AFTER DARK Film TALK Facebook Twitter

das manifest¬  kontakt¬  impressum¬  verweise¬  übersicht¬ 
[   MEINUNGSMACHER  |   GEDRUCKTES IST TOT  |   KAPITELWAHL  |   UNENDLICHE TIEFEN
   MENSCHEN  |   GESPRÄCHE  |   FEGEFEUER DER EITELKEITEN  |   MIT BESTEN EMPFEHLUNGEN   ]
MEINUNGSMACHER

DER NACHTMAHR (Deutschland 2015)

von André Becker

Original Titel. DER NACHTMAHR
Laufzeit in Minuten. 88

Regie. AKIZ
Drehbuch. AKIZ
Musik. CHRISTOPH BLASER . STEFFEN KAHLES
Kamera. CLEMENS BAUMEISTER
Schnitt. AKIZ . ANNA-KRISTIN NEKARDA . PHILIPP VIRUS
Darsteller. CAROLYN GENZKOW . SINA TKOTSCH . LYNN FEMME . WILSON GONZALEZ OCHSENKNECHT u.a.

Review Datum. 2016-05-22
Kinostart Deutschland. 2016-05-26

Abermals tanzt die Jugend auf Messers Schneide. Die vielbeschworene Teenage Angst ist dabei nicht nur ein beständiges Motiv der Pop- und Rockmusik, sondern gleichsam klassisches Dauerthema zahlreicher Independent-Filme. Die Krisenhaftigkeit der Adoleszenz dient auch DER NACHTMAHR als narrative Ausgangsbasis. Regisseur Akiz nutzt für seinen, mit mehreren hoffnungsvoll aufspielenden Jungschauspielern besetzten, Film verschiedene Genre-Elemente und formt daraus einen rauschhaften Seelenstriptease, der zwischen Psychogram und leisem Horror oszilliert.

Erzählt wird die Geschichte von Tina (überzeugend: Carolyn Genzkow), einem jungen Mädchen aus gutem Hause, kurz vor dem Abitur und damit auf der Schwelle zum Erwachsenwerden. Auf den ersten Blick wirkt das Leben der Jugendlichen vollkommen normal. Zwischen öden Schulstunden, durchzechten Party-Nächten und den Irrungen und Wirrungen eines Teenagerdaseins hat sich jedoch ein dunkler Schatten über ihren vermeintlich sorglosen Alltag gelegt. Zuerst nachts, dann auch bei Tageslicht sieht Tina ein seltsames Wesen, das mit ihr auf geheimnisvolle Weise in Verbindung steht. Ihre Eltern und Freunde schenken ihr natürlich keinen Glauben und machen für das Auftauchen der mysteriösen Gestalt Tinas labile Psycho verantwortlich. Nach und nach werden sie allerdings eines Besseren belehrt, denn das Wesen scheint viel mehr zu sein, als das Hirngespinst einer verwirrten Seele.

Segen und Fluch zugleich: DER NACHTMAHR bleibt seinem Publikum weitgehend Erklärungen für die ominösen Ereignisse schuldig. Was will das Wesen? Welchem Ursprung entstammt es genau? Was ist das Geheimnis seiner Existenz? All dies und noch einiges mehr lässt der Film mehr oder minder im Dunkeln. Stattdessen gibt es verschiedene Andeutungen (angelegt ist das Werk als erster Teil eines filmischen Triptychons über Geburt, Liebe und Tod), die man als Raum für Interpretationen verwenden kann. Dies kann man mögen oder nicht. Schlussendlich bewahrt sich die Produktion dadurch eine dringliche, sehr dichte Atmosphäre. Bisweilen wirkt das mehrdeutige Spiel mit dem Unkonkreten aber streckenweise auch zu bemüht und zu stark auf die Aufladung mit, meist nebulöser, Bedeutung getrimmt.

