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THE PUNISHER - SEASON 1 (USA 2017)

von Thorsten Hanisch

Original Titel. THE PUNISHER
Laufzeit in Minuten. 572

Regie. diverse
Drehbuch. diverse
Musik. TYLER BATES
Kamera. diverse
Schnitt. diverse
Darsteller. JON BERNTHAL . EBON MOSS-BACHRACH . BEN BARNES . JASON R. MOORE u.a.

Review Datum. 2017-11-14
Kinostart Deutschland. nicht bekannt

Es ist echt unfassbar, fast schon ein bisschen lustig, dass nach dem bisher zwischen ziemlich gut (DAREDEVIL, JESSICA JONES, LUKE CAGE, ziemlich mau (THE DEFENDERS, DAREDEVIL - SEASON 2) und ziemlich beschissen (IRON FIST) hin- und pendelnden TV-Serien-Output von Marvel ausgerechnet die Adaption einer Vorlage, die auch in Fanboyhausen oftmals zwiespältige Gefühle auslöst, als absoluter Überknaller daherkommt.

Als Überknaller, der nur am Rande einhält, was die Trailer versprechen und der das Wunder vollbringt aus einer ultra-ultra-ultrabrutalen, psychotischen Kampfmaschine eine sicherlich nach wie vor ambivalente, aber zutiefst menschliche Figur zu machen, die einen auf emotionaler Ebene alles andere als kalt lässt; die man lernt zu verstehen und mit der man mit fortschreitender Laufzeit auch tatsächlich immer mehr mitfiebert.

Okay, bereits in der zweiten Staffel von DAREDEVIL wurde deutlich, dass die Entscheidungsträger planen mit der Figur neue Wege gehen, beziehungsweise sich vor allem von den berühmt-berüchtigten, unterschiedlich gelungenen, aber nie wirklich überzeugenden und vor allem immer eindimensionalen Verfilmungen von 1989, 2004 und 2008 abgrenzen wollen, aber erst der britische Drehbuchautor und Produzent Steve Lightfood, der bisher vor allem durch seine Mitarbeit an HANNIBAL (2013 - 2015) für Freude gesorgt hat und mit THE PUNISHER sein Debüt als Showrunner gibt, baut aus den hingeworfenen Gesteinsbrocken ein Monument.

Natürlich, auch diese Serie ist in erster Linie eine Origin-Story und so werden sämtliche Kästchen pflichtgemäß abgehakt: Das Rachemotiv schwebt über alle 13 Folgen, Frank Castle und Sidekick Micro treffen aufeinander, der Punisher-Dress wird zum ersten Mal vorgeführt, man erlebt wie Billy Russo zu Jigsaw wird und so weiter und so fort. Kein Fan wird wesentliche Bestandteile vermissen und um gleich die Frage aller Fragen ebenfalls vom Tisch zu fegen: Ja, es dürfte sich wohl um die bisher brutalste Adaption des Stoffs handeln, es kommt zu regelrechten Gewaltexplosionen, die mit dem Comic-Splatter der Verfilmungen allerdings nur noch wenig zu tun haben, sondern direkt in die Eingeweide der Zuschauer zielen; wenn's blutig wird, dann tut's weh.

