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HARDCORE (USA/Russland 2015)

von André Becker

Original Titel. HARDCORE HENRY
Laufzeit in Minuten. 96

Regie. ILYA NAISHULLER
Drehbuch. ILYA NAISHULLER
Musik. DARYA CHARUSHA
Kamera. PASHA KAPINOS . VSEVOLOD KAPTUR . FEDOR LYASS
Schnitt. STEVE MIRKOVICH
Darsteller. SHARLTO COPLEY . HALEY BENNETT . DANILA KOZLOVSKY . TIM ROTH u.a.

Review Datum. 2016-04-10
Kinostart Deutschland. 2016-04-14

Der vom Genre-Visionär Timur Bekmambetov (WÄCHTER DER NACHT) produzierte HARDCORE ist der erste großangelegte Actionfilm, der komplett in der Point-of-View-Perspektive gedreht wurde. Wir sehen somit in der Ego-Sicht unmittelbar das, was die Hauptfigur Henry sieht. Ein konsequentes Aufbrechen, eine Verschiebung gängiger Wahrnehmungsmuster ist die Folge. Regisseur Ilya Naishuller nutzt diese Neuanordnung gewohnter Rezeptionsvoraussetzungen mit all ihren immanenten Bestandteilen auf bahnbrechende Weise. Sein Film bietet tatsächlich ein Kinoerlebnis der besonderen Art, das vor allem durch Naishullers unbändige Lust an irrsinnigen Einfällen und filmischer Raserei begeistern kann.

Die Handlung folgt vertrauten Genre-Konventionen und startet in einem Forschungslabor. Der Protagonist, der bald auf den Namen Henry hört, erwacht in einem Wassertank. Höchst verwirrt, da er keinerlei Erinnerungen an seine Vergangenheit hat, lauscht er den einlullenden Worten der jungen Wissenschaftlerin Estelle (Haley Bennett), die sich kurze Zeit später als seine Ehefrau vorstellt. Sie ist es auch, die ihm mitteilt, dass er fortan mit mehreren künstlichen Gliedmaßen ausgestattet ist, die ihm übermenschliche Fähigkeiten versprechen. Wirklich viel Zeit seine Situation zu reflektieren bleibt ihm allerdings nicht, denn plötzlich taucht ein Killerkommando unter Führung des diabolischen Akan (Danila Kozlovsky) auf und versucht ihn und Estelle in ihre Gewalt zu bringen. Eine schweißtreibende Jagd beginnt, bei der Henry unverhofft Unterstützung von einem mysteriösen Mann (Sharlto Copley) bekommt, der ihm Stück für Stück das Geheimnis seiner neuen Kräfte offenbart.

Ilya Naishuller gibt mit HARDCORE sein Langfilmdebüt als Regisseur. Naishuller selbst kommt aus dem Musikbiz und ist vor allem in Russland als Frontmann der Rockband Biting Elbows bekannt. Und in der Tat, in seinen besten Momenten fühlt sich sein wilder Actionfilm wie ein mit der Wucht eines Kometen einschlagender Rocksong an, der einen ordentlich durchschüttelt und Adrenalin pur freisetzt. Die magere Story, die das Skript immer wieder mit, streckenweise ein wenig pseudointellektuell wirkenden, philosophischen Zwischentönen anfüttert ist erwartungsgemäß nicht der Rede wert und kann getrost unter Alibihandlung verbucht werden. Dies ist jedoch reichlich nebensächlich, beißt sich der Film doch mit selten gesehener Intensität in den Eingeweiden seines Publikums fest. Das Gefühl Teil des Geschehens auf der Leinwand zu sein ist dabei fast körperlich spürbar. In welchen Abstufungen dieses komplette Eintauchen in den Filmverlauf erfolgt bleibt freilich subjektiv und hängt natürlich auch davon ab, inwiefern man offen für den erweiterten Wahrnehmungshorizont ist, den die Produktion anbietet.

Eine generelle Aufgeschlossenheit gegenüber filmischen Experimenten sollte schon vorliegen, denn HARDCORE ist eine hyper-rasant gefilmte, extrem harte, Zerstörungsorgie sondergleichen, bei der Ruhepausen nur in Ansätzen zugelassen werden und die von einer enorm dynamischen Kameraarbeit von Szene zu Szene hetzt. Hardcore im wahrsten Sinne des Wortes und (nicht nur) aufgrund der teilweise sehr ausufernden Gewalteruptionen mit Sicherheit nicht jedermanns Sache. Wer sich auf die ungebremst grenzüberschreitende Machart einlässt wird allerdings seine wahre Freude an dem Werk haben.

Insgesamt hält die Produktion gleich mehrere erinnerungswürdige Actionsequenzen bereit, die in diesem Jahr definitiv außer Konkurrenz stehen und in ihrer Power jeden noch so teuren Marvel-Film wie lahmes Kasperletheater aussehen lassen. Sei es eine beeindruckende Verfolgungsjagd per Motorrad, bei der mehrere Vans mit einem großkalibrigen Maschinengewehr auseinander genommen werden, ein druckvoller Shoot-out in einem verlassenen Gebäudekomplex, oder das ausgiebige Finale, bei dem Naishuller die Anzahl der WTF-Momente noch einmal deutlich steigert. Glücklicherweise werden diese Szenen nicht immer durch ausschweifendes Kameragewackel (das es aber bedingt durch die Inszenierungsprämisse des Films auch gibt) begleitet und in ihrer Wirkungsweise beeinträchtigt. Trotz der entfesselten Kamera wird darauf geachtet die Ereignisse im Sichtbereich des Publikums zu positionieren und es dadurch nachvollziehbar zu lassen. Das ist gut so und grenzt die Produktion von den üblichen (seien wir ehrlich: meist furchtbar anstrengenden) Found-Footage-Filmen ab, die zumindest vom Ansatz her durchaus ähnliche inszenatorische Wege beschreiten.

Ob HARDCORE das moderne Actionkino nachhaltig verändern wird, bleibt abzuwarten und ist wohl auch von den Besucherzahlen abhängig. So oder so ist der Film ein wunderbar enthemmtes Genre-Kontrastprogramm, dass alle Freunde knallharter Actionunterhaltung mit der Zunge schnalzen lässt und das etwaige Entwicklungen in Richtung Hype uneingeschränkt verdient hat.











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