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William Friedkin ist einer, den man ganz ohne schlechtes Gewissen als Urgestein der Filmbranche bezeichnen darf: Seit über vier Jahrzehnten bereichert der Mann das Geschäft, und mehrere seiner Werke haben die Filmlandschaft nachhaltig geprägt. In den letzten Jahren war es relativ still um den Macher hinter DER EXORZIST, FRENCH CONNECTION und LEBEN UND STERBEN IN L.A.. Mit KILLER JOE, einem fiesen Potpourri aus schwärzester Komödie und derbem Thriller, meldet er sich mit voller Wucht zurück - und zeigt, dass er auch im Alter nicht vor kontroversen Stoffen zurückschreckt.
Der Kleingauner und Drogendealer Chris (Emile Hirsch) hat sich bei einem lokalen Gangster verschuldet und steckt nun bis zum Hals in der Scheiße. Notorisch pleite wie er ist, läuft er Gefahr, demnächst umgelegt zu werden, wenn er nicht schleunigst an einen Haufen Kohle kommt. Da kommt ihm seine ohnehin verhasste Mutter gerade recht: Die hat, so weiß Chris, eine große Lebensversicherung abgeschlossen, deren Nutznießerin seine Schwester Dottie (Juno Temple) ist. Gemeinsam mit dem von der Mutter getrennten Vater Ansel (Thomas Haden Church) und dessen neuer Frau Sharla (Gina Gershon) plant er, die Versicherte aus dem Weg zu räumen. Er heuert Joe Cooper (Matthew McConaughey), genannt Killer Joe, an, um die Sache sauber über die Bühne zu bringen. Doch als die Sache mit der Lebensversicherung zu scheitern droht, sitzt Chris nur noch tiefer im Schlamassel - denn Killer Joe lässt in geschäftlichen Belangen niemals mit sich verhandeln ...
KILLER JOE in einem vollen Kinosaal zu sehen und dabei die Stimmung des Publikums zu beobachten, gibt mehr Aufschluss über die gewagte Kombination und den ungewohnten Aufbau des Films als eine vermeintlich objektive Beschreibung. Ist am Anfang noch häufig heiteres, lautes Auflachen zu vernehmen, so erstirbt genau dieses mit zunehmender Laufzeit immer mehr. Am Ende herrscht Totenstille, und erst nachdem der Abspann schon eine halbe Minute läuft, sind langsam wieder Raschelgeräusche und Ausdrücke des Erstaunens und der Erleichterung zu hören.
Alles beginnt mit der gepflegt bizarren Atmosphäre im mit white trash vollgestopften Trailerpark, auf dem Chris und dessen Familie hausen, und den bissigen Dialogen zwischen den zum Teil bemitleidenswerten Charakteren, die eine kompetente Federführung im Hintergrund verraten: Tracy Letts hat sein eigenes Theaterstück für den Film adaptiert und dabei ausgesprochenes Geschick bei der Wortklauberei bewiesen. Jeder Satz, und mögen es in der fast kammerspielartigen Inszenierung auch noch so viele sein, hat hier seine Berechtigung; jede Pointe sitzt; jede Nuance begeistert.
Letts‘ Drehbuch ist thematisch und strukturell mutig, und Friedkin antwortet mit kongenialen inszenatorischen Entscheidungen, die den vielleicht größten Coup schon bei der Besetzung landen: Gina Gershon, die ihre besten Zeiten schon hinter sich zu haben schien, spielt die abgehalfterte Kellnerin Sharla glaubwürdig und besonders gegen Ende mit leidvollem Eifer, der beim Zusehen beinahe wehtut. Auch Juno Temple - Girlie mit schrägen Anwandlungen und zweifelhafter Psyche - und Thomas Haden Church - latent aggressiver und erschreckend passiver Komplize des Mordkomplotts - machen ihre Sache ausgezeichnet.
Der größte Hammer jedoch ist Matthew McConaughey. Ausgerechntet McConaughey. Gerade der, der sich in der Vergangenheit in irgendwelchen Schmonzetten lächerlich machte, die sowieso keiner sehen wollte. Und hier ist er, als hätte er nie den Sonnyboy gegeben, Killer Joe. Joe Cooper, gepflegter Auftritt, gedämpfte Stimme, gnadenloser Mörder. Wenn McConaughey spricht, hört jeder zu, selbst das beiläufige Popcornknuspern im Kino schweigt still im Angesicht seiner unfassbaren Präsenz. Er dominiert sämtliche Szenen, in denen er auftritt, mit Leichtigkeit - und das sind die meisten. Ganz ehrlich: Eine solche Leistung, vollkommen wahnsinnig und wahnsinnig vollkommen, hätte ihm wohl kaum einer zugetraut. Vielleicht ist das der späte Triumph, die Faust in die Gesichter all derer, die ihn immer belächelt haben - zugegeben, meine Visage eingeschlossen.
So überwältigt, wie man von Drehbuch und Cast ist, fallen viele kleine Feinheiten erst im Nachhinein auf. Da wäre zum Beispiel Friedkins gewiefter Wechsel zwischen Andeutung und expliziter Darstellung. Während die Hintergründe etwa von Joe Cooper und Rex, dem neuen Mann an der Seite von Chris‘ Mutter, zum Teil oder sogar völlig im Dunkeln bleiben, exerziert Friedkin die extrem brutale Endsequenz, in der ein Stück Brathähnchen von KFC besonders unvergessliche Bedeutung erlangt, bis zum bitteren Ende durch. Diese Konzentration auf wenige Aspekte, die andere Bereiche ins Nebulöse verbannt, mag zum Teil fragwürdig erscheinen, erzeugt aber genau die außergewöhnliche Wirkung und Kraft von KILLER JOE.
Friedkins Werk kann man für seine Schärfe abgöttisch lieben oder für seine Härte abgrundtief hassen. Aber egal, welches Gefühl überwiegt: Wenn man die Socken, aus denen KILLER JOE einen haut, wieder angezogen hat, hat man etwas erlebt. Im besten Fall eine zynische Schlampe von einem Film, die einen kopfschüttelnd zurücklässt und noch lange in Gedanken verfolgt.
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