Und hier liegt der Knackpunkt, an dem vielleicht der ein oder anderen Fan abprallen wird: Schmerz und nicht Gewalt ist der zentrale Punkt in THE PUNISHER. Lightfood hat smarterweise eben keine Serie gestrickt, die 13 Folgen von einem Mann erzählt, der den Tod bringt, sondern eine Serie, die 13 Folgen vom Tod erzählt und der Frage nachgeht, was dieser aus Menschen macht, die mit ihm konfrontiert werden und eben diese Frage wird oftmals in einem erstaunlich intimen Rahmen verhandelt - während Showrunner-Kollegen wie Douglas Petrie und Marco Ramirez (DAREDEVIL - SEASON 2, THE DEFENDERS) gerne ein ganzes Arsenal an Figuren auffahren um Inhaltslosigkeit zu übertünchen, fährt der Brite seine Serie selbstbewusst phasenweise zu einem Quasi-Kammerspiel runter, bei dem ganz die Schauspieler, der einfallsreiche Plot und die exzellenten, wunderbar geschliffenen Dialoge im Mittelpunkt stehen. Und da gewinnt dann zum Beispiel eine typische Held-/Sidekick-Konstellation ganz neue Qualitäten, denn David "Micro" Liebermann ist - auch wenn die Grundzüge der Figur beibehalten wurden - in diesem Fall eben nicht der typische, etwas dickliche Geek, der in erster Linie dem Helden zuarbeiten darf, sondern ein durchaus attraktiver, sympathischer Familienvater, der viehisch drunter leidet, dass er abtauchen musste, weil er sich mit den Falschen angelegt hatte, und seine Familie, die ihn für tot hält und deswegen psychisch angeknackst ist, nur noch im Verborgenen durch im Eigenheim installierte Überwachsungsmonitore sehen kann. Für Frank Castle, der Liebermanns Familie anfänglich, wohl wissend, dass er von Micro beobachtet wird, regelmäßig besucht, um ihn unter Druck zu setzen (und dabei, was zusätzlich für Spannungen sorgt, zarte Bande zu seiner Frau knüpft), bedeutet Familie, wie mehr und mehr deutlich wird, vor allem ein Ausgang aus der vom Krieg verpfuschten, irrealen Hölle seines Dasein; ein Anschluss ans echte, normale Leben. Liebermann hat genau das, was Castle sich so sehnlich wünscht, aber für immer verloren hat, Liebermann weiß aber ebenso, dass er nicht mal ansatzweise wie Castle ist, der genau das besitzt (Furchtlosigkeit, Kampfgeist- und auch entsprechende Fähigkeiten), was nötig wäre, um sein Leben wieder in Ordnung zu bringen. Castle wiederum muss erkennen, dass der Mann, der in seinen Augen schmählich seine Familie in Stich gelassen hat, für ihn doch nützlicher ist, als es auf den ersten Augenblick hin scheint, denn mit Brachialgewalt lassen sich nun mal nicht alle Probleme lösen, zudem findet der wortkarge, mürrische Einzelgänger, der schmerzlich erkennen muss, dass beim Militär geschmiedete Männerbündnisse im echten Leben nicht viel wert sind, in dem Tüftler langsam aber sicher einen etwas anstrengenden, aber loyalen Freund, der ihn auch mal zum Lachen bringt und letztendlich die gleichen Feinde hat, was natürlich besonders zusammenschweißt. Das Schöne ist, dass Lightfood es schafft, dass sich die nicht einfache Verbindung dieser beiden Männer organisch anfühlt, indem er den Charakteren viel Zeit einräumt, auch mal das Tempo komplett runter fährt und Frank und David beim Besaufen und Austausch intimer Gedanken zeigt. Das mag auf "Punisher"-Fans, die unter der Franchise in erster Linie Action und Gewalt verstehen vielleicht lahm und enttäuschend wirken, aber es sind eben gerade diese Schlenker in Richtung Charakterdrama, die dem Ganzen eben eine enorme Bodenhaftung geben, die für eine tiefe emotionale Verankerung mit den Figuren sorgen und die - was besonders wichtig ist - auch die Action- und Gewaltszenen in einen Kontext einbinden, denn so eindrucksvoll der Punisher seine Gegner auch fertig macht, er ist kein klassischer Action-Antiheld wie vor allem in den Verfilmungen, bei dieser Interpretation handelt es sich um einen dreidimensionalen Charakter, der den Toten näher ist, als den Lebenden, einen fast vollständig zur Maschine erstarrten Menschen, einen Versinkenden, der sich mit letzter Kraft am Leben klammert und dazu paradoxerweise immer wieder auf das Zurückgreifen muss, was er besten kann, was ihm jahrelang antrainiert wurde: Töten.

Die Komplexität der Punisher-Figur macht Lightfood auch in einem Subplot über einen weiteren, völlig durchdrehenden Kriegsveteranen deutlich, der vor Augen führt, was aus Castle, egal ob man seine Vorgehensweise nun billigt oder nicht, eben auch hätte werden können - es ist aber gerade dieser Wille wieder zum Menschen zu werden und auch sein wenigen Fixpunkte, vor allem Micro und seine Familie, aber auch Karen Page und später Homeland-Agentin Dinah Madani, die ihn immer wieder bremsen, ihn vor ein Abgleiten in den Wahnsinn bewahren oder ihm ganz einfach das Leben retten, denn Frank Castle ist in dieser Variante zwar ebenfalls ein überragender Soldat, aber anders als in vielen der Vorlagen und vor allem den Verfilmungen keine praktisch unkaputtbare Kampfmaschine, sondern muss im Kampf empfindliche Rückschläge hinnehmen, die ihn mehr als einmal fast das Leben kosten.

Das Thema "Tod" betrifft aber nicht nur die beiden Hauptfiguren, auch die Nebenfiguren und selbst einer der Antagonisten haben einschneidende Veränderungen durch den Tod erlebt, dass es die Geschichte bei aller dieser finsteren Tragik trotzdem schafft, sporadisch kleine Humorkrümel zu streuen, spricht für das hohe erzählerische Niveau, zudem werden immer wieder kleine gesellschaftskritische Spitzen gesetzt - die Serie blickt im Gegensatz zu den Vorgängern gerne über ihren Tellerrand hinaus.

THE PUNISHER ist nicht nur die mit bisher mit Abstand beste Marvel-TV-Serie, sondern auch die beste Adaption der Vorlage überhaupt, was gleichzeitig aber auch ein bisschen Angst macht vor Season 2 macht: Es ist zu hoffen, dass die Entscheidungsträger erkennen, dass sich mit Lightfood pures Showrunner-Gold an Bord befindet und der Mann sein Baby auch weiterhin hegen und pflegen darf.

THE PUNISHER - SEASON 1 ist ab dem 17.11.2017 auf Netflix abrufbar!











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