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PALERMO SHOOTING (Deutschland 2008)

von Björn Lahrmann

Original Titel. PALERMO SHOOTING
Laufzeit in Minuten. 108

Regie. WIM WENDERS
Drehbuch. WIM WENDERS . NORMAN OEHLER
Musik. IRMIN SCHMIDT
Kamera. FRANZ LUSTIG
Schnitt. PETER PRZYGODDA
Darsteller. CAMPINO . GIOVANNA MEZZOGIORNO . DENNIS HOPPER . MILLA JOVOVICH u.a.

Review Datum. 2008-11-03
Kinostart Deutschland. 2008-11-20

Menschen gibt's, die können partout keine Witze erzählen. Sie verheddern sich in der Chronologie, geraten ins Stocken, müssen wieder und wieder neu ansetzen, und am Ende versemmeln sie noch die Pointe. Dann wiederum gibt es Menschen, die ganz hervorragende Witzeerzähler abgeben, jedoch die schlechte Angewohnheit haben, die Pointe im Nachhinein haarklein erklären zu müssen. Wim Wenders hingegen fällt mit seinem neuen Film PALERMO SHOOTING in eine dritte Kategorie: Er kann den Witz nicht erzählen – und kommt dennoch aus dem Pointenerklären nicht raus.
Das geht schon beim Titel los: PALERMO. Dort wird der Film spielen, zum größten Teil jedenfalls; aber bevor die Reise losgehen kann, muss erst der Name der Stadt in dicken Blocklettern auf einem Schiffskiel erspäht und seine Etymologie – "großer Hafen" – schulmeisterlich aufgedröselt werden. Und SHOOTING, das Schießen mit der Kamera wie auch mit der Waffe: eine Allegorie, so alt wie das fotografische Medium selbst und dementsprechend überreizt. Hier wird sie trotzdem noch einmal aufgefahren, doppelt sogar, in Tat und Wort: ein Foto wird hin-, ein Pfeil zurückgeschossen, und am Ende erklärt der Schütze dem Knipser, dass man ja eigentlich irgendwie fast das Gleiche getan habe, jedenfalls, wenn man sich mal das zugehörige Verb u.s.w.

Der Mann mit der Kamera hört auf den lächerlichen Namen Finn (bzw., nicht minder lächerlich, Campino) und steckt mitten in einer definitionsgerechten Midlife Crisis: er leidet an Schlafmangel und Halluzinationen, hadert mit seinem Beruf als Etepetetefotograf, hört per MP3-Player die Indie-Charts rauf und runter und trägt, was besonders übel ist, schwarze Calvin-Klein-Shorts. Als er sich nach einem Fototermin in Palermo zwecks Abchillung ein paar Tage frei nimmt (gute Wahl, übrigens, von wegen "großer Hafen" und so), tritt ihm dort Gevatter Tod in Gestalt von Dennis Hopper vor die Linse, der auf Schnappschüsse so eklatant pissig reagiert wie oben beschrieben. Gemeinsam mit der Freskenrestaurateurin Flavia (Giovanna Mezzogiorno) begibt Finn sich auf die Suche nach dem düst'ren Bogenschützen.

Ein großer metaphysischer Thriller hat's wohl werden sollen, mindestens vom Rang eines Bergman oder Antonioni (denen der Film gewidmet ist), und tatsächlich fördert das blinde Wühlen im Referenzbaukasten hier nichts als cineastische Fixsterne zutage: Der Protagonist aus BLOW UP rast über den LOST HIGHWAY, und WENN DIE GONDELN TRAUER TRAGEN bricht DAS SIEBENTE SIEGEL. Aber, ach: es mag noch so laut rappeln im Karton – am Ende kommt doch nur ein mickriger kleiner Kastenteufel rausgesprungen. Auf Drehbuchebene jongliert Wenders prahlerisch mit den Ganz Großen Themen in Ganz Großen Buchstaben – Die Zeit, Der Tod, Die Liebe, Das Leben –, kehrt selbige aber bloß zu einem unsortierten Haufen esoterischer Kalendersprüchlein zusammen, deren Fremdschämpotenzial an Körperverletzung grenzt. Schlimm steht es um die Darsteller, die die halbgare Diskurssuppe letztlich auslöffeln müssen: Campino, dessen Finn weniger eine ausgeformte Figur als vielmehr bloßes Thesenventil ist, dilettiert sich gleichförmig planlos durch die Vortäuschung eines Plots und liest seine hochnotpeinlichen Zeilen mit viel falscher Gravitas vom Teleprompter ab. Zum noch größeren Clown macht sich Dennis Hopper als grimmig guckender Sensenmann im grauen Ganzkörper-Makeup, und wenn dann noch Lou Reed als billiger CGI-Geist um die Ecke wabert und onkelhafte Phrasen drischt, fällt einem endgültig das Essen aus dem Gesicht.

