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DIE LEICHE DER ANNA FRITZ (Spanien 2015)

von Robert Zetzsche

Original Titel. EL CADÁVER DE ANNA FRITZ
Laufzeit in Minuten. 76

Regie. HÈCTOR HERNÁNDEZ VICENS
Drehbuch. ISAAC P. CREUS . HÈCTOR HERNÁNDEZ VICENS
Musik. TOLO PRATS
Kamera. RICARD CANYELLAS
Schnitt. ALBERTO BERNAD
Darsteller. ALBERT CARBÓ . ALBA RIBAS . BERNAT SAUMELL . CRISTIAN VALENCIA u.a.

Review Datum. 2015-12-29
Kinostart Deutschland. nicht bekannt

Nun kann man von Filmen über Frauenleichen nicht erwarten, moralisch unangetastet zu bleiben. Der Tod ist ein Thema, das man sich im alltäglichen Leben durch verschiedene Neurosen oder zumindest striktes Ignorieren ertragbar macht. Was vergegenständlicht den Tod aber deutlicher, unverweigerlicher als eine Leiche? DIE LEICHE DER ANNA FRITZ nutzt seine titelgebenden Frauenleiche nicht zur tieferen Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit. Der Film hat es auf die Tabus abgesehen, die das Thema umgeben. Für halbe Sachen im Sittenbruch fehlt Regisseur Hèctor Hernández Vicens sowohl die Geduld als auch die Spielzeit (70 Minuten).
Der iPhone-Shot, der die Verstorbene in einer einzigen Geste zum Objekt degradiert, gibt noch in der Titelsequenz die Richtung vor. In den folgenden 20 Minuten eskaliert der Film mit sehenswerter Geschwindigkeit in tiefste Schmutzregionen und erlaubt Urteile über Situationen, deren ethisches Eruierungspotenzial üblicherweise intransparent bleibt. Es mag überraschen, aber es gibt durchaus Unterschiede zwischen verschiedenen Arten, eine tote Frau zu vögeln.

Der Film findet um drei Freunde Mitte Zwanzig statt: einen mit Hormonen, einen mit Moralverständnis und einen mit Zugang zur Leiche der schönsten Frau der Welt, die frisch verstorben und nackt in seinem Leichenschauhaus liegt. Die drei werden - pikanterweise vom Opfer - dabei erwischt, etwas Furchtbares getan zu haben. Wird die Sache bekannt, drohen ihnen lange Haftstrafen und gesellschaftlicher Ausschluss; ihnen bleibt bis zum Ende des Films Zeit, einen Umgang mit ihrer Situation zu entwickeln. Das spielt sich vorhersehbar ab: Ivan (Hormone) übernimmt als Brutalster das Wort, Javi (Moral) kann mit den wenigen Eigenschaften, die das Skript ihm zugelost hat, nicht viel anstellen, und dank seiner Ambivalenz wird Pau (Zugang) zum interessanten Charakter. Im Wesentlichen treibt den Film von nun an ein Spiel aus zwei Handlungsextremen voran, die sich mit "Töten" und "Lebenlassen" nicht so interessant zusammenfassen lassen wie der Tabu-Absturz in den ersten zwanzig Minuten. Durch die Unentschlossenheit, mit der Pau seine Prioritäten hin- und zurückschiebt zwischen Gehorsamkeit seinem Freund gegenüber und der Möglichkeit, noch ein bisschen Mensch zu bleiben, zwingen dem Film zwar ein blutigeres Ende auf, als nötig gewesen wäre. Er hält den Film so aber auch in einer Schwebe, die das Sehen anregend macht.

Leider bietet DIE LEICHE DER ANNA FRITZ im weiteren Filmverlauf außer der Was-passiert-als-nächstes?-Blase keine anderen Gründe, sich auch im Kopf mit dem Film zu beschäftigen. Das ist so schade wie unnötig, denn weitere interessante Spielplätze werden durchaus passiert — bspw. die Verwerfbarkeit eines Mordes an einer legal toten Person; die Frage, ob man sich eher Nekrophilie oder Vergewaltigung vorzuwerfen lassen hat — aber nicht entsprechend aufgegriffen. Ein Debutfilm mit geringem (aber effizient genutztem) Budget und ungewöhnlicher Laufzeit sollte sich da genau den ethischen Spielraum erlauben, den die Exposition versprochen hat.











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