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MILK (USA 2008)

von Stefan Rybkowski

Original Titel. MILK
Laufzeit in Minuten. 128

Regie. GUS VAN SANT
Drehbuch. DUSTIN LANCE BLACK
Musik. DANNY ELFMAN
Kamera. HARRIS SAVIDES
Schnitt. ELLIOT GRAHAM
Darsteller. SEAN PENN . JAMES FRANCO . JOSH BROLIN . EMILE HIRSCH u.a.

Review Datum. 2009-01-26
Kinostart Deutschland. 2009-02-19

Bis heute gelten die USA als jenes westliche Land, das die größten Probleme mit Homosexualität hat. Da scheint es also nicht groß zu verwundern, dass gerade hier eine der größten Schwulenbewegungen der Geschichte stattfand. Ihr Vater: Harvey Milk, ein Mann, der als erster offen schwuler Beamter ein kalifornisches Amt besetzte. Dass es bis dahin jedoch ein weiter Weg war – erst Recht im homophoben und christlich-konservativen Amerika – zeigt nun Gus Van Sants Biopic MILK, das schon in seinen ersten Minuten klar macht, welchen Weg es einschlagen wird. Hollywood hat sich in den letzten Jahren ja vieler Größen der Geschichte angenommen und sich dabei stets auf bewährte Rezepte verlassen: zuerst führt man seinen Protagonisten ein, danach zeigt man anderthalb Stunden seine Höhen und Tiefen, nur um das Ganze schließlich mit ordentlich Pathos und Heldentum zu beenden und den Kreis zu schließen. Und wieder hat uns Hollywood erfolgreich eine Figur (zurück) in die Köpfe gebracht.

Wir schreiben das Jahr 1978, Harvey Milk (Sean Penn) sitzt an seinem Küchentisch und diktiert dem Rekorder seine wichtigsten Gedanken über sein Leben. Das alles macht er für den Fall seiner Ermordung. Er weiß nämlich nicht nur, dass er allein am Tisch sitzt und diktiert, sondern auch, dass er in diesem Amerika ein gefährliches Leben führt. In der Küche herrscht Totenstille, Milk weiß, dass ihm keiner außer seinen Freunden geblieben ist. Kein Mann an seiner Seite, der ihn liebt und mit ihm durch all die vielen Höhen und Tiefen geht, die sein Leben bereithält. So war es aber nicht immer, denn auch er war nicht von Anfang an der erfolgreiche Stadtrat, der seine Gesetzentwürfe meist mit Erfolg durch die Abstimmung bringt. Milk war einer von ihnen, einer von jenen Schwulen, die in den Tag hineinleben, stets einen Partner an ihrer Seite haben und permanent schief von ihren Mitbürgern angeschaut oder gar diskriminiert werden. Ihr größter Feind dabei: die Exekutive des Staates, die Polizei. Milk will dem endlich ein Ende setzen, wird aktiv und weiß schon bald einen riesigen Mob hinter sich.

"I am not a candidate, I am part of a movement. The movement is the candidate.", und dennoch steigert er sich immer weiter hinein, so dass ihm sein Lebensgefährte (James Franco) schon bald den Rücken kehrt. Obwohl Milk bei den ersten drei Wahlen stets als Verlierer von dannen zieht, gibt er nicht auf – bis es schließlich klappt und er gewählt wird. Irgendwann wird der Zeitpunkt erreicht, an dem es unklar scheint, ob Milk wirklich immer noch für die Schwulen und Lesben kämpft oder für sich und seine eigene politische Karriere. Und so verliert er schließlich auch seine zweite große Liebe, die einmal mehr nicht mit dem ständigen Rummel um die Person Harvey Milk klarkommt. Es sind ebenjene Szenen, die zeigen, dass auch dieser vermeintliche Kämpfer ein harmonisches Familienleben suchte. Milk kommt von der Arbeit nach Hause, da steht das Essen, gekocht von seinem Partner, bereits fertig auf dem Tisch. Schnell noch die Kerze angezündet und fertig ist das Familienidyll. Man(n) ist an einem Punkt angelangt, an dem man eindrücklich zu verstehen bekommt, dass es keine Rolle spielt, ob es nun eine Frau ist, die zu Hause wartet oder eben ein Mann.

MILK ist voll von diesen Momenten. Einerseits sind es Momente, die Verständnis und Akzeptanz schüren und Momente, die auf Unverständnis treffen. Am eindringlichsten ist sicherlich jener Moment, wenn das Gleichstellungsgesetz in Kalifornien endlich errungen wird. Dass es solch eines langwierigen Prozesses bedarf, nur um zu erreichen, dass homosexuelle und straighte Bürger gleiche Rechte besitzen, erscheint aus heutiger Sicht fast schon lächerlich. Und dennoch besitzt auch die heutige Gesellschaft noch gewisse Vorbehalte, das Verbot der Homoehe ist dabei sicherlich nur der Tropfen auf den heißen Stein. Das Rezept geht also in der Tat voll auf, denn es ist noch nicht einmal das Ende des Filmes erreicht, da machen Van Sants Bilder schon eines ganz deutlich: was dieser Mann erreicht hat, ist selbst heute noch von großer Bedeutung, vor allem in einem Land wie den USA. Mit Originalmitschnitten aus TV-Interviews mit Christkonservativen – die damals wie heute die gleichen Parolen von sich geben –, steht MILK für Toleranz ein, Toleranz, ja Akzeptanz, für die eigentlich nie hätte gekämpft werden sollen, so grundsätzlich wie Menschen- oder Bürgerrechte scheinen diese doch. Man macht also von der vollen Emotionspalette Gebrauch, und das ist hier nicht einmal negativ zu verstehen, im Gegenteil. So oft Van Sant auch auf Affektkino setzen mag, so ist das Anliegen von MILK im Kern doch ein zutiefst humanistisches, das ob seiner Prämisse nahezu indiskutabel erscheint.

Doch gerade gegen Ende des Filmes überwiegt das Pathos. Milk steht kurz vor seinem Tod durch seinen Kollegen Dan White (Josh Brolin), da gleitet MILK wieder in die übliche Genrebahn, heroisiert Milks letzte Sekunden und macht ihn schließlich zum Märtyrer. Ein Märtyrer, der zweifelsohne – das hat der Film gerade ob der einen oder anderen Länge deutlich gemacht – ein solcher war, schaut man zurück auf sein Werk. So ist es schließlich auch dieses Werk, das im Zusammenspiel mit einem Sean Penn in der Rolle seines Lebens das Ganze aus seiner Hollywood'schen Konventionalität heraushebt. Wenn auch nicht ganz. Es bleibt ein Nachgeschmack. Ein Nachgeschmack, der Längen verdeutlicht, Szenen hervorbringt, die den bekannten Mustern folgen und nur so nach (Award-)Anerkennung schreien. Es erscheint schon fast paradox: ein Mann, der keine Hollywoodgröße ist, wird hollywoodtypisch aufbereitet – vielleicht zeigt es aber auch nur einmal mehr, dass Harvey Milk doch irgendwie anders war.











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