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DER MANN, DER NIEMALS LEBTE (USA 2008)

von Björn Lahrmann

Original Titel. BODY OF LIES
Laufzeit in Minuten. 128

Regie. RIDLEY SCOTT
Drehbuch. WILLIAM MONAHAN
Musik. MARC STREITENFELD
Kamera. ALEXANDER WITT
Schnitt. PIETRO SCALIA
Darsteller. LEONARDO DICAPRIO . RUSSELL CROWE . MARK STRONG . GOLSHIFTEH FARAHANI u.a.

Review Datum. 2008-11-14
Kinostart Deutschland. 2008-11-20

Gott sieht bekanntlich alles. Hoch droben am Firmament thront sein wachsames Auge, und wer im richtigen Moment hinaufschielt, kann es sogar kurz aufblitzen sehen wie das Monokel eines strengen preußischen Offiziers. Roger Ferris (knurrig: Leonardo DiCaprio) kennt dieses Blitzen nur zu gut: Er ist als Undercover-Agent für die CIA im Mittleren Osten tätig, und der himmlische Lichtreflex, der ihn jederzeit auffliegen lassen kann, ist nichts anderes als der Spionagesatellit, mit dessen Hilfe ihn sein Einsatzleiter Ed Hoffman (Russell Crowe) auf Schritt und Tritt überwacht. Von göttlicher Weisheit kann indes nicht die Rede sein: Schon des Öfteren, so ahnt man, musste Ferris für Hoffmans taktisch insuffiziente Fernbefehle, die vorrangig auf Kamerabildanalysen und sonstigem Papierkram basieren, die Rübe hinhalten. Gleich zu Beginn werden wir Zeuge solch einer schlampig orchestrierten Aktion à la Langley, bei der ein iranischer Kontaktmann stirbt und Ferris angepisst und reichlich lädiert im Militärkrankenhaus erwacht, wo Hoffman bereits mit selbstgerechtem Grinsen und der nächsten Mission auf der Bettkante hockt.

Hoffman ist die bei weitem interessanteste Figur in Ridley Scotts 18. Regiearbeit DER MANN, DER NIEMALS LEBTE. Crowe spielt ihn mit saturierter Nonchalance als verfetteten Tanzbären in Schlabberklamotten, der genau das illustriert, wovor er die ganze Zeit selber warnt: die Abkoppelung des hypertechnisierten Sesselpupserismus von der mühseligen Bodenrealität des War On Terror, bei der eben nicht grobe Übersicht, sondern Detailarbeit zählt: der richtige Bartwuchs, das unauffällige Halten einer Tasse Tee, die Feinheiten arabischer Dialekte. Während Ferris' Verstrickung in die fremde Kultur eine persönliche, geradezu körperliche ist – nach einer Explosion steckt ihm der Gegner in Form von Knochensplittern buchstäblich im Leib –, hat Hoffman für solcherlei Finessen kein Gespür: Er operiert meist von zu Hause aus, schlurft im Bademantel durch seine Vorstadtvilla und nuschelt seine Befehle beiläufig in die Freisprecheinrichtung, während er seinem kleinen Sohn gerade beim Pinkeln hilft (was das Verhältnis zwischen ihm und Ferris aufs Köstlichste umschreibt). Die größte Stärke des Terrorismus ist zugleich Hoffmans ärgstes Defizit: wo dort der Rückzug ins Private zur perfiden Gewalteffizienzsteigerung genutzt wird, sorgt er hier für eine strategisch-moralische Kurzsichtigkeit, die konstant die falschen Mittel zum falschen Zweck einsetzt und jegliche Verluste, da sie aus der medialen Distanz nur noch virtuell erscheinen, mit einem Schulterzucken zu den Akten legt.

Nun ist dies im Kern aber leider kein Film über Hoffman oder das Spannungsfeld zwischen dem eye in the sky und dem guy on the ground, sondern ein so ziellos wie stillos runtergedrehter Agententhriller, dessen modischer Tagespolitik-Chic bloß der Kolorierung seines formulaischen Plots dient: Auf der Jagd nach dem Superterroristen Al-Saleem, der seit geraumer Zeit mit Anschlägen auf dem europäischen Festland von sich reden macht, verschlägt es Ferris nach Jordanien, wo die erste Stunde des Films in zäher Unverständlichkeit an einem vorbeizieht. Zusammen mit dem ortsansässigen Geheimdienstchef Hani (Mark Strong), der die testosteronglibbrige Aura eines Seifenopernfieslings verströmt, heckt Ferris immer wieder irgendwelche undurchsichtigen Angriffspläne aus, die dann durch ebenso undurchsichtige Betrügereien wieder zunichte gemacht werden. Obwohl dabei mit zünftiger Action weitgehend gegeizt wird – dafür steht leider der falsche Scott-Bruder hinter der Kamera –, hat Leo am Ende trotzdem ein paar Narben mehr im Gesicht und bandelt zu allem Übel auch noch mit einer einheimischen Krankenpflegerin an. Die wiederum hat eine Schwester, mit der es sich trefflich über amerikanische Interventionspolitik streiten lässt, sowie zwei knuffige Neffen, die gern Football gucken und am liebsten Hamburger und Spaghetti essen – so lob' ich mir meine Völkerverständigung!

In der zweiten Hälfte scheint der Plot dann in MISSION: IMPOSSIBLE-artige Trickbetrugsgefilde zu driften: Mittels gestellter Fotos und inszenierter Anschläge kreiert Ferris eine terroristische Konkurrenzorganisation, die den Egomanen Al-Saleem aus der Reserve locken soll. Da der Film sich Spaß im engeren Sinne aber strikt verwehrt, wird daraus kein list- und lustvolles con man movie, sondern ein bleischwerer Klagegesang auf eine Welt ohne Vertrauen und die Bürde des allseitigen Betrugs – was angesichts des Genres, in dem man sich bewegt, fast ans Absurde grenzt: schließlich ist gegenseitiges Dauerbescheißen die Essenz des Spionagefilms. Leo hingegen zieht über jeden neuerlichen Verrat eine Schnute, als hätte er beim Unterschreiben des Arbeitsvertrags das Kleingedruckte überlesen. Der einzig wirklich Behumste in diesem Film ist allerdings der Zuschauer, der in der unnötigen Wirrheit des Plots konsequent um potentielle Spannungs- und Überraschungsmomente betrogen wird. Auch Ridley Scotts Regie gerät im konfusen Lügengestrüpp (bzw., so der Originaltitel, BODY OF LIES) von William Monahans Drehbuch gehörig ins Straucheln, reiht witzlos und altersmüde eine unübersichtliche Massenszene an die nächste, ohne sich um die logische Verknüpfung von Details zu kümmern. In dieser Hinsicht gleicht Scott eben nicht Gott, sondern eher Ed Hoffman. Demnächst, so munkelt man, soll Ridley eine Spielfilmversion von Monopoly (ja: dem Brettspiel) auf die Leinwand bringen. Es steht zu befürchten, dass er dort – auf kleinstem Raum mit rechten Winkeln – mittlerweile besser aufgehoben ist.











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