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SUSPIRIA (USA/Italien 2018)

von André Becker

Original Titel. SUSPIRIA
Laufzeit in Minuten. 152

Regie. LUCA GUADAGNINO
Drehbuch. DAVID KAJGANICH
Musik. THOM YORKE
Kamera. SAYOMBHU MUKDEEPROM
Schnitt. WALTER FASANO
Darsteller. DAKOTA JOHNSON . TILDA SWINTON . MIA GOTH . ANGELA WINKLER u.a.

Review Datum. 2018-11-05
Kinostart Deutschland. 2018-11-15

Das Original gilt als einer der besten Horrorfilme aller Zeiten. Und das vollkommen zu Recht. Dario Argentos Magnum Opus hat auch mehr als vierzig Jahre nach der Uraufführung nichts von seiner kinematografischen Wucht verloren. Der Regisseur Luca Guadagnino tritt mit dem Remake somit in große Fußstapfen. Als bekannt wurde das bei der Neuverfilmung die Wahl auf den Italiener fällt, herrschte insbesondere in Fankreisen erwartungsgemäß große Ratlosigkeit. Kann ein Arthouse-Filmer (A BIGGER SPLASH und zuletzt der gefeierte CALL ME BY YOUR NAME) der bahnbrechenden Vorlage gerecht werden?

SUSPIRIA ist dabei kein klassisches Remake geworden. Guadagnino greift zwar verschiedene Story-Parameter des Originals auf, variiert diese aber sehr wirkmächtig durch eine Vielzahl neu hinzugefügter Nebenhandlungen und Figuren. Der dünne Plot von Argentos Klassiker weicht einem breit angelegten Handlungsaufbau, der in der rund zweieinhalbstündigen Laufzeit faszinierend unberechenbar bleibt. Darüber hinaus arbeitet die Neuinterpretation mit einer vollkommen andersartigen Mise en Scène, die deutlich von der des Originals abweicht. Besonders augenscheinlich ist dies bei der Wahl der verwendeten Farben. Während Argento mit expressiven Farbtönen (dominierend: rot) die Szenerie in eine märchenhafte Atmosphäre tauchte, verwendet Guadagnino (bis auf wenige Ausnahmen) größtenteils matte Farben, die den Look des Films an das zeitgeschichtliche Setting anpassen. Auch die äußere Erscheinung der Schauplätze unterscheidet sich maßgeblich von den prachtvollen und verschnörkelten Fassaden und Innenräumen der Sets des Originals. Guadagnino zeigt kalte, schmucklose Architektur, die unzugänglich wirkt und in die eine entmenschlichte Vergangenheit eingeschrieben scheint.

Schauplatz der Handlung ist erneut Deutschland in den späten siebziger Jahren. Diesmal allerdings nicht das beschaulich-pittoreske Freiburg im Süden des Landes, sondern die noch geteilte Hauptstadt in der Westzone. Für die Amerikanerin Susie Bannion (Dakota Johnson) wird ein lang ersehnter Traum wahr, als sie an einer der renommiertesten Tanzakademien der Stadt als Schülerin aufgenommen wird. Nachdem sie ihr kleines Zimmer in der Schule bezieht, merkt die junge Frau jedoch schnell auf unmissverständliche Weise, dass an diesem Ort nichts ist, wie es scheint. Zusammen mit der Schülerin Sara (Mia Goth) dringt Susie immer tiefer in die mystische Geschichte der Akademie und ihrer matriarchalisch geprägten Führung (u.a. Tilda Swinton und Angela Winkler) ein. Eine Geschichte mit zahllosen Geheimnissen, bei der vor allem das Verschwinden der psychisch labilen Schülerin Patricia (Chloë Grace Moretz) immer neue Fragen aufwirft. Die Spurensuche der jungen Frauen bleibt dabei von der Leitung nicht unbemerkt. Als schließlich der ehemalige Psychotherapeut von Patricia (ebenfalls gespielt von Tilda Swinton) kurz vor der Premiere des neuen Stücks eigene Nachforschungen anstellt, zeigen die Tanzlehrerinnen ihr wahres, teuflisches Gesicht.

