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GREENBERG (USA 2010)

von Björn Lahrmann

Original Titel. GREENBERG
Laufzeit in Minuten. 107

Regie. NOAH BAUMBACH
Drehbuch. NOAH BAUMBACH
Musik. LCD SOUNDSYSTEM
Kamera. HARRIS SAVIDES
Schnitt. TIM STREETO
Darsteller. BEN STILLER . GRETA GERWIG . RHYS IFANS . JENNIFER JASON LEIGH u.a.

Review Datum. 2010-02-23
Kinostart Deutschland. 2010-04-01

"Man muss hinter den Kitsch blicken können", sagt Roger Greenberg (Ben Stiller). Florence (Greta Gerwig) kann. Sie ist 25 und persönliche Assistentin, will sagen: Haushaltshilfe, von Rogers gut situiertem Bruder. Der ist momentan mit Kind und Kegel auf Urlaub in Vietnam (Roger zu einem Freund: "Würdest du nach Vietnam gehen?" – Freund: "Zum Kämpfen?"), zurückgelassen haben sie nur Mahler, den Hund. Und eben Roger. Roger ist 40 und, nach längerem Aufenthalt in der Nervenklinik, in L.A. gestrandet, der Stadt, wo er aufgewachsen ist. Vor fünfzehn Jahren hatte er hier eine Band mit seinem Kumpel Ivan (Rhys Ifans), aus der etwas hätte werden können, aber Roger wollte nicht. Ivan wurde erst Drogenwrack, dann Familienvater. Roger wurde Schreiner in New York. Auf die Frage: Was machst du so?, antwortet er: Ich versuche gerade, einfach mal gar nichts zu machen.

Die Sache mit dem Kitsch meint in der betreffenden Szene einen Song, It Never Rains in Southern California von Albert Hammond. Sie meint darüber hinaus aber auch Rogers Kitsch: den Kitsch des verkrachten, soziophoben, neurotischen Mittelschichts-Miesepeters, der schon in so vielen Filmen seit Woody Allen verhandelt wurde. In den letzten Jahren hat sich noch einmal ein eigenes Subgenre dafür herausgebildet, Mumblecore: nahezu budgetfrei produzierte Off-Hollywood-Filme, in denen Twentysomethings gemäßigt alternativen Lebensstils ausgiebig Nabelschau halten. GREENBERG nun betreibt gewissermaßen die Gentrifizierung des Mumblecore, getragen von einem arrivierten Star, einem zumindest halbwegs arrivierten Autor-Regisseur sowie, mit Greta Gerwig, einer waschechten Mumblecore-Veteranin in der Besetzungsliste.

GREENBERG spielt im Milieu des gehobenen Bioladen-Wohlstands, wo das Besitzen eines Pools eine Selbstverständlichkeit ist und Hunde eben Mahler heißen. Roger, der in diesem Milieu nicht (mehr) zu Hause ist, lässt sich dessen Annehmlichkeiten durchaus gefallen, soweit gefallen überhaupt in seinem Möglichkeitsbereich liegt. Deutlich älter zwar als die Protagonisten des Mumblecore, gehört er dennoch zum selben Menschenschlag: Er ist psychologisch verschult genug, seine ständigen Wutausbrüche postwendend rationalisieren zu können, und definiert seine Persönlichkeit in erster Linie über den Geschmack. Er weiß zum Beispiel, welche Musik man zum Koksen hört (Duran Duran) und welche man jungen Songwriterinnen als Inspiration auf die Mix-CD packt (Karen Dalton). Darüber hinaus weiß er nicht viel, vor allem nicht wohin mit sich. Natürlich verknallt er sich sofort ein bisschen in Florence, die, weil sie an einer sonnigen Form des Helfersyndroms leidet, diesem sensiblen Arschloch kaum widerstehen kann. Es folgt Katastrophe auf Katastrophe, oder was man in diesen Kreisen eben dafür hält.

Man kann das alles kalkuliert und ätzend finden, das Suhlen im Unreifen, die narzisstische Selbstbespiegelei, das Milieu, den Kitsch. Man kann aber auch konstatieren, dass Noah Baumbach (DER TINTENFISCH UND DER WAL) derzeit zu Amerikas klügsten, intuitivsten und witzigsten Dialogschreibern zählt. Schlicht und ergreifend eine Freude ist es, seinen Figuren beim ziellosen Schwafeln zuzuhören, sich in ihren messerscharf beobachteten Ticks und Marotten wiederzufinden. Awkwardness, jener unübersetzbare Sammelbegriff für alles, was peinlich berührt, wird in GREENBERG zum Lebensgefühl erhoben. Wie Roger und Florence besitzt der Film keine Langzeitplanung, lebt und quatscht einfach so Szene für Szene vor sich hin – eine angenehme Formlosigkeit, frei von unterschwelliger Ideologisierung und sonstigen Geltungsansprüchen. Kein Porträt einer Generation will GREENBERG sein – bloß ein paar Ausschnitte aus dem Leben eines Mannes, der nicht hinter seinen eigenen Kitsch blicken kann.











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