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NADER UND SIMIN - EINE TRENNUNG (Iran 2011)

von David Leuenberger

Original Titel. JODAEIYE NADER AZ SIMIN
Laufzeit in Minuten. 123

Regie. ASGHAR FARHADI
Drehbuch. ASGHAR FARHADI
Musik. nicht bekannt
Kamera. MAHMOOD KALARI
Schnitt. HAYEDEH SAFIYARI
Darsteller. LEILA HATAMI . PEYMAN MOADI . SHAHAB HOSSEINI . SAREH BAYAT u.a.

Review Datum. 2011-06-21
Kinostart Deutschland. 2011-07-14

Das Familiendrama NADER UND SIMIN - EINE TRENNUNG gewann dieses Jahr als erster iranischer Film den Goldenen Bären bei der 61. Berlinale. Ob diese Preisvergabe angesichts der revolutionären Unruhen in arabischen Ländern seit Anfang des Jahres politisch motiviert ist, sei dahingestellt. Vom künstlerischen Standpunkt aus betrachtet ist sie auf jeden Fall gerechtfertigt. Die aktuellen Debatten um die Perspektiven der Demokratisierung von überwiegend autoritär regierten muslimischen Staaten lädt auf den ersten Blick den Zuschauer zum Versuch einer politischen Lesart von Asghar Farhadis Film ein. Doch eine solche würde den Fokus von der außerordentlich gekonnt erzählten Geschichte ablenken.

Bleiben oder nicht bleiben? Während Nader (Peyman Moadi) sich für Ersteres entscheidet, will Simin (Leila Hatami) ins Ausland gehen. Um dies zu verwirklichen, wollten sie sich scheiden lassen. Die Frage kommt auf, ob die Teenager-Tochter Termeh (Sarina Farhadi) mit der Mutter ins Ausland fährt oder beim Vater in Teheran bleibt. Sicher ist, dass der an Alzheimer erkrankte Opa (Ali-Asghar Shahbazi), Naders Vater, bleiben muss und Pflege braucht. Nader engagiert zu seiner Entlastung Razieh (Sareh Bayat), die von der schwierigen Pflegearbeit schnell überfordert ist. Als Nader eines Tages zurückkommt und sieht, dass sie aus Verzweiflung den kranken Opa ans Bett gebunden hat, wirft er sie energisch aus der Wohnung. Dabei stürzt sie und erleidet eine Fehlgeburt: sie war in der 18. Woche schwanger. So beginnt eine Tragödie, die die beiden Familien nicht nur zu aufreibenden Gerichtsterminen führt, sondern an der sie auch beide zu zerbrechen drohen.

Dem Regisseur Asghar Farhadi ist ein überaus fesselnder Film gelungen. Die Fragen nach dem Zusammenhalten und Zerbrechen von Familien behandelt er in einer vielschichtigen Art und Weise. Die Geschichte birgt im Kern zwar die Gefahr einer potentiellen Rührseligkeit, entwickelt sich aber in einem positiven Sinne zu einem unsentimentalen Film, der von seinen starken Figuren lebt. Bis in die kleinste Nebenrolle ist NADER UND SIMIN - EINE TRENNUNG brillant besetzt. Doch Peyman Moadi sticht selbst im exzellenten Ensemble noch heraus. Den Silbernen Bären in Berlin hat er sich für die bewegende Darstellung des Nader reichlich verdient. Alle Charaktere des Films werden stark differenziert gezeichnet. Alle haben gute Intentionen, verstricken sich aber in Lügen, Misstrauen und gegenseitigen Vorwürfen, und dies meist aus Sorge um eine andere, geliebte Person. Und statt Erlösung zu finden, bringen sie sich in immer größere Verstrickungen. NADER UND SIMIN - EINE TRENNUNG kennt weder Schwarz noch Weiß, sondern nur meliertes Grau. So ist Nader am Anfang eine überaus positive Figur: trotz Probleme in seiner Ehe ist er seiner Tochter ein vorbildlicher Vater und seinem Vater ein fürsorgender Sohn. Doch im weiteren Verlaufe lädt er auch sehr viel Schuld auf sich. Hodjat (Shahab Hosseini), Raziehs Ehemann, tritt zunächst als negative Figur in Erscheinung: jähzornig, verbal aggressiv und latent gewalttätig. Später entpuppt er sich jedoch als Opfer unglücklicher Umstände: arbeitslos, mit Gläubigern am Hals und mit einer zermürbenden psychischen Krankheit. Farhadi verurteilt seine Figuren dabei keinesfalls, sondern lässt sie eben auch in ihren Schwächen menschlicher wirken.

Über den einzigen Wermutstropfen des Films kann man relativ schnell hinwegsehen: in einigen Momenten droht er, sich zu einem reinen Gerichtsdrama zu entwickeln und damit den Fokus auf die engeren menschlichen Konflikte zu verlieren. Dies soll gleichwohl nicht den überaus positiven Gesamteindruck trüben. Durchweg mit Handkamera gedreht, hat NADER UND SIMIN - EINE TRENNUNG eine sehr dynamische Ästhetik, ohne jedoch dabei auch nur eine Sekunde hektisch (oder gar verwackelt) zu wirken. Somit gelingt es Farhadi, eine Familientragödie so kraftvoll zu inszenieren, wie etwa Fassbinder es nur selten konnte.











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