SUSPIRIA spielt wie kaum ein anderer Film der letzten Jahre mit dem kollektiven Gedächtnis zum Stadtbild und dem gesellschaftlichen Klima der geteilten Grenz-Stadt. Gedreht wurde zwar auch in Italien, durch die Verwendung zahlreicher Szenen an Originalschauplätzen gelingt Guadagnino dennoch ein einnehmend authentischer Blick ins Herz der Stadt. Dieses Herz scheint verrottet und zerfressen von jahrelangen Konflikten. Der Terror der RAF ist omnipräsent, das politische Klima vergiftet und die jeweiligen Generationen bilden teils unversöhnliche Lager. Im West-Berlin dieser Zeit brodelt es. Eine Stadt kurz vor dem großen Knall.

Guadagnino nutzt als Kontrast für diese nervösen Grundstimmung ausgesucht entschleunigte Bilder in gespenstisch stillen Set-pieces. Altbauwohnungen, in denen nur der Regen zu hören ist, verlassene Bahnhöfe und menschenleere Straßenzüge, die wie ausgestorben wirken. Im Zentrum der Handlung, als Ausgangspunkt aller Ereignisse, zeigt der Regisseur die Tanzakademie als unwirklichen Ort, der dem tristen, grauen Stadtbild durch das innere Wirken ein ästhetisch entrücktes Tanztheater entgegensetzt. Dieses Tanztheater inszenieren Guadagnino und sein Kameramann Sayombhu Mukdeeprom audiovisuell überwältigend. Als berauschendes Körper-Kino par excellence. Das Tanztheater des Films wird hierbei über die Kunstform hinaus praktiziert. Als ein permanentes Ausloten und letztlich Auflösen körperlicher Grenzen. Der Schritt zum Body-Horror eines David Cronenberg liegt da nahe und wird auch mehrfach vollzogen. Besonders deutlich tritt dies in einer langen, atemberaubend geschnittenen Sequenz in einem verspiegelten Raum zutage. Tanz und Tod bilden dort eine Einheit, sind bereits in dieser Szene symbiotisch gedacht. Guadagnino verwendet diese erschaffene Verbindung schließlich leitmotivisch. Als roten Faden, der im Finale in einer Art archaischer Todes-Ouvertüre mit zuckenden, sich windenden Körpern, geradezu explodiert.

SUSPIRIA ist trotz der stattlichen Laufzeit keine Minute zu lang. Guadagnino öffnet mit seiner Interpretation der Vorlage eine Bühne für eine abgründige Reise in eine Welt voller Geheimnisse und unheilvoller Mythen. Eine Reise, die in ihrem Aufbau (mehrere Akte und abschließender Epilog) auf das Theater im allgemeinen und das Grand Guignol im Besonderen verweist und die mit ihren morbiden Schauwerte das Publikum kalt und unvorbereitet erwischt. Die in den Nebenplots aufgebauten melodramatischen Einschübe bilden dabei zusammen mit den zeitgeschichtlichen Hintergründen einen dramaturgischen Rahmen, in dem die Horror-Elemente des Films mühelos aufgehen und hier ein in sich geschlossenes Gesamtkunstwerk ergeben. Die enorme Vielgestaltigkeit der Inszenierung und ihrer ästhetischen Zugriffe wirkt allerdings keineswegs aufgesetzt geschweige denn zu ambitioniert. Halluzinogene Traumbilder, die Einbettung in Kunst- und Kulturgeschichte sowie der brillante Score von Thom Yorke und die immer wieder neue Perspektiven schaffende Kamera sind Teil eines großen Ganzen, das schlichtweg atemberaubend ausfällt.

Luca Guadagninos Ansatz Okkultismus und Hexerei über die großen Themen Schuld, Scham und Verführung zu verhandeln erweist sich gerade durch die Bezugnahme auf die Folgen deutscher Geschichte und den Zeitgeist der siebziger Jahre als facettenreiches Spiel mit den Meta-Ebenen der Handlung. Dank einer ganzen Reihe unvergesslicher Szenen fällt es nicht schwer Guadagninos Werk als einen der eindrücklichsten Genre-Filme der letzten Jahre zu bezeichnen. Das ist Überwältigungskino im besten Sinne und damit dann doch denkbar nah an der einstigen filmischen Vision von Dario Argento.











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