Nun ist ja, wie der schlaue Finn an einer Stelle zu dozieren weiß, im Bereich der primär visuellen Künste ist die Oberfläche König, und wer selbige bloß schön auszuschmücken versteht, darf sich auch gern mal ein vergrütztes Skript leisten. Zu dumm nur, dass man PALERMO SHOOTING seine berserkerhaften Originalitätsanstrengungen in jedem einzelnen Frame an der Nase ansieht. V.a. in der ersten Filmhälfte scheint Wenders vor lauter unausgegorenen Bildeinfällen jeck geworden zu sein: er klabastert Traumsequenzen aneinander wie Yps-Gimmicks, willkürlich, ohne Sinn und Verstand, oder eben doch wieder mit allzu offensichtlichem Sinn, wie etwa der Boden, der unter Finns Füßen weggleitet, oder die Schatten riesiger Uhren, die sich in sein Zimmer legen. Der Rest ist ein filmsprachliches Pidgin aus basalstem Horror- und Märchenklischeevokabular, lange Schatten, tote Mütter, skurrile Alte und dunkle Wälder. Düsseldorf, wo der Film startet, sieht aus wie eine zweitverwertete Science-Fiction-Kulisse aus den 80ern, inklusive festungsartigen Designerbutzen, weißverkleideten Großraumbüros und Discos mit technokratischen Interieurs – doch statt Isolation und Entfremdung stellt sich bloß ein Gefühl des bemühten Nichtgelingens ihrer Erzeugung ein. Dazu läuft ununterbrochen ein Soundtrack, der allzu deutlich am Cameron-Crowe-Syndrom leidet: Wenders beweist mit seiner Auswahl zwar exquisiten Geschmack (vertreten sind u.a. The Velvet Underground, Portishead, Bonnie Prince Billy und Nick Cave), weist den Songs aber eine so prominente Stellung zu, dass sich Bild und Musik gegenseitig ins Knie schießen. Was Wenders im Presseheft als Errungenschaft preist – nämlich, dass jeder Song genau die Szene wörtlich kommentiert, in der er zum Einsatz kommt –, ist natürlich in Wahrheit eine Tautologie der aufdringlichsten Sorte, ungefähr so, als würde man der Angebeteten ein Mixtape zusammenstellen, auf dem jeder einzelne Song "I Love You" heißt.

Derlei Subtilitätskiller lauern in PALERMO SHOOTING hinter jeder Ecke: etwa, wenn Finn auf einem Wandgemälde einen apokalyptischen Reiter erblickt und wispert: "Das sieht ja aus wie ein apokalyptischer Reiter"; oder wenn er auf seinem Handy-Display 23 (!) Anrufe in Abwesenheit vorfindet und prompt orakelt: "Wann war ich eigentlich zum letzten Mal so richtig anwesend?" Und so sieht man dieser schnarchlangweiligen Möchtegern-Variante eines intellektuellen Thesenfilms Zeile um Zeile, Szene um Szene beim Implodieren zu: Mit Gewalt wird eine Aura von Kunstsinnigkeit und Bedeutungsschwere erzeugt, die kein Fundament besitzt. PALERMO SHOOTING ist ein Hohlkörper, der sich immer weiter aufbläht mit großen Gesten, leerem Palaver und existenziellen Fragen, deren Beantwortung er großspurig für sich reklamiert – und am Ende sieht man doch bloß wieder zwei Verliebte, die sich in der Morgendämmerung tief in die Augen schauen. Hier gibt es nichts mehr zu zeigen, nur noch zu bebildern mit pittoresken Ansichten von Palermos Seitenstraßen und grasenden Schafen in den Rheinwiesen – aber hinter diesen Bildern ist nichts, sie sind eine Fototapete für einen Raum, in dem niemand mehr lebt.

Nirgends macht der Film sein wortreiches Scheitern deutlicher als bei der finalen Aussprache Finns mit dem Tod, der mit einem kruden Lamento über die verlorene Authentizität analoger Bilder im digitalen Zeitalter wohl sowas wie medientheoretische Transzendenz anpeilt, aber höchstens das Niveau eines Verkaufsgesprächs beim Media Markt erreicht. "I don't like talking about things too much," hat David Lynch einmal gesagt, "because when you talk about it, a big thing becomes smaller." Genau darin unterscheiden sich seine Filme (und die von Nicolas Roeg und auch Antonioni) von Wenders' Jüngstem: Sie haben nichts eigentlich Konkretes zu sagen, sondern begnügen sich mit den hauchzarten Assoziationgespinsten, die ihre freischwebenden Albtraumbilder zu weben vermögen. Um noch einmal den Vergleich vom Anfang zu bemühen, erzählen diese Regisseure etwas, was einem Witz verteufelt ähnlich sieht, verweigern dann aber mit diabolischer Chuzpe jedwede Pointe. Nur dort, im Vagen, ist filmische Magie zu suchen. Wenders hingegen entpuppt sich mit PALERMO SHOOTING als tölpelhafter Taschenspieler, der dem Publikum pausenlos seine billigen Tricks verrät – und damit riskiert, dass man nach Ende der Vorstellung nichts mehr für ihn übrig hat als Kopfschütteln und hämisches Gelächter.











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