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FUNNY GAMES U.S. (USA/Frankreich/Großbritannien 2007)

von Claudia Siefen

Original Titel. FUNNY GAMES U.S.
Laufzeit in Minuten. 112

Regie. MICHAEL HANEKE
Drehbuch. MICHAEL HANEKE
Musik. -
Kamera. DARIUS KHONDJI
Schnitt. JUSTIN KROHN
Darsteller. NAOMI WATTS . TIM ROTH . MICHAEL PITT . BRADY CORBET u.a.

Review Datum. 2008-04-16
Kinostart Deutschland. 2008-05-29

Die erste Szene bleibt auch die stärkste: die kleine Familie (Mama, Papa, Sohn und Hund) fährt im Familienauto Richtung Urlaub ins Feriendomizil auf Long Island. Das Auto bietet Sicherheit, hermetisch abgeschlossen. Kein Ton der Außenwelt dringt in das Gefährt, das sich im hohen Tempo förmlich in die Landschaft ergießt und sich routiniert auf sein Ziel zubewegt. Die Sonne glitzert durch die Fensterscheiben und Mama schiebt eine Punk-CD in die Anlage. Man ist zusammen unterwegs, bewegt sich von einer familiären Hochburg (Zuhause) zur nächsten (Ferienhaus), um sich innerhalb des Ortswechsels doch keinen Millimeter vom Fleck zu bewegen. Stillstand als Faktor der Geborgenheit: es wird tödlich enden.

