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Im ersten Kinoquartal 2009 war der Nationalsozialismus relativ gut vertreten. Tom Cruise gab sich als Retter der deutschen Nation, Kate Winslet wurde stellvertretend für den Holocaust verurteilt, Jeff Goldblum erlebte die Erniedrigung eines KZ-Insassen und Daniel Craig bekämpfte Nazis in den Wäldern Weißrusslands. Mit DER JUNGE IM GESTREIFTEN PYJAMA bringt Regisseur und Autor Mark Herman nun den gleichnamigen Roman von John Boyne aus dem Jahr 2006 in die Kinos. Auch hier ist der Holocaust als Naziverbrechen das große Thema, allerdings aus der Sicht zweier Kinder. Und es ist fraglos jene unschuldige und naive Sicht, die Hermans Film sehr viel bewegender und intensiver gestaltet. Nicht nur im Vergleich zu den voran genannten Werken, sondern auch gegenüber anderen genreübergreifenden Filmen, die das Publikum dieses Jahr bereits gesehen hat oder noch sehen wird.
Für seine Adaption fokussierte sich Herman auf die essentiellen Punkte von Boynes Vorlage. So bleiben Nebenhandlungen wie das Hausmädchen Maria und ihre Stellung innerhalb der Familie oder die Implizierung einer Affäre zwischen Elsa (Vera Farmiga) und Leutnant Kotler (Rupert Friend) außen vor. Dennoch gelingt es dem Film, die Botschaft des Romans entsprechend und ausreichend zu transferieren, ohne durch die Aussparung einiger Szenen hinsichtlich der Handlung in Erklärungsnot zu geraten. Das Geschehen wird präzise und prägnant dargestellt, sodass man stets genug erfährt, aber nicht mehr als absolut nötig ist. Hiermit soll jedoch keineswegs behauptet werden, dass Hermans Film frei von Fehlern ist.
Wie so viele Filme über den Nationalsozialismus lässt es sich auch DER JUNGE IM GESTREIFTEN PYJAMA nicht nehmen, mit einer wehenden mit Swastika verzierten Flagge seine Geschichte einzuleiten. Scheinbar doch ein gern gesehenes Stilmittel in Filmen über Nazis, um dem Zuschauer gleich mit dem Holzhammer einzubläuen, was man nun in den folgenden neunzig Minuten zu erwarten hat. Umso erfreulicher, dass der Film anschließend weitestgehend auf Nazi-Symbolik verzichtet und unter anderem auch einen Besuch des Führers mit Eva Braun, wie in der Vorlage geschehen, auslässt. Allgemein taucht das große Thema des Nationalsozialismus lediglich auf zwischen den Zeilen auf, während Herman sich primär auf seine Geschichte einer verbotenen Freundschaft konzentriert.
Es ist ein großer, wenn nicht sogar der größte, Gewinn, sich dem delikaten Thema Holocaust über den achtjährigen Bruno (Asa Butterfield) zu nähern. So kommt der Film ohne übertriebenen, direkten Pathos aus, sondern vermag mit einer Rauchwolke am Himmel mehr zur Judenvergasung zu sagen, als manch anderes Werk. Selbiges gilt für eine schöne Szene, in der Bruno dem für den Haushalt bestimmten Juden Pavel (David Hayman) aufgrund seiner aktuellen Beschäftigung abspricht, Arzt zu sein. Dieser Moment findet später in einem Gespräch von Bruno und Shmuel (Jack Scanlon) ein Echo, wenn Bruno es in seiner kindlichen Naivität komisch findet, dass alle Juden in einem anderen Berufzweig arbeiten, als sie ausgebildet wurden. Gerade durch diese Naivität in Bezug auf den Holocaust gewinnt der Film unwahrscheinlich viel Wärme, die anderen Genrevertretern stets gefehlt hat.
Dass DER JUNGE IM GESTREIFTEN PYJAMA so gut funktioniert, verdankt der Film auch seinem Darstellerensemble. Die Besetzung der beiden Jungen mit Butterfield und Scanlon überzeugt. Selbst wenn Scanlons Shmuel nicht so präsent ist wie in Boynes Vorlage. Während Friend und David Thewlis die nationalsozialistische Härte und Kaltherzigkeit sehr intensiv verkörpern, dienen die weiblichen Figuren um Farmiga und Amber Beattie dazu, einige kathartische Momente im Sinne der Aufklärung einzubauen. Grundsätzlich wissen jedoch alle Beteiligten zu gefallen, ohne auch nur einen Moment lang zu dick aufzutragen oder ihr Spiel aufgesetzt wirken zu lassen. Speziell Butterfield, der als Hauptprotagonist fungiert, vermag trotz seiner jungen Jahre den Film teilweise mühelos zu schultern.
Komplettiert wird das gelungene Schauspiel von der technischen Seite hinter der Kamera. Mit ihrer zurückhaltenden Art ergänzen Delhommes Bilder Hermans Skript, indem immer so viel gezeigt wird wie nötig ist. Ein besonderes Lob verdient sich auch die musikalische Untermalung von James Horner, der mit teils melancholischen und teils doch verspielten Tönen stets die Gefühlswelt von Bruno einzufangen weiß. Somit ist DER JUNGE IM GESTREIFTEN PYJAMA einer der vielversprechendsten Filme des Kinojahres 2009. Hermans Film funktioniert nicht nur als selbstständiges Drama, sondern hebt sich besonders aus dem Einheitsbrei der Holocaust-bezogenen Filme hervor. Durch seine kindlich-naive Art wächst einem der Film sogleich ans Herz und verdient sich zweifelsohne das Prädikat des "kleinen Meisterwerks".
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