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HAGAZUSSA - DER HEXENFLUCH (Deutschland/Österreich 2017)

von André Becker

Original Titel. HAGAZUSSA
Laufzeit in Minuten. 102

Regie. LUKAS FEIGELFELD
Drehbuch. LUKAS FEIGELFELD
Musik. MMMD
Kamera. MARIEL BAQUEIRO
Schnitt. JÖRG VOLKMAR
Darsteller. ALEKSANDRA CWEN . CELINA PETER . CLAUDIA MARTINI . TANJA PETROVSKY u.a.

Review Datum. 2018-05-08
Kinostart Deutschland. 2018-05-17

Seit den späten sechziger Jahren haben Hexen einen festen Platz im Genre-Film. Nach den als grenzüberschreitend wahrgenommenen Inquisitions-Filmen dieser Zeit (DER HEXENJÄGER mit Vincent Price und viele weitere), folgten in den Neunzigern mehrere stark popkulturell beeinflusste, eher leichtfüßige Teen-Horrorstreifen (DER HEXENCLUB etc.). Und heute? Gegenwärtig scheint sich ein neuer Trend abzuzeichnen. Das Horror-Kino wählt zusehends experimentierfreudige Ausdrucksformen und nutzt die Hexen-Thematik für anspruchsvolle Erzählungen, die verstärkt die Drama-Elemente in den Vordergrund rücken und das Grusel-Entertainment eher am Rande behandeln. Ein gutes Beispiel für diesen Ansatz ist der meisterhafte THE WITCH, den die nuancierte Darstellung der Auflösung familiärer Bindungen mehr interessierte als die eigentliche mystische Bedrohung. Ein Film, der im Zusammenhang mit HAGAZUSSA - DER HEXENFLUCH, dem Spielfilmdebüt des österreichischen Regisseurs Lukas Feigelfeld sicherlich häufiger als Vergleich erhalten muss.

Ähnlich wie bei Robert Eggers gefeierter Schauergeschichte sind auch bei Feigelfeld die Themen religiöse Verblendung (und die damit verknüpfte Doppelzüngigkeit), soziale Isolation und schlussendlich Selbstverleugnung- und Zerstörung zentrale Motive. Hier ist es eine junge Frau mit Namen Albrun, die als Hexe verunglimpft in der Abgeschiedenheit einer alten Berghütte langsam dem Wahnsinn anheim fällt. Noch stärker als der Horrorfilm aus dem Jahr 2015 verweigert es Feigelfeld dabei Antworten zu geben. Mehr noch: Die Ereignisse rund um die Hauptfigur sind häufig diffus, oftmals nicht auserzählt und bieten meist nicht mehr als bloße Andeutungen. Was, warum passiert und inwiefern die Geschehnisse einen direkten Bezug zueinander haben bleibt teils komplett nebulös. Zumindest die Abfolge der in Kapitel aufgeteilten Rahmenhandlung hält sich an eine konkrete chronologische Reihenfolge.

Eins sollte diesbezüglich klar sein. HAGAZUSSA - DER HEXENFLUCH ist kein leicht zugänglicher Film, sondern ein verstörender Brocken, der gar nicht erst versucht irgendwelche Kompromisse zu machen. Ein mutiger Film, der seine vielgestaltigen Extreme mit aller Konsequenz und unaufhaltsamer Entschlossenheit auslotet. Insofern passt er hervorragend in stark diskursgetriebene Festivals wie die Woche der Kritik (wo er dieses Jahr als Abschlussfilm gezeigt wurde) und weniger gut in das Setting eines Genrefilm-Festivals à la Fantasy Film Fest. Das es der Film tatsächlich in das Programm der 2018-Ausgabe der FFF-Nights geschafft hat, ist dennoch schön. Neben Slashern, grimmiger Exploitation und harten Thrillern dürfte das bereits jetzt mit mehreren Preisen ausgezeichnete Werk für Verwirrung aber auch großes Staunen sorgen. Das alles natürlich unter der Voraussetzung, dass sich das Publikum von der sperrigen Inszenierung nicht abschrecken lässt.

Mit seinen zahlreichen erzählerischen Hürden, den reduzierten und teils schwer verständlichen Dialogen (vorgetragen in einem verschlungenen deutschen Dialekt) und den mitunter fast statischen Einstellungen ist die Verweigerungshaltung des Regisseurs gegenüber etablierten Sehgewohnheiten überdeutlich. Das große Plus des Films ist dabei, dass Feigelfeld in seiner langsam aufgebauten Inszenierung genau weiß, wann er mit überwältigen Naturaufnahmen und minimalistischen Schockszenarien für offene Augen und Gänsehaut sorgen muss. Die extrem stark spielende Hauptdarstellerin Aleksandra Cwen ist ein weiterer Grund in das allgemein recht breit gestreute Lob zum Film bedenkenlos einzustimmen.

HAGAZUSSA - DER HEXENFLUCH ist ein Film, dem man die dahinter stehende Leidenschaft am Filmemachen in jeder Sekunde ansieht. Feigelfeld erzeugt mit diesem fiebertraumgleichen Drama einen filmischen Erfahrungsraum, der fast körperlich spürbar ist. Die Schwere der symbolhaften Bilder ist dabei nur die eine Seite. Lange Einstellungen versehrter Körper und die Unausweichlichkeit monströser Taten rufen gar Abscheu hervor. Die menschliche Psyche als leerer Ort, den vielleicht nur der Bund mit finsteren Mächten eine Bedeutung zuweisen kann? Der Irrglaube an Hexen als Vorbote einer entemotionalisierten Gesellschaft, die den Nährboden für Faschismus und Massenvernichtung gebar? Eine weiterführende Auseinandersetzung, eine tiefergehende Entschlüsselung, scheint hier unumgänglich. Für das deutschsprachige Nachwuchs-Kino ist diese düstere Reflexion über den Niedergang einer Frau ein enormer Gewinn, den man gar nicht hoch genug bewerten kann.











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