Vor zehn Jahren bereits hat Michael Haneke die als Anklage an die Mediengläubigkeit gerichtete Geschichte als österreichische Produktion realisiert, und als deutschsprachige Produktion seiner Meinung nach nicht das Publikum erreicht, das er eigentlich haben wollte: die englischsprachige Welt und vor allem die Amerikaner. Nun hat er Szene für Szene nachgedreht im amerikanischen Mittelklasse-Idyll, mit amerikanischen Schauspielern. Und verfehlt auch hier wieder sein Publikum, diesmal anhand des amerikanischen Verleihs, dem Arthauslabel Warner Independent, und nicht zuletzt mitsamt seiner völlig an den zeitgenössischen Lebensgewohnheiten vorbei fabulierenden Charakterkonstruktionen. Der Inhalt bleibt sich gleich: zwei junge Burschen (Michael Pitt und Brady Corbet) verschaffen sich Dank höflicher Masken und Umgangsformen Zugang zum Ferienhäuschen von Ann und George (Naomi Watts und Tim Roth), das abgelegen an einem See liegt. Die Bewohner der anderen ebenso vereinsamt liegenden Häuser kennen sich untereinander und mit kleinen Segelbooten über den dunklen See schippernd besucht man sich gegenseitig und hat ansonsten seine Ruhe. Die erste Ungereimtheit hat sich ihren Weg gebahnt: die beiden Teenager sind Fremdkörper in dieser Welt und schon besonders auffällig durch ihre Kleidung (weiße Polohemden und Shorts, an den Händen weiße Wollhandschuhe), dennoch sind sie sofort integriert: man lädt sich gegenseitig zum Golfspiel und Abendessen ein. Im hellen Tageslicht auf der sonnenüberfluteten Wiese tun die Jungs das, was Erwachsene von ihnen erwarten: sie sind höflich und sprechen devote Sätze mit einem Hang zu Oscar Wilde'scher Formulierungsfreude, was die Erwachsenen amüsiert zur Kenntnis nehmen. Die beiden heissen Peter und Paul und stehen bald schon bei Ann vor der Tür, die hektisch und lieblos das Mittagessen vorbereitet. Im Haus selbst gibt es keinen festen Telefonanschluss, die Mutter hat das einzige Mobiltelefon im Hause, während der Vater zwar am See das Boot klar macht, sein Mobil aber im Auto liegen lässt; und warum hat der etwa 10jährige Sohn Georgie bitte keines in seiner Hosentasche? Die Kommunikation in der Familie funktioniert also schon einmal rein technisch im wahrsten Sinne des Wortes nicht, der kleine fungiert als Überbringer von Mamas Botschaften, die von Papa im Boot milde belächelt werden. Und da steht auch schon Peter in der Tür, lächelt durch das Fliegengitter und bittet um vier Eier. Ann lässt ihn ein, ist schnell genervt und auch empört, dass sie diesen jungen Mann mit Freundlichkeit allein nicht wieder dazu bewegen kann, das Haus zu verlassen, während also Peter weiterhin in freundlich monotonen Sätzen auf die Eier besteht.
Ann wird es schnell unwohl in ihrer Haut, als auch noch Paul hinzukommt, sich ebenso an den Eiern, aber auch an den Golfschlägern des Hauses interessiert zeigt. Vater George (Tim Roth) wurde derweil von Sohn Georgie nun doch hinzugeholt und der nächste Riss in der Familie zeigt sich: er versucht sich in Männerloyalität und mit schulterklopfendem Befehlston will er die Jungs nun auch aus seinem Hause komplimentieren, doch da hat das mörderische "Spiel" schon begonnen. Die Nichtkommunikation im Familienkonstrukt soll das große Thema sein in der Neuverfilmung, garniert mit der Anklage an Gewaltdarstellung in Filmen, ob auf der Leinwand oder im Fernsehen. Gewalt ist nicht cool und lässig, sondern in erster Linie schmerzvoll, aber Peter und Paul erscheinen vor allem deshalb so brutal, weil sie ihr Gewaltkonstrukt über mehrere Stunden ausweiten, mit gleich bleibender Gelassenheit und der absoluten Auswegslosigkeit für ihre willkürlich ausgewählten Opfer. Von vornerein machen sie klar, dass niemand hier dem Tod entgehen wird, aber die jeweiligen Morde sollen vor allem dem Unterhaltungswert dienen. Der ihnen entgegengebrachte Widerstand ist schnell, zu schnell, gebrochen. Einige Male wird von den beiden direkt in die Kamera gesprochen und das Publikum befragt: Was denken Sie, wer soll zuerst sterben? oder Sie sitzen ja immer noch da!?
Wenn die beiden Täter um ihre Beobachter, den Kinosaal, wissen, wie sieht es da mit den Opfern aus? Wir leben mittlerweile in einem Sozialgefüge, das jede Form von Gewaltausbruch verurteilt. Sicher, es soll niemand zum Mörder werden, das gesellschaftliche Miteinander fußt auf dem Respekt vor dem anderen Leben. Aber wohin soll dieses gewalttätige Potential? Dafür hat sich der Mensch den "Sport" erfunden, um einmal körperlich entfesselt zu sein. Sexualität ist auch schon unter öffentlicher Beobachtung und wird mit Massstäben belegt, die in erster Linie der Unterdrückung dienen. Die beiden Jungs haben keinerlei sexuelles Interesse: Ann muss sich vor ihren Augen entkleiden, die Jungs schauen müde und stellen nur fest, dass sie für ihr Alter ja überhaupt keine Fettpölsterchen hat. Dann darf sie sich wieder anziehen. George wurde mittlerweile das Bein zertrümmert und die Jungs verlangen von ihm, seine Frau zu diesem unfreiwilligen Strip aufzufordern (Zieh Dich aus, Liebling). Von da an ist George zerstört. Es ist Roths grandiosem Können zu verdanken, von nun an den völlig in seiner Schutzfunktion versagenden Vater in seinem Gesicht zu erkennen: er selbst sieht sich mehr gekränkt in der Zurschaustellung seiner Ehefrau vor anderen männlichen Augen, als diese selbst. Die Jungs meinen es ernst und erschießen schon direkt einmal zu Beginn den Sohn. Zum Abend hin gönnen sie sich schließlich eine Pause und verlassen das Haus. Die Frau will Hilfe holen während der Vater hilflos mit dem Mobil hantiert: "battery low". Die Hilfesuche schlägt fehl, und George wird als nächster dran sein, denn die Jungs kommen natürlich wieder zurück: Don't you forget the importance of entertainment!

Das alles funktioniert nicht mehr, