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THE HATEFUL 8 (USA 2015)

von Andreas Günther

Original Titel. THE HATEFUL EIGHT
Laufzeit in Minuten. 167

Regie. QUENTIN TARANTINO
Drehbuch. QUENTIN TARANTINO
Musik. ENNIO MORRICONE
Kamera. ROBERT RICHARDSON
Schnitt. BENJAMIN EDELBERG . RICHARD L. JOHNSON
Darsteller. SAMUEL L. JACKSON . KURT RUSSELL . JENNIFER JASON LEIGH . TIM ROTH u.a.

Review Datum. 2016-01-30
Kinostart Deutschland. 2016-01-28

Vorfreude gilt bekanntlich als die schönste Freude. Wer sich davon viel bewahren will nach all dem Entgegenfiebern sollte nach dem Vorspann die Vorstellung von THE HATEFUL 8 schleunigst verlassen. Ein holzgeschnitzter Jesuskopf am Kreuz ist vor schneeigem Grund aufgenommen. Kein Geringerer als Ennio Morricone als Komponist und Dirigent heizt mit sanft anschwellendem Crescendo mächtig ein, macht mit schwerem Schellenklingen, tiefen Streichern und dunklen Pauken geradezu wollüstig nach dem Wilden Westen, nach Halunken und Bedrohlichkeit, angespanntem Warten auf den Griff zum Schießeisen und epischen Revolverduellen, nach mühsamem Sterben und letzter List.

Zu nunmehr stampfendem Rhythmus hauen die Credits ins Bild, bald links, bald rechts vom Jesus. Aber Unbehagen breitet der schwarze Fleck rechts oben in der Ecke. Daraus soll noch etwas werden, das ist klar. Tatsächlich zeichnet sich allmählich eine Postkutsche ab, die irgendwann am Jesuskopf vorbeiziehen wird. Das dauert. Das soll als genüßliches Spiel mit der Erwartung gelten. Doch es erzeugt leisen Überdruss, es sendet ein Signal der Überdehnung. Es ist die Auratisierung eines Details, aber so, dass es nicht wirklich Spaß macht. Dieses Gefühl wird nicht weichen.

Da zieht also eine Postkutsche durch die Winterlandschaft von Wyoming, ein paar Jahre nach Ende des amerikanischen Bürgerkriegs. Der schwarze Kopfgeldjäger Marquis (Samuel L. Jackson) trägt noch seine Uniform eines Nordstaaten-Major, wie er da so mitten auf dem Weg steht, hinter sich ein Haufen verfrorener, erschossener Kerle, seine Beute. Nach langem Hin und Her einigt er sich mit den Insassen der Postkutsche, mitfahren zu dürfen. Marquis' Kollege John Ruth (Kurt Russell) ist das alles andere als recht, hat er doch eine hochpreisige Gefangene bei sich, Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh), rassistisch und hinterlistig, an die er gekettet ist. Aber er kennt Marquis und schätzt ihn sozusagen. Der vierte Passagier wird ausgerechnet Chris Mannix (Walton Goggins), nicht nur ein berüchtigter Marodeur der Südstaaten, sondern angeblich auch der nächste Sheriff von Red Rock. Dort wollen Marquis und John ihre Beute einlösen.

Doch bis Red Rock ist es so weit, dass sie bei Minnies Miederwarenladen Halt machen und die Nacht verbringen wollen. Es gibt dort keine Miederwaren, dafür jedoch alles, was eine Postkutschenstation erschöpften Reisenden bieten sollte. Nur findet Marquis zu seinem Erstaunen weder Minnie noch Sweet Dave vor, sondern einen Mexikaner, der berichtet, die beiden würden Verwandte besuchen. Und die sonstigen Übernachtungsgäste erscheinen John so merkwürdig, dass er vermutet, mindestens einer würde mit Daisy unter einer Decke stecken und sie befreien wollen. Marquis nennt ihn paranoid. Aber er stößt selbst auf ein paar Ungereimtheiten, während um die Hütte ein Blizzard tost.

Ist das jetzt ein Agatha Christie-Kammerspiel im Wilden Westen? Damit verbindet sich keine Abwertung, daraus kann sich ein vergnügliches Katz-und Maus-Spiel entwickeln. Wird es aber nicht. Denn die in Minnies Miederwarenladen versammelten Charaktere sind überwiegend so flach hingeflatscht, dass sie nicht nur keine schillernden Verdächtigten abgeben, sondern einfach ermüden. Dabei hätten die Darsteller allen Grund, zwar nicht haßerfüllt, aber doch zornig wegen der undankbaren Rollen zu sein. Am schlimmsten trifft es Tim Roth. Als angeblicher Henker Oswaldo Mobray ist er nichts weiter als ein Christoph-Waltz-Replacement. Er trägt den feinen Mantel des Dr. King Schulz und lüftet die Melone auf die gleiche Weise, demonstriert die gleiche penible Eloquenz und hat das gleiche unendliche Vergnügen an begrifflichen Haarspaltereien.

Kurt Russell ergeht es kaum besser. Er darf nur immer wiederholen, dass er Daisy hängen lassen wird, und schlägt ihr mit sadistischer Regelmäßigkeit in die Fresse. Jennifer Jason Leigh spuckt Zähne und rasstistische Sprüche gegen Marquis aus. Michael Madsen mimt einen Cowboy namens Joe Gage, der vorgibt, an seiner Lebensgeschichte zu schreiben und seine Mutter besuchen will. Er wirke aber gar nicht so, findet Kopfgeldjäger Ruth. Er sei aber so einer, gibt Gage zurück. Ehrlicherweise interessiert es wenig, ob das nun stimmt oder nicht. Wo bleibt die verstörende Bosheit, die geheimnisvolle Diabolik, die naive Brutalität des Tarantino-Personals? Ein Teil findest sich noch bei dem verbitterten Südstaaten-General Sandford Smithers, den Bruce Dern aber nicht so böse geben darf, wie er eigentlich kann und müsste, weil Tarantinos Drehbuch ohne schreiende Inkonsequenzen überhaupt nicht mehr funktionieren würde. Immerhin wird Smithers auf denkwürdige Weise von Marquis gedemütigt.

An Samuel L. Jackson bleibt hängen, was an Drama in THE HATEFUL 8 noch Gewicht hat. Dabei hat Tarantino doch gerade auf diesem Gebiet beachtliche Höhen erhoben. Schon RESERVOIR DOGS kennt die Schwermut des Verrats. PULP FICTION besticht als tragische Farce. JACKIE BROWN lockt ihren Gegner in ein Labyrinth, in dem er umkommt, und zwar eigentlich an Kummer, weil alle Menschen in seiner Umgebung sterben. DEATH PROOF verweist auf die archaischen Opferkulte, die die Basis für die griechische Tragödie bildeten. In INGLOURIOUS BASTERD bringen sich eine Jüdin und ein Nazi-Vorzeige-Soldat aus gut begründetem Haß und schlecht begründeter Verblendung um. DJANGO UNCHAINED beeindruckt mit Djangos allmählicher Verhärtung und Dr. Schulz' zunehmenden seelischen Verwundung. Tatsächlich wirkt Marquis wie ein desillusionierter Django Unchained, der seine Ausschließung von den Weißen beklagt, die ihm meist nach dem Leben trachten wollen. Aber auch wenn durchaus Furcht um ihn in Minnies Miederwarenladen aufkommt, bleibt seine Klage doch undynamisch in der Luft hängen. Den Worten fehlt die Wucht, um die irrwitzigen Dialoge in Schwung zu bringen, die eigentlich Tarantinos Markenzeichen sind.

Dass es so nicht weitergehen kann, dürfte Tarantino vielleicht aufgefallen sein. So wie der Mexikaner mehrmals ansetzen muss, ehe er 'Stille Nacht, Heilige Nacht' auf dem Klavier zustande bringt, wirft der Regisseur und Autor immer wieder um, was eben noch Geltung hatte, mildert plötzlich den rassistischen General zum grebrechlichen Greis ab, der sich nun von Marquis Gesellschaft leisten lässt, oder verkennt später unerklärlicherweise, was zuvor als unverbrüchliches Gesetz für Mimis Miederwaren eingeführt worden ist, und entwertet damit alle Andeutungen eines Rätsels um die Poststation.

Wie entmutigt von den Widersprüchen, die sich wie der Schnee draußen anhäufen, bricht Tarantino die Dialektik von Verbergen und Entbergen ab. Der letzte Agatha-Christie-Streich ist das Vergiften des Kaffees. Mit dem Blut, das daraufhin aus den Kehlen der Opfer schießt, ergießt sich nun die Gewaltpornographie eines Mickey Spillane durch den in Kapiteln eingeteilten Film. Der erhöht seine Schwerfälligkeit noch dadurch, dass witzlose Erklärungen aus dem Off die Kapitel zieren.

Eindeutig eine Pirouette zuviel ist dann der Rückblick auf die Ereignisse, die sich vor dem Eintreffen der Postkutsche abgespielt haben sollen. Allein die Aussicht auf eine weitere Episode aus Minnies Miederwarenladen begeistert nicht gerade. Holzschnittartige Erzählweise und Inszenierung zeugen nurmehr von einer uninspiriert umgesetzten Pflichtaufgabe, die hinter dem angedachten Verblüffungseffekt hoffnungslos zurückbleibt. Selten wird die Genese des Scheiterns filmemacherischer Einbildungskraft so deutlich wie in THE HATEFUL 8. Von der Postkutsche des ersten Bildes an stellt Tarantino Ideen in den Raum, die er für vielsprechend oder zumindest atmosphärisch reizvoll halten mag. Dort stehen und stehen dann die Ideen. Aus den Ideen entwickelt sich nichts. Um sie dennoch als fertige Gestaltungen auszuweisen, bedient Tarantino sich einer gewissen Emphase, so wie Erläuterungen zu den Kapiteln diese originell und pfiffig anmuten lassen sollen. Der Schluss von THE HATEFUL 8 ertrinkt in Blut, ohne dass jene makabre Absurdität entsteht, die sonst bei Tarantino Lachen erzeugt und zugleich im Halse stecken bleiben lässt.

THE HATEFUL 8 ist ein Granitblock, der sich selbst als herrliche Statue ausgibt. Wie so vieles Unbearbeitete kommt der Haß im Titel über die matte Behauptung nicht hinaus angesichts der Tiraden, die dieser Affekt im Kino schon hervorgerufen hat. Der Meister wirkt wie der unbegabte Epigone seiner selbst. Nur wer rechtzeitig geht, bleibt von dieser erschütternden Erkenntnis verschont.











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