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(Ein gut gemeinter Rat, bevor es losgeht: erst gucken, dann lesen. Schon die Prämisse des vorliegenden Films zu verraten, erfüllt den Tatbestand des Spoilerns, und ohne dem lässt sich darüber wenig mehr schreiben als dies: Es handelt sich um eine gewitzte Variation des Zombiegenres, deren fantastische erste Hälfte im Voraus alles wett macht, was die zweite womöglich verbockt. Wer späte Enttäuschungen schlecht verwindet, sei hiermit mild gewarnt; wer partielle Brillanz dem durchgehaltenen Mittelmaß indes vorzieht, umso deutlicher angespornt.)
Das erste Wort auf der Leinwand lautet typo, Tippfehler. Einen Moment später erweitert es sich um andere Buchstaben links wie rechts, entpuppt sich gewissermaßen als Parasit, der inmitten eines größeren Wirtswortes nistet: PONTYPOOL. Wie in den Namen selbst, hat sich auch in die verschneite kanadische Kleinstadt, die ihn trägt, der Fehlerteufel eingeschlichen, und zwar buchstäblich. Ort des Geschehens ist die lokale Radiostation, in die eines verschlafenen Morgens nebst Wetterbericht und Katzenvermisstenanzeige ein paar äußerst beunruhigende Meldungen einlaufen: von spontanen Mobformationen im Stadtzentrum ist die Rede, von heftig eskalierenden Straßenschlachten und marodierenden Bürgern, die unverständliches Zeug vor sich hinbrabbeln. Von offizieller Seite lässt sich keine Bestätigung einholen, und die Tondokumente, die per Telefon hereinkommen, werden grausiger und grausiger. Langsam wird der kleinen Crew um Moderator Grant Mazzy (Stephen McHattie) klar: Ein Virus verwandelt die Menschen von Pontypool in Zombies – und es überträgt sich über die Sprache...
"How to Do Things With Words" heißt John L. Austins Grundsatzschrift der Sprechakttheorie, die der kanadische Regie-Maverick Bruce McDonald (THE TRACEY FRAGMENTS) hier von ihrer dunklen Seite her aufzäumt: "How to Kill People With Words". Was Pontypool ergriffen hat, sind mitnichten göttliche Zungen, sondern babylonische Sprachverwirrung. Betroffen sind vor allem extrem häufige Verbalkonfektionen, etwa Kosenamen oder Militärtermini, die sich in der end- und gedankenlosen Alltagsrepetition bis zum totalen Bedeutungsverlust abgeschliffen haben. Statt einen Informationsgewinn erzeugt die Quasselinflation bloß sinntötendes weißes Rauschen, das die Betroffenen zu stotternden Kannibalen degenerieren lässt: Die Sprache verschlingt ihre Benutzer, die Benutzer anschließend einander. Was aus Babel wurde, ist bekannt: das endgültige Schicksal von Pontypool dagegen noch ungewiss.
Nicht die originelle Idee allein macht PONTYPOOL zu einer wilden Blume in den Brachweiten des Formelhorrors, sondern die dramaturgischen Konsequenzen, die sich daraus ergeben: Über die komplette Laufzeit verlässt der Filmblick die Radiostation nicht ein einziges Mal. Stimmungsvoll im fensterlosen Keller einer alten Kirche gelegen, lässt sich der virtuelle Terror auf der Tonspur partout nicht mit Bildmaterial verifizieren, was Zuschauer und Protagonisten gleichermaßen die Wände hoch treibt: In einer eleganten Spiegelverkehrung von Orson Welles' legendärem WAR OF THE WORLDS-Broadcast müssen sich die Radiomacher hier selbst fragen, ob sie nicht einem elaborierten Hoax aufsitzen. Die schreckliche Wahrheit ihrer eigenen Meldungen begreifen die Hüter der Nachrichtenhoheit erst lange, nachdem sie sie über den Äther geschickt haben. Wie der Film seine selbst auferlegten narrativen Restriktionen fruchtbar macht, seinem visuellen Informationsvakuum ein gänsehauterzeugendes Unbehagen abringt: das ist vor allem in der ersten Hälfte ganz und gar virtuos.
