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THE GIRLFRIEND EXPERIENCE (USA 2009)

von Alexander Karenovics

Original Titel. THE GIRLFRIEND EXPERIENCE
Laufzeit in Minuten. 77

Regie. STEVEN SODERBERGH
Drehbuch. DAVID LEVIEN . BRIAN KOPPELMAN
Musik. ROSS GODFREY
Kamera. STEVEN SODERBERGH
Schnitt. STEVEN SODERBERGH
Darsteller. SASHA GREY . CHRIS SANTOS . PHILIP EYTAN . PETER ZIZZO u.a.

Review Datum. 2011-02-08
Kinostart Deutschland. direct-to-video

Pornodarsteller, die sich in Mainstream-Filmen blicken lassen, haben eine lange Tradition. Selbstverständlich in Nebenrollen, selten mehr als ein paar Zeilen Dialog (wer schonmal einen zeitgenössischen Porno mit Story-Ambitionen durchlitten hat, weiß warum), meistens in augenzwinkerndem Kontext - gerade die Prise Exploitation, die man dem Samstag Abend-Zuschauer zumuten kann ohne ihn zu vertreiben. Tracy Lords in BLADE, Nina Hartley in BOOGIE NIGHTS (aufgrund der Thematik eigentlich unvermeidlich). Und Ron Jeremy war auch nur in GHOSTBUSTERS zu sehen, weil es damals noch niemanden interessierte, wie weit der "Hedgehock" sich letztendlich auf die Straße hinauswagen konnte ohne dabei unter die Räder zu kommen.

Steven Soderbergh wußte was er tat, als er Sasha Grey die Rolle eines Luxus-Callgirls anbot. Grey, die spätestens seit Jens Hoffmans exzellenter Doku über "das Gewerbe" (9 TO 5: DAYS IN PORN) auch Filmfans bekannt sein dürfte, die ohne Regenmantel in die Videothek gehen, präsentiert sich der Öffentlichkeit als schillernde, eiskalt kalkulierende Persönlichkeit, die dank ihres Medien-Exhibitionismus wie keine andere um neugierige Blicke der konservativen Mittelschicht (und denen, die vorgeben konservativ zu sein) buhlt - eine Attention Whore.

Die Hauptperson ist ein Escort, die High-Class Variante der Nutte. Und wenn sich in nüchtern eingefangenen Dialogen ihr Klientel vorstellt, ist weniger wichtig, was geredet wird, als daß man ein grobes Gefühl bekommt, worüber. So entsteht nach und nach ein lebendiger Eindruck der Welt, in der sich Chelsea, a.k.a. Sasha Grey bewegt. Soderberghs Bilder sind unaufgeregt, dennoch elegant und gewählt. Vielleicht etwas zu glatt für seinen halbdokumentarischen Anspruch, wenn er in Interview-gleichen Zwiegesprächen Chelsea intime Details über ihr Innenleben entlockt.

THE GIRLFRIEND EXPERIENCE schildert primär den Alltag eines Callgirls: Schlafen, Essen, Aufpolieren der Website. Ficken. Okay, der letzte Punkt war gelogen. Soderbergh geht es tatsächlich um Hintergründe und Facetten des Prostitutions-Gewerbes - weniger um Menschen, dafür ist seine Inszenierung zu pragmatisch, zu unpersönlich. Kurz davor oder kurz danach: Soderbergh filmt für ein Publikum, die bereits Sex hatten und nicht alles in Zeitlupe und Weichzeichner nochmal erklärt bekommen müssen; prüde wirkt das mitnichten. Fehlanzeige beim berüchtigten L-förmigen Bettlaken, ebenso selbstzweckhafte full frontal female nudity. Wenn Grey gänzlich entblößt vom Schlafzimmer ins Bad schreitet, ist das mehr selbstverständlich als erotisch.

Chelsea leistet mehr, als ihren Klienten einen runterzuholen: sie begleitet sie zum Dinner in luxuriöse Restaurants, ins Kino, führt vertrauliche Gespräche über den Rand eines Weinglases hinweg, ist Filmgeek, Psychiater, Anlageberater in einer Person. Und wenn's funkt, sogar sowas wie eine Freundin. Wenn auch nur für eine Nacht. Die Kameralinse wird zum Fenster für einen unprätentiösen, teils sezierender Blick hinter die Kulissen einer Welt, die man als Normalverdiener wahrscheinlich nie betreten wird, zumal Genre-Filme meist den sleazigen Hinterhof-Aspekt mit all seinen Klischees bedienen. Eine Meditation, an deren Ende zwar keine Erleuchtung, aber vielleicht die Erkenntnis steht, daß man da gerade 80 Minuten lang ganz normale Menschen durch ein Schlüsselloch hindurch beobachtet hat. Eine Tatsache, die man nach einer Woche Berieselung durch Pseudo-Reportagen im Privat-Fernsehen durchaus vergessen kann.

Warum aber die Rolle mit einer Pornodarstellerin besetzen? Hätte das eine "richtige" Schauspielerin nicht ebenso gut hinbekommen? Schon. Hätten wir es ihr geglaubt? Nicht in dem authentischen Maße, wie sich Sasha Grey der Kamera öffnet: THE GIRLFRIEND EXPERIENCE schöpft viel aus dem Wissen des Zuschauers, daß er da einer Person zusieht, die weiß, wovon sie spricht; Sex für Geld - Grey überzeugt in jeder Einstellung, muß nicht vorgegeben, jemand zu sein, der sie nicht ist. Auch die Königsdisziplin der Schauspielerführung, den One Take-Dialog fordert Soderbergh seinen Darstellern ab: in einer Szene streitet Chelsea lautstark mit ihrem Freund, die Kamera bleibt auf Distanz, saugt ohne Abblende jedes Detail der Körpersprache auf. Grey agiert auf Augenhöhe: Intonation und Delivery ihrer Zeilen sind the real deal. Näher kann man den Menschen, die da schwarz auf weiß im Skript stehen, nicht kommen.

Was den zynischen Verschleiß junger Talente angeht, steht die Traumfabrik nur geringfügig hinter der Pornobranche zurück. Und Sasha Grey? Die Frau wird ihren Weg schon gehen; ausreichend Arroganz und Selbstbewußtsein besitzt sie jedenfalls, um in beiden Lagern zu überleben, und ein tadelloseres Arbeitszeugnis als THE GIRLFRIEND EXPERIENCE kann sie bislang kaum vorweisen. Ein mutiges und einzigartiges Experiment, dem man nur wünschen kann, daß es hierzulande auf die richtigen Augen und Ohren trifft, dabei möglichst wenige Zuschauer vor den Kopf stößt, die sich vom Regisseur von OCEANS 11 und der Schauspielerin aus GRAND THEFT ANAL 11 einen anderen Film erhofft haben.











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