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IN TIME - DEINE ZEIT LÄUFT AB (USA 2011)

von Martin Eberle

Original Titel. IN TIME
Laufzeit in Minuten. 109

Regie. ANDREW NICCOL
Drehbuch. ANDREW NICCOL
Musik. CRAIG ARMSTRONG
Kamera. ROGER DEAKINS
Schnitt. ZACH STAENBERG
Darsteller. JUSTIN TIMBERLAKE . AMANDA SEYFRIED . VINCENT KARTHEISER . OLIVIA WILDE u.a.

Review Datum. 2011-11-21
Kinostart Deutschland. 2011-12-01

Irgendwann in einer nicht näher bestimmten Zukunft. Die Menschen hören ab dem 25. Lebensjahr auf zu altern. Gleichzeitig haben sie eine eingebaute Uhr, sichtbar über ein digitales Display auf der Haut, das ihre verbleibende Lebenszeit auf die Sekunde genau runter rattert. Die Lebenszeit ist terminiert, kann aber aufgestockt werden, über eine Erwerbstätigkeit, über Glücksspiel, über Raub oder Zeitverleiher usw. usf.
Die Lebenszeit ist gleichzeitig auch Währung, mit der alles, vom Pausenkaffee bis zum Sportwagen, bezahlt werden muss.

Das ist für jene in den Luxusvierteln recht bequem, in den Armenghettos allerdings sterben, bei schlechter wirtschaftlicher Lage, die Menschen auch mal einfach auf der Strasse. Einer derer, die ihr Leben als Zeitprekarier fristen, ist Will Salas (Justin Timberlake), der oft genug kurz vor Ablauf der Uhr etwas Extrazeit organisieren muss. Bis zu dem Moment, wo ihm die freundliche Gabe eines seines über hundert Jahre währenden Lebens müden Reich-Spundes ganz neue Möglichkeiten eröffnet. Er lernt die schöne Sylvia kennen (Amanda Seyfried), Tochter des Zeit-Supertycoons Philippe Weis (Vincent Kartheiser). Mit der Zeitpolizei auf den Fersen werden sie outlaws nach Vorbild von Bonnie, Clyde und Robin Hood.

Zeit, ein hochaktuelles Thema: eine sich unentwegt beschleunigende Welt, der Terror des Zeitdrucks, Termine, Überstunden, die sich bei der arbeitenden Bevölkerung anhäufen und zu immer mehr psychischem Stress führen, die Diskussion um Elternzeit, damit mit dem eigenen Nachwuchs auch mal quality time verbracht werden kann, Herausgeworfene, die, im modernen Arbeitsprozess nicht mehr gebraucht, ihre Zeit unglücklich vor RTLPROSIEBENSAT1 vertändeln, letztendlich sogar die eigene Sterblichkeit, die einen durchaus nervös werden lässt, wenn man nicht gut verdrängen kann, da sollte man doch was draus machen können, möchte man meinen.

Das sieht Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Andrew Niccol offensichtlich nicht so. Seine Zukunftsvision sieht in den Anfangsbildern zunächst nicht ganz so übel aus. Timberlake wirkt schön ernsthaft und nachdenklich, der Verstörungsmoment, wenn er nach seiner Mutter ruft und die ebenfalls im Alter von 25 Jahren gestoppte schöne Olivia Wilde erscheint, hübsch irritierend. Auch die eindringliche Szene, in der Mutter und Sohn zum Zeitkontenaustausch verabredet sind (die Uhr der Mutter ist bedenklich weit runtergezählt), und sie sich die Busfahrt zum Treffpunkt nicht leisten kann (der Busfahrer bleibt eiskalt), gibt einen nachhaltigen Eindruck der Bösartigkeit und Unbarmherzigkeit dieses zeitkapitalistischen Systems. Das war's dann aber auch. IN TIME kommt ansonsten nie aus den Hufen. Das liegt weniger an den Schauspielern, von denen viele aus diversen TV-Serien kommen. Johnny Galecki aus der BIG BANG THEORY macht keinen schlechten Eindruck, genau so wenig wie Vincent Kartheiser (MAD MEN) oder Amanda Seyfried (VERONICA MARS, BIG LOVE), deren Erscheinen eine spontane Schockverliebtheit auslöst. Aber eine echte Chance haben sie alle nicht. Die Figuren wirken wie in einem Kinderzimmer ausgepackt und hingeworfen, um dann alleingelassen zu werden. Überhaupt das Kinderzimmer. Niccols "Plot" hat die Konsistenz eines Spiels, in dem sich die Grundschulkinder nachmittags spontan irgendeinen Quatsch ausdenken. "Meiner geht jetzt da lang, ja?" "OK, und meiner ist jetzt plötzlich hinter deinem und holt 'ne Knarre raus." "Au cool, und dann verfolgt meiner deinen mit dem Auto. Wrumm wrumm...." " ...und dann knall peng puff!"

