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MY TALK WITH FLORENCE (Österreich 2015)

von Andrea Sczuka

Original Titel. MY TALK WITH FLORENCE
Laufzeit in Minuten. 129

Regie. PAUL POET
Drehbuch. PAUL POET
Musik. PETER BRUNNER . GEORG TOMANDL
Kamera. JOHANNES HOLZHAUSEN
Schnitt. ANDI WINTER
Darsteller. FLORENCE BURNIER-BAUER . PAUL POET u.a.

Review Datum. 2016-03-05
Kinostart Deutschland. 2016-01-14

Der Film MY TALK WITH FLORENCE, ein Interview von Paul Poet mit Florence Burnier-Bauer, ermöglicht einen Einblick in die Kommune Friedrichshof, die 1972 vom 2013 verstorbenen Otto Mühl gegründet wurde. Er gilt als der Begründer der so genannten Kunstform Wiener Aktionismus, die extrem gewalttätig und mehr als nur provokant war.

Florence Burnier-Bauer war 10 Jahre in der Kommune. Der Wunsch nach Freiheit und Sicherheit in Verbindung mit Unwissenheit führte sie von ihrem bisherigen Leidensweg auf einen Neuen.

Im ersten Teil des Interviews erzählt sie aus der Zeit vor dem Leben in der Kommune. Sie beginnt mit ihren frühesten Erinnerungen aus einer Kindheit in einer bourgeoisen, französischen Familie der Nachkriegszeit. Mit 17 Jahren läuft sie aus einem Zuhause fort, in dem sie unter anderem vom Großvater seit frühester Kindheit sexuell missbraucht wurde. Die daraus resultierenden Probleme in der Schule und im Umgang mit anderen Menschen begründeten die Eltern mit psychischen Störungen und wiesen sie mehrmals in psychiatrische Kliniken ein. Florence beschreibt die Ignoranz der Eltern bezüglich des Missbrauchs.

Bis sie in die Kommune kommt, lebt sie auf der Straße. Sie beschreibt ihre Versuche zu überleben - physisch, aber auch psychisch. Florence erklärt, warum sie von verschiedenen Männern drei Kinder bekommen hat und auch, dass der Wunsch sie gut aufgehoben zu wissen, ein wichtiger Aspekt bei der Entscheidung für die Kommune gewesen ist. Sie und ihre Kinder wurden nach einer "Bewerbungsphase" aufgenommen. In die abgeschottete Gemeinschaft einzutreten war schwierig.

Im zweiten Teil des Films beschreibt sie ihr Leben in der Kommune. Ihre Erzählung zeigt das Funktionieren einer Sekte auf und man findet Erklärungen für die Entscheidungen jener, die ihr beitreten. Die Beschreibungen zeigen auch die Doppelmoral und den Machtmissbrauch jener, die von ihren Anhängern die Macht dazu erhalten.

Sie berichtet vom straff durchorganisierten Alltag, in dem bis zur letzten Minute und bis in die intimsten Details alles geregelt wurde. Von der versprochenen Freiheit blieb nichts übrig. Von einer sicheren Zukunft für ihre Kinder konnte auch keine Rede mehr sein. Florence erzählt wie alle Kinder von ihren Eltern isoliert wurden und von jenen die die Kommune leiteten missbraucht wurden. Es wird schnell klar, dass die Kommune lediglich eine Pädophilen-Sekte ist, die ihre Mitglieder zu Sklaven für alle Bedürfnisse der Leiter macht.

Viele wollten die Kommune verlassen. Jedoch war dies nicht gestattet und es gab zahlreiche Fluchtversuche. Florence versuchte es auch mehrfach.

Wie kann es sein, dass eine solche Kommune wie der Friedrichshof - in diesem Fall in Österreich - überhaupt und so lange existieren konnte und heute in Portugal weiter existiert? Florence gibt darauf eine Antwort. Auch als Mitglied eines unteren Ranges hatte sie später die Möglichkeit einen der Gründe zu sehen. Otto Mühl verkaufte sich als Künstler und pflegte Kontakt zu einigen Politikern der Umgebung. Florence erzählt von seinen Versuchen renommierte Künstler auf den Friedrichshof einzuladen, um die Besuche publik zu machen und so für sich in eigener Sache zu werben. Des Weiteren hatten er und seine Vertrauten in der Welt außerhalb der Kommune Unternehmen, die halbseidene Geschäfte, unter anderem mit Versicherungen, machten. Dadurch und durch die finanziellen Mittel derjenigen, die der Kommune beitraten, konnten sie sich finanzieren.

Otto Mühl und seine engsten Vertrauten orientierten sich an der Vorstellung von Sokrates, eine Gesellschaft zu schaffen, in der traditionelle Familienbilder keinen Platz haben. Jeder kann mit jedem Geschlechtsverkehr haben, Kinder werden nicht von den Eltern erzogen, sondern von staatlichen Institutionen und sie sollen nach Regeln entstehen, die vom Staat vorgeschrieben sind. Das soll heißen, der Staat entscheidet wer mit wem ein Kind zeugen darf und die Regelungen für die Reproduktion basieren auf der Eugenik. Mühl und Co. übernahmen diese Vorstellung nicht nur, sie erweiterten sie durch die Pädophilie. Er und seine Verbündeten schufen sich einen Raum, in dem sie sich selbst jede Freiheit zugestanden und allen anderen jede Freiheit nahmen.

Das Interview mit Florence zeigt viele Problemstellen der Gesellschaft auf. Selbst das Gerichtsverfahren, in Zuge dessen Otto Mühl zu wenigen Jahren Haft verurteilt wurde, beschreibt sie. Dank ihrer Erläuterungen wird ersichtlich, dass es auch in der Rechtsprechung noch vieles zu verbessern gilt und die Justiz für Fälle dieser Art nur wenige Mittel zur Wahrheitsfindung hat und so kaum zu etwas gelangen kann, das als gerechtes Urteil gesehen werden kann und die Opfer - in diesem Fall vor allem die Kinder - nicht die Hilfe bekommen, die sie benötigen würden.

MY TALK WITH FLORENCE ist ein bewegendes Interview, das uns die Zerbrechlichkeit des Menschen und seine Grausamkeit gleichermaßen vor Augen führt. Während des ganzen Interviews hält sie eine Puppe im Arm, sich an ihr fest und ihr Blick, ihre noch vor Schrecken geweiteten Augen lassen erahnen, was in ihr vorgehen mag.











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