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Die Finger huschen über die Tasten, sie spiegeln sich in der pechschwarzen Sonnenbrille des Pianisten: Die Musik ist alles für Ray Charles, alles, was er wirklich spüren und vielleicht sogar sehen kann. So beginnt Taylor Hackfords Biographie RAY, und wer im Vorfeld skeptisch war über die Besetzung der Titelrolle mit Jaime Foxx, wird schon nach wenigen Minuten seine Zweifel über Bord werfen müssen. Da steht Foxx als junger Ray Charles und dreht den Kopf zur Seite, als er den Bus kommen hört - allein diese Bewegung setzt die sprichwörtliche Movie Magic frei. Für den Rest des Films haben wir nicht den geringsten Zweifel daran, daß das hier Ray Charles ist. Man wird sich bei den Oscars wiedersehen.
Ray Charles war mitverantwortlich für die Entwicklung des Soul. Er erschuf eine Form von schwarzem Pop, indem er Elemente des Gospel, des zeitgenössischen Jazz und des Blues in den R'n'B fließen ließ (in den 60ern setzte er verstärkt den Country ein). Als Bandleader, Arrangeur und Keyboarder war er gleichermaßen brillant. Es ist die Geschichte dieses Ray Charles, die Hackford erzählt, aber er erzählt auch die Geschichte eines ehrgeizigen, egoistischen, sex- und drogensüchtigen emotionalen Wracks. Der Film sucht die Begründung für Charles' menschliche Defizite in seinem Kindheitstrauma vom Bruder, an dessen Tod er sich schuldig glaubt. Erst als Charles sich 1965 dem Dämon Heroin stellt, überwindet er auch sein Trauma.
Und so hört der Film auf. So schwer es auch fallen mag, eine Institution wie Ray Charles zu kritisieren, so wenig kann man abstreiten, daß er als Musiker seit Mitte der 60er keine signifikanten Werke mehr ablieferte. Charles war fortan als Livekünstler erfolgreicher als in den Charts, und trotz seines Einflusses auf Musiker wie Joe Cocker oder Steve Winwood hat er selbst keine Zeichen mehr setzen können - und wollen. Hackfords Film präsentiert den Menschen Ray Charles als durchaus ambivalent (bis zur, leider sehr platten, Wandlung vom Saulus zum Paulus), den Musiker aber zeigt er nur als quasi unfehlbares Genie.
Dabei setzt RAY die großen Hits auf wunderbare Weise ein: Songs wie "What kind of a man are you", "Hit the road Jack" und "Born to lose" kommentieren Untreue, Trennung oder den Rausschmiß der Band in hervorragenden Montagen, mal amüsant, mal tragisch. Als "What'd I say" Charles berühmt macht und aus den R'n'B- in die Popcharts katapultiert, sehen wir zum ersten Mal einen ganzen Haufen Weiße. In bester Beach Bikini Party-Manier wird zu Charles' Hit getanzt, und man erschrickt förmlich über diese Gang blaßgesichtiger Amis. Das ist ein weiterer großer Vorzug von Hackfords Film: Hier gibt es eine weiße Minderheit, und das ist noch nicht mal Thema des Films.
Großartig ist auch die Besetzung: Hier werden nicht irgendwelche Beyoncés oder ähnliche Trällersusen als werbewirksamer Casting Coup eingesetzt (muß ich noch Gwen Stefani in THE AVIATOR erwähnen?), die dann sowas von überhaupt nicht wie die Epoche aussehen, in der der Film spielt, in RAY wirkt jedes Gesicht, das gilt besonders für die Darstellerinnen, absolut authentisch. Womit ich noch einmal auf Jaime Foxx zu sprechen kommen möchte: Zwar singt er die Songs nicht, was auch ziemlich idiotisch gewesen wäre; die Aufnahmen liegen schließlich vor, und Ray Charles' Stimme ist eh einzigartig. Dank Foxx bekommt aber niemals das Gefühl, hier einem Playback aufzusitzen.
Foxx erliegt auch nicht der Versuchung, in dramatischer SCENT OF A WOMAN-Manier eine Behinderten-Tour de Force hinzulegen. Für ihn ist alles in Charles Musik, selbst die ungelenken Bewegungen, die er wie einen Tanz in die Figur Charles eingliedert. In einigen Momenten wird Charles' Blindheit weniger als körperliche Behinderung thematisiert denn als ein Defizit, das seine Sensibilität anderen gegenüber einschränkt. Als er seine langjährige Plattenfirma Atlantic für ein lukratives Angebot des Major-Labels ABC/Paramount verläßt und dies seinen loyalen Weggefährten bei Atlantic mitteilt, ist das so inszeniert, daß man sich fragt: Hätte Charles anders entschieden, wenn er die Reaktion seiner Gegenüber hätte sehen können? In solchen Augenblicken wird Hackfords Film besonders anrührend.
Letzten Endes hat sich Taylor Hackford, der sich mit seinen letzten Werken PROOF OF LIFE, DOLORES CLAIBORNE und THE DEVIL'S ADVOCATE als ausgesprochen fähiger Regisseur empfohlen hat, aber zu sehr den Formeln eines Biopic hingegeben. Man fragt sich am Ende, ob diese Geschichte nun wirklich so erzählenswert gewesen ist, was nicht zuletzt an der allzu flachen Auflösung liegt. Trotz der Leistung Jamie Foxx' und vielen gelungenen Aspekten will das Wort "Sehenswert" nicht aus den Tasten springen. Leider ist RAY schlußendlich zu durchschnittlich, zu formelhaft, zu bedeutungslos. Schlecht ist er nicht. Aber manchmal reicht das nicht.
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