Niccol möchte seinen Film als Action-Thriller verstanden wissen. Das ist er sicher auch, allerdings ohne Action und ohne Thrill. Die paar Verfolgungsjagden sind nahe an schau, dann aber auch zu selten. Und ein Thrill kommt ganz sicher nicht auf, wenn Niccol altbackene Ideen aus 100 Jahren Filmgeschichte inkonstistent aneinander stoppelt. Angst um die Protagonisten? Zu keinem Moment. Es ist immer ganz klar, dass irgendein doofer Plot-Dreh die faden Helden aus irgendeiner ollen Bredouille bringt. Ganz besonders dämlich sind jene Fragmente aus dem uralten Filmkanon, die angerissen und dann noch nicht mal weiter geführt oder gar zu Ende gebracht werden. Der Vater, der als Rebell gegen das System viel zu früh das Zeitliche segnen musste, ohne dass sein Sohn ihn überhaupt kennen lernen konnte, ist sicherlich ein alt bewährter Topos, der hier allerdings nur über ein Telefongespräch eingeführt wird, um unkommentiert zu versanden.

Es hapert aber nicht nur im Detail. Die unbarmherzige Überspitzung eines Kapitalismus, der in IN TIME ganz direkt und unmittelbar die Leute auf offener Strasse verrecken lässt, weil die Uhr in letzter Sekunde nicht mehr aufgeladen werden kann, bleibt bei Niccols nur ein oberflächlicher Effekt, der dann noch gnadenlos zu Tode geritten wird. Niccols scheint sich in dieses runterzählende Armdisplay regelrecht verliebt zu haben. Immer und immer und immer wieder umfassen sich Unterarme, die sich die Sekunden, Minuten, Jahre hin- und herschieben. Das wäre ja schon okay, wenn es z.B. mal etwas Inhaltliches gäbe, was das Ganze zusammenhielte. Die Rudimente von Rahmenhandlung sind dazu allerdings nicht in der Lage.

Es wird überdeutlich: Niccols interessiert sich gar nicht für irgendeine der möglichen Implikationen seines settings. Die Behauptung des Presseheftes, dass unser schön anzuschauendes Rebellenpärchen "das korrupte System zur Strecke bringen will", ist schlichtweg gelogen. Niccol stellt nie wirklich die Systemfrage, bleibt im System des Zeitmanagements (sprich: Kapitalismus) und lässt Schmalspur-Bonnie und Aufschneider-Clyde einfach nur immerweiter Zeit-Banken ausrauben. Zugegeben, Amanda Seyfried mit Wumme in der Hand sieht umwerfend aus, aber das war's dann auch. Gerade ihr Partner Timberlake könnte irgendeine Unterstützung durch das Drehbuch gut gebrauchen.

Was bleibt sind einige schöne aber farblose Menschen (hey, den einen kenne ich doch aus dem Nelly Furtado-Video) und die Faszination, wie außerordentlich wenig Niccol aus einer nicht ganz schlechten Grundidee zu machen versteht. Schon bei der TRUMAN SHOW hat er bewiesen, dass er mit Doofheit einen Film versenken kann, bei IN TIME hat die Dummheit von Anfang an das Ruder übernommen. Verschenkte Lebenszeit. Niccols, ich will sie wieder zurück! Zu überweisen auf folgendes Konto...











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