DER NACHTMAHR funktioniert am ehesten als düsteres Jugenddrama, welches gleichsam Einblicke in das Milieu der gehobenen Mittelschicht mitliefert. Durchaus pointiert versteht es der Film Bilder für die (nicht räumlich gemeinte) Enge eines gutbürgerlichen Zuhauses zu liefern. Der stets mitschwingende Generation Gap, der in einem permanenten Nicht-Verstehen des jeweils anderen kulminiert, ist dem Film als roter Faden eingeschrieben. Hier kann die Produktion überzeugen, ungeachtet der Tatsache, dass das Drehbuch unterm Strich zu wenig Substanz für ein echtes Generationenportrait bereit hält.

Leider schafft es die Low-Budget-Produktion nicht seinem Publikum einen richtigen Zugang zu seinen Figuren anzubieten. Man bleibt auf Distanz, was vorwiegend daraus resultiert, dass die Protagonisten nicht genug Tiefe besitzen. Insbesondere Tinas Peer group (u.a. Wilson Gonzalez Ochsenknecht) und vor allem ihre Eltern (Arnd Klawitter, Julika Jenkins) hätten wesentlich mehr Profilschärfe benötigt, um diesbezüglich als realitätsnahe Charaktere durchzugehen. So wirken die teils arg ungelenk aufgesagten Dialoge kaum authentisch und eher improvisiert als durchdacht. Auch mit seiner Hauptfigur weiß der Film mitunter nicht weiter. Eine Entwicklung ist zwar sichtbar, im Endeffekt bleiben aber zu viele Leerstellen und lediglich angerissene Charaktereigenschaften die nicht wirklich zusammen finden wollen. Negativ fällt zudem ins Gewicht, dass keine echte Spannung aufkommen mag und die Zuspitzungen rund um den Nachtmahr insgesamt wenig aufregend daherkommen.

Obwohl der Film in seiner Zielausrichtung nicht explizit Genre-Erwartungen bedienen will, so arbeitet er doch mit mehreren Horrormotiven. Diese werden jedoch nicht wirklich ausartikuliert. Sie laufen vielmehr nebenher, was unmittelbar dazu führt, dass der Dramaturgie wenig Platz zur Entfaltung zugewiesen wird und die vereinzelt eingesetzten Thrills auf Sparflamme ablaufen. Wirklich gelungen ist dagegen das Design des Nachtmahrs. Trotz der geringen finanziellen Mittel wird diesbezüglich ein maximaler Effekt erzeugt. Das Ergebnis ist jedenfalls für einen Independent-Film beachtlich. Darüber hinaus gelingt es DER NACHTMAHR in seinen zahlreichen ausgedehnten Club-Szenen eine sehr greifbare, außerweltliche Stimmung zu kreieren. Man fühlt sich mitgerissen und hineingesogen in eine unwirkliche Scheinwelt voller dröhnender Bässe und greller Lichter. Akiz beschwört hier ein hedonistisches Lebensgefühl, das nicht nur Erlösung (vom Horror der Adoleszenz?, vom Gefängnis der eigenen Ängste?) verspricht, sondern bei dem immer auch eine unergründlich dunkle Seite mitschwingt.

In der Gesamtbetrachtung ist DER NACHTMAHR zweifelsohne ein nicht uninteressantes Werk. Trotz der nicht wegzudiskutierenden Mängel ist es dem deutschen Independent-Film zu wünschen weiterhin derartig experimentierfreudige und unangepasste Filme jenseits selbstverliebter und oftmals furchtbar bräsig inszenierter Beziehungsdramen hervorzubringen. Potential, was es zu nutzen und auszubauen gilt, ist auf jeden Fall vorhanden und wird von dem Filmemacher Akiz hoffentlich bei seinem nächsten Output gewinnbringend eingesetzt.











AFTER DARK Film TALK | Facebook | Twitter :: Datenschutzerklärung | Impressum :: version 1.20 »»» © 2004-2024 a.s.