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HEARTLESS (Großbritannien 2009)

von Stefan Rybkowski

Original Titel. HEARTLESS
Laufzeit in Minuten. 114

Regie. PHILIP RIDLEY
Drehbuch. PHILIP RIDLEY
Musik. DAVID JULYAN
Kamera. MATT GRAY
Schnitt. CHRIS GILL . PAUL KNIGHT
Darsteller. JIM STURGESS . CLÉMENCE POÉSY . NOEL CLARKE . JOSEPH MAWLE u.a.

Review Datum. 2010-03-31
Kinostart Deutschland. direct-to-video

In einer Welt, in der uns Schönheit und Erfolg als ein Muss suggeriert werden, hat man es als unbedeutender junger Mann nicht einfach, besonders wenn man in der englischen Vorstadttristesse zuhause ist und zudem durch ein riesiges Muttermal im Gesicht gezeichnet ist. Jamies (Jim Sturgess) Muttermal sei dadurch zustande gekommen, weil ihn sein Vater so liebte und deshalb immer an die Stelle, an der nun das Mal prangert, geküsst habe. So erzählt es ihm zumindest seine Mutter (Ruth Sheen) seit dem Tod ihres Mannes immer wieder. Doch Jamie scheint das schon seit Jahren nicht mehr zu glauben. Glauben, ein zentrales Motiv des Filmes, denn Jamie glaubt, dass nachts auf den Straßen Londons Gangs von Dämonen umherziehen, die nichts anderes im Schilde führen als zu randalieren und zu morden. Man kennt das Bild: Halbstarke, die sich die Kapuzen tief ins Gesicht ziehen und im Trainingsanzug die Nacht unsicher machen. In HEARTLESS gibt es den kleinen, aber feinen Unterschied, dass ihre Gesichter, von denen nicht mehr allzu viel zu sehen ist, die von Dämonen sind. Lange fühlt man sich wie Jamie, weiß nicht, ob es nur Einbildung oder doch Realität ist. Effektiv ist diese Bedrohung aber in jedem Fall, denn es ist nicht nur ihr erschreckendes Erscheinungsbild, sondern auch ihr Auftreten, das immer wieder von einer sehr gewalttätigen Geräuschkulisse untermalt wird.

Es wird schnell deutlich, dass HEARTLESS weniger um eine in sich geschlossene Erzählung und Handlung bemüht ist, als vielmehr um eine Art Horrorvision, die sich in viele Richtungen bewegt und dabei äußerst weltliche Probleme anspricht. Philip Ridleys Film assoziiert lieber, statt viel zu erklären, er legt dabei ein deutlich größeres Gewicht auf einzelne Szenen als auf ein kohärentes Ganzes. So bleiben vor allem einige Szenen im Gedächtnis, die von Ekel, aber gleichzeitig auch von einer Faszination durchdrungen sind, die man so im jüngeren Horrorfilm schon lange nicht mehr oder noch gar nicht gesehen hat. Ridley spielt mit der Realität und dunklen Visionen, und auch wenn HEARTLESS einfacher zu durchschauen ist, als es ihm lieb ist, so tut dies der Stimmung und der Atmosphäre jedoch keinen Abbruch. Im Verlaufe des Filmes macht Jamie die gleiche Entwicklung mit, die er auch der Film zu durchlaufen scheint. Was ist Realität, was spielt sich hingegen nur in meinem Kopf ab? HEARTLESS spielt geschickt mit diesen Szenen, wartet beispielsweise mit einer Sequenz auf, in der Jamie wiedergeboren wird, er macht eine Metamorphose durch, buchstäblich. Es ist unglaublich faszinierend, wie sich dieser Junge Mann seine alte Haut, sein altes Ich vom Körper reißt. Er lässt das Alte hinter sich (nämlich den Kokon) und schlüpft in seine neue Haut, die ihm all das ermöglicht, was ihm seine alte samt Muttermal nicht ermöglichen konnte.

An einer anderen Stelle des Filmes ist in einem Fernseher die Metamorphose eines Schmetterlings zu sehen, und genau damit spielt HEARTLESS nahezu permanent. Er deutet Dinge an, die sich später dann verwirklichen sollen - oder auch nicht. Zum Durchatmen bleibt dabei so gut wie kein Platz, gegen Ende hin entlastet uns Ridley zwar mit etwas comic relief, aber auch dieses soll einen schnellen und gewaltvollen Abgang finden. Es ist wahrlich keine leichte Kost, die Ridley mit HEARTLESS auf den Zuschauer loslässt, kann sich doch ein jeder irgendwie mit Jamie identifizieren. Und so steht man ähnlich wie Jamie oder einst Faust auch irgendwann vor der Frage: würde ich meine Seele verkaufen, um ein besseres Leben voller Erfüllung zu haben? Es dauert nicht lange, da hat Jamie all das, was er will, aber Mephisto hat noch nicht das, was er will. Auch wenn der restliche Verlauf des Filmes nur allzu moralisch anmuten mag, so bleibt HEARTLESS dennoch spannend und vor allem konsequent. Natürlich scheinen einem jeden einzelnen die Konsequenzen eines solchen Paktes mehr oder weniger bekannt, aber man kann irgendwie auch nicht oft genug an diese erinnert werden. Man muss das Beste aus seinem Leben machen, egal welche Steine es einem in den Weg legen mag. Etwas, das man nicht oft genug wiederholen kann, so scheint es.

Philip Ridley, der sich zwischen HEARTLESS und seinem letzten Film THE PASSION OF DARKLY NOON ganze 14 Jahre Zeit nahm, meldet sich jedenfalls eindrucksvoll zurück. HEARTLESS ist nicht nur sein, sondern vor allem auch Jim Sturgess' Film, denn der dominiert den Film nicht nur ungemein, sondern stemmt diesen mit seinem fantastischen Spiel eigentlich ganz allein. Nach seiner Rolle im eher mäßigen Hollywoodvehikel 21 mag man es kaum für möglich halten, aber Sturgess zeigt mit diesem Film eindrucksvoll, dass er sicherlich zu den talentiertesten Nachwuchsdarstellern der Branche gehört. HEARTLESS ist nicht nur ungemein erfrischender Horror mit einer ordentlichen Portion Sozialkritik, sondern dank Sturgess auch hervorragendes Schauspielkino, das zudem mit einem gefühlvollen Soundtrack aufwartet, der größtenteils aus der Feder des Protagonisten stammt - etwas, das man in diesem Genre eigentlich viel zu selten sieht und aufgrund dessen man HEARTLESS somit nur noch mehr zu schätzen weiß.











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