gemacht wird, mach es selbst. Ein weiteres Sprichwort, mit dem Affleck vertraut sein dürfte. Als Mitte der Neunziger keine ansprechenden Rollen für ihn und Jugendfreund Damon ins Haus trudelten, schrieben sie einfach ein eigenes Drehbuch und gewannen für GOOD WILL HUNTING prompt einen Oscar. Als es mit den Schauspielangeboten mau zu werden schien, orientierte sich Affleck vor einigen Jahren einfach neu. In GONE BABY GONE, einer Adaption des Romans von Dennis Lehane, versuchte sich Affleck erstmals als Regisseur - und beeindruckte. Es gab zwar ein moderates Einspielergebnis, aber viel Lob. Auch wenn der Film nach der ersten Hälfte an seiner kruden Geschichte (typisch für die Werke Lehanes) scheitert. Affleck jedenfalls entdeckte eine Nische für sich, und besetzte sie nun dieses Jahr erneut. In THE TOWN - STADT OHNE GNADE führte Affleck erneut Regie und heuerte erneut einen Affleck für die Hauptrolle an. Anstelle seines kleinen Bruders Casey dieses Mal sich selbst. Und wo Affleck sich zwar schauspielerisch nicht unbedingt rehabilitieren kann, gelingt es ihm, einen weiteren, sicheren Schritt ins Regiefach zu machen.

Was ein Mal funktioniert, funktioniert auch ein zweites Mal. Für THE TOWN - STADT OHNE GNADE lag erneut ein Roman zu Grunde. Zwar nicht von Dennis Lehane, aber dennoch im Bostoner Umfeld. Chuck Hogans drittes Buch, "Prince of Thieves", ist 400 Seiten dick und beschäftigt sich mit einer Gruppe von vier Jugendfreunden, die im Bostoner Vorort Charlestown groß wurden. Einem Stadtteil, der pro Kopf gesehen mehr Bankräuber hervorgebracht hat, als jeder andere Ort in den USA - mit dieser Information und Voraussetzung beginnen Hogan wie Affleck die Geschichte. Hauptprotagonist ist Doug MacRay (Ben Affleck), der gemeinsam mit seinem besten Freund, dem heißblütigen Jem (Jeremy Renner), Geldtransporter und Banken überfällt. Bei einem dieser Überfälle trifft Doug die Bankmanagerin Claire (Rebecca Hall), die dummerweise wie die Jungs aus Charlestown kommt - und diese daher eventuell identifizieren könnte. Während Jem sie im wahrsten Sinne des Wortes kaltstellen will, kümmert sich Doug um die Angelegenheit. Als sich die Zwei näher kommen, beginnen sie, Gefühle füreinander zu entwickeln. Unterdessen zieht FBI-Ermittler Adam Frawley (Jon Hamm) die Schlinge um Doug, Jem und Co. immer enger.

Der Film selbst ist ein klassischer Heist-Thriller. Es geht um Überfälle, die geplant und überlebt werden müssen. Wer hier im Verlaufe des Filmes stirbt, wer überlebt und an welcher Gabelung sich die jeweiligen Figuren am Ende wiederfinden, sollte daher niemanden überraschen. In THE TOWN - STADT OHNE GNADE ist also der Weg einmal mehr das Ziel und Affleck erweist sich als überaus guter Führer auf diesen bekannten Pfaden. Die Inszenierung der Handlung ist schnörkellos, zwar vorhersehbar, aber dennoch spannend. Es ist ein großer Verdienst, dass Affleck gar nicht erst versucht, irgendwelche überraschenden Wendungen einzubauen. Dass er die Geschichte runter erzählt, ohne Sperenzchen zu treiben. Sicherlich, die Figuren bleiben weitestgehend gesichtslos und eindimensional. Doug, das Eishockeytalent, das an seinem Temperament und der Tatsache gescheitert ist, dass er nicht rückwärts Schlittschuhlaufen kann. Jem, die getrieben Seele aus dem Viertel, gefangen in der Spirale der Gewalt, in die er sich selbst begeben hat. Die beiden anderen Kumpel (von denen einer durch den Bostoner Rapper Slaine dargestellt wird, der zugleich primär für den Soundtrack verantwortlich ist) erhalten nicht einmal so viel Tiefe. Ebenso wenig wie Claire, die letztlich bloß der personifizierte Wendepunkt für den Romanhelden ist.

Auch Jon Hamms FBI-Ermittler bleibt relativ konturenlos. Das Interesse an Claire aus Hogans Roman verschwindet, ebenso die unsympathische Freundin, die eigentlich Bestandteil seines Lebens ist. Ein tiefgründiger Blick hinter die Figuren, wie es Michael Mann in seinem Meisterwerk HEAT für beide Protagonisten pflegte, fehlt Afflecks Film. Hamms Figur empfindet keine Sympathien für Doug und Jem - wie auch, wenn dies nicht mal bei Dino Ciampa (Titus Welliver) der Fall ist, Frawleys Partner, der ebenfalls aus Charlestown stammt. Da ein 120-Minuten-Film kein 400-Seiten-Roman ist, kehrt Affleck also viel über die Charaktere unter den Teppich. Nur vereinzelt blitzen noch Momente wie Dougs nächtliches Aufsuchen eines Anonymen-Alkoholiker-Treffens auf, ohne das jedoch der Kontext für die einstige Sucht und die anschließende Kehrtwende geliefert wird. Auch Blake Livelys drogensüchtige, alleinerziehende white-trash-Schwester von Jem und Ex von Doug existiert eigentlich nur aus einem einfachen, profanen Grund - und reiht sich damit neben die anderen, charakterlich blassen Figuren ein. Wer sich also erhofft, die Figuren in THE TOWN - STADT OHNE GNADE näher kennenzulernen, wird wohl enttäuscht werden.

Sie sind bloß Schachfiguren in einem Spiel, das seit Jahrzehnten gespielt wird. Weshalb sie ihre Funktion auch zufriedenstellend erfüllen. Der Zuschauer wird bis zum Schluss unterhalten, fiebert mit, ist gespannt - mehr kann man bei einem derart vorhersehbaren Genre nicht erwarten. Schauspielerisch holen die Darsteller alles aus ihren farblosen Figuren raus. Renner gibt den gewaltaffinen Heißsporn und genießt es ebenso wie MAD MEN-Mime Hamm, sich auf der großen Leinwand austoben zu dürfen. Halls Leistung verschwindet fast hinter der faszinierenden Ähnlichkeit zwischen ihr und Scarlett Johansson, während Alteingesessene wie Pete Postlethwaite und Chris Cooper mit ihren Rollen kaum Probleme haben. Überraschenderweise (oder vielleicht auch nicht) überzeugt sogar GOSSIP GIRL's Blake Lively als white trash, während Afflecks Rolle aus seiner "gutherzige Männer mit Problemen"-Kiste stammt, aus der schon seine Figuren aus REINDEER GAMES, MAN ABOUT TOWN und Co. gekrochen sind. Somit ist THE TOWN - STADT OHNE GNADE letztlich ein durchaus gelungener Beitrag zum Genre und auch zu Ben Afflecks Vita. Getreu dem Motto: Was lange währt, wird endlich gut.











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