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TAXIDERMIA - DER AUSSTOPFER (Ungarn/Österreich/Frankreich 2006)

von Matthias Mahr

Original Titel. TAXIDERMIA
Laufzeit in Minuten. 91

Regie. GYÖRGY PÁLFI
Drehbuch. GYÖRGY PÁLFI
Musik. nicht bekannt
Kamera. GERGELY POHÁRNOK
Schnitt. RÉKA LEMHÉNY
Darsteller. CSABA CZENE . GERGELY TRÓCSÁNYI . MARC BISCHOFF . PIROSKA MOLNÁR u.a.

Review Datum. 2007-03-10
Kinostart Deutschland. direct-to-video

Wenn sich die Kritik in Frankreich, dem ersten Land, in dem TAXIDERMIA regulär angelaufen ist, darüber streitet, ob dieser Film jetzt mit Tarantino oder Fellini zu vergleichen wäre, kann einen das schon spitz auf ihn machen. Freilich, solche Wertungen sind immer mit Vorsicht zu genießen. Bereits Pálfis Langfilmdebüt HUKKLE wurde nur zu gerne mit TWIN PEAKS verglichen. Dabei ging es zwar formal um eine Kleinstadt vergleichbaren Ausmaßes, in der sich menschliche Abgründe auftun. Die Art und Weise, wie die Geschichte ganz ohne echten Dialogen entwickelt wurde, erinnerte aber, wenn überhaupt, höchstens an Dokumentarfilme wie Rainer Komers' KOBE. Im Spielfilm war ein solcher Zugang schon ziemlich einzigartig.

TAXIDERMIA erzählt nun von drei Generationen einer Familie. Er tut dies aber nicht so, wie bei Familienchroniken gemeinhin üblich, in einem kontinuierlichen Fluss, sondern ist eher als Episodenfilm zu sehen. Der erste Teil ist dabei noch am ehesten mit HUKKLE vergleichbar. Zwar gibt es hier reichlich Dialoge und die Gespräche zwischen den einfachen Soldaten und seinem Vorgesetzten haben durchaus Witz, dennoch wird noch nicht so wirklich eine Geschichte erzählt. Sie entwickelt sich mehr aus den Gegebenheiten ohne klassischen Strukturaufbau. Man merkt auch in diesem (ebenso schöner wie überraschender Weise im Cinemascope-Format gedrehten) Film, dass Pálfi, auch wenn er einiges zeigt, was Menschen mit schlechtem Magen verstören dürfte, im Grunde ein Ästhet ist. Sei es bei diversen Kamerafahrten, Schwenks, Rotationen und exakt senkrechten Ansichten, wie er sie gerne auch in den folgenden Episoden zeigen wird, sei es in einer Szene, in der der arme Soldat, offenbar masturbierend, in seiner Vorstellung in ein Bilderbuch mit der Geschichte vom Mädchen mit den Schwefelhölzern versinkt. Es ist leicht anzunehmen, dass diese Szene Pálfi wohl zu schön erschien, als dass er sie streichen wollte. Wirklich hinein passt sie nicht, aber das ist egal. Auch die Feuerfontäne, die sich aus dem Penis des Protagonisten entlädt, macht ein gutes Motiv für das Filmplakat, steht aber isoliert für sich selbst. Trotzdem ist dem Verlauf der Geschichte leicht zu folgen, auch wenn letztendlich gar nicht mal klar wird, ob dieser arme Soldat überhaupt der Ahn dieser Familiengeschichte ist. Dramaturgisch ist dies anzunehmen, steht er doch im Zentrum der ersten Geschichte, das Indiz, das aber darauf hinweist, entzieht sich jedoch jeder Logik.

In den beiden folgenden Geschichten wird die Erzählweise zunehmend klarer. Die Teile sind weniger voneinander abgehoben, spielt doch der Sohn des Soldaten, ein Wettesser, der dies auf Leistungssportniveau betreibt, auch in der Geschichte seines Stammhalters, des titelgebenden Ausstopfers, eine gewichtige Rolle. Auch hier gibt es Verzweigungen, wie einen besonders bizarren Einblick in die Nachwuchsförderung der Meisterfresssäcke, doch fügen sich diese harmonischer ein. Von den zahllosen Vergleichen die bei diesem Film bemüht wurden, ist jener der die zweite Geschichte in die Nähe von Terry Gilliam rückt wohl noch der treffendste. Dieser Eindruck verstärkt sich noch in diesem Einschub, ist aber latent im ganzen Mittelstück, einer grotesken Abrechnung mit dem Sowjetsystem und seinem Leistungssport, fühlbar. Dem gegenüber gestellt wird die Vorgeschichte, die, obwohl zeitlich weniger genau fixiert, wohl noch in der Monarchie spielt und das postkommunistische Schlusssegment. Die Zeit wird also gedehnt, werden doch beide Protagonisten der ersten Segmente in nicht allzu hohem Alter Vater. Auch hier ist die chronologische Exaktheit der Geschichte irrelevant, solange die Form, die dem Regisseur und Autor wichtig ist, gewahrt bleibt. Wenn man zuletzt erfährt, wer die ganze Geschichte erzählt hat, weiß man, wenn man genau aufpasst, ohnedies, dass diese Person sich nur wichtig macht und eigentlich nicht so unmittelbar Zeuge des gorereichen Schluss- und Höhepunkts dieses Filmes wurde, wie er behauptet.

Dieser Kunstgriff relativiert streng genommen jegliche Inkohärenzen in Geschichte und Aufbau, wäre an sich aber gar nicht nötig gewesen. Bereits der leicht avantgardistisch angelegte HUKKLE war, obwohl sicher nicht jeder mit dessen langsamer, nur gering narrativer Weise zurecht kam, ein großes Versprechen für ein Langfilmdebüt. TAXIDERMIA wird, unterhaltsam und frisch wie er ist, sicher ein größeres Publikum finden. Lediglich für zartbesaitetere Zuseher ist er sicher nicht geeignet, sinnlich-fleischlich wie er nun einmal ist wird es mitunter leicht verstörend und ekelig, vom Gereiher der fettleibigen Kampffresser ganz zu schweigen. Es ist eben trotz seiner Gewalt kein Tarantino, trotz der skurrilen Gestalten kein Fellini, trotz zarten Anklängen bei BRAZIL kein Gilliam, trotz der irreal kühlen Ausstattung der abschließenden Vernissage im Museum Moderner Kunst in Wien kein Kubrick, Pálfi hat seine eigene Linie und er vertritt sie mutig. Vermutlich noch nicht in letzter Perfektion, doch kündigt sich hier für die Zukunft ein relativ neuer, vielversprechender, Filmemacher an, der vielleicht schon bald zu den ganz großen in Europa, auf jeden Fall zu den markantesten, eigensten Vertretern seiner Zunft zu zählen sein wird.











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