No news sind in PONTYPOOL gerade keine good news, sondern bescheren dem Bilderjunkie akute Entzugsqualen: Immer wieder sucht Mazzys haltloser Blick den Equalizer, der die einströmenden Klangwellen in eine zitternde dreidimensionale Grafik überträgt. Das Glotz-Placebo zeigt prompt schmachtlindernde Wirkung: Während der Korrespondent von der Wetterstation immer eindringlichere Szenen schildert und parallel die Ausschläge auf dem monochrom grünen Schirm sich verstärken, kann man der optischen Täuschung einer diffusen Abbildrelation zwischen beidem kaum widerstehen. Indem McDonald aus der Vorlage, die zuerst ein Roman und dann ein Hörspiel war, somit eine genuin filmische Problemstellung destilliert, dämpft er auch den arg platten sprachkritischen Subtext: Draußen vor der Tür mag man sich buchstäblich zu Tode labern - drinnen krepiert man dagegen höchstens vor Spannung.
Obwohl PONTYPOOL in der Tradition des Zombiefilms zu Hause ist, sind direkte Vorläufer im Genre schwer auszumachen; allenfalls die Stevie-Wayne-Sequenzen aus THE FOG kommen in den Sinn. Engere Verwandtschaft besteht indes zu Oliver Stones TALK RADIO: Wie dort Barry Champlain, ist auch Grant Mazzy ein unverbesserlicher Agent Provocateur, dessen zynische Art ihn von den großen Jobs geradewegs in die Provinz katapultiert hat. Stephen McHattie spielt ihn genußvoll als wettergegerbten Cowboy mit samtig rollendem Bariton, während Lisa Houle als nassforsche Aufnahmeleiterin alle Hände voll zu tun hat, Mazzys Schmähreden gegen die örtliche Alkoholiker-Community abzuwürgen. Georgina Reilly komplettiert als afghanistanerprobte Praktikantin das Protagonisten-Trio, dessen fabelhafte Etablierung und Dynamik das Fundament für jenen Schrecken zweiter Ordnung legen, auf dem der Film lange Zeit erfolgreich baut: Wir haben Angst, weil die Figuren Angst haben.
Ziemlich genau auf der Hälfte begeht McDonald jedoch einen kapitalen Fehler, der in seiner schreienden Offensichtlichkeit umso frustrierender ist: Er führt eine vierte Hauptfigur ein, einen hektisch plappernden arabischen Arzt, dessen aggressives Chargentum infektiös den gesamten Film befällt. Äußerst unsanft wird man aus der dichten klaustrophobischen Spannung gerissen und findet sich urplötzlich in einer verschrobenen Komödie wieder, wo Menschen nur noch in Pointen miteinander kommunizieren und dazu cartoonesk die Augen aufreißen. Vormals konsistente Charaktermotivationen verwandeln sich in einen Hühnerstall, man möchte den Darstellern ins Gesicht schlagen und bemitleidet sie zugleich für die unlösbare Aufgabe, ihre langsam zerbröselnden Rollen glaubhaft im Griff zu behalten. War die Ungewissheit über die Funktionsweisen des Virus zuvor eine effektive Bedrohungsquelle, wird selbige nun unter allerlei pseudowissenschaftlichem Erklärungshumbug zur konzeptuellen Schwäche umgemünzt: Welche Wörter wie viral wirken und warum, erscheint auf einmal unangenehm willkürlich und faul geskriptet. Am Ende kapituliert der Film vor seinem eigenen Schneid, fällt auf herkömmliche Zuspitzungstaktiken und bescheiden kalkulierte Splattermomente zurück, die das eigens eingeführte Zeigverbot achtlos über Bord werfen. Wiewohl für sich genommen beileibe nicht misslungen, rasselt diese zweite Filmhälfte doch so klumpfüßig in die meisterhafte Balance des Auftakts hinein, dass von PONTYPOOL letztlich das bittersüße Gefühl enttäuschter Liebe zurück bleibt. Man hätte diesem so verheißungsvoll gestarteten Wittgenstein-Schocker gewünscht, sich konsequenter an die eigene Moral zu halten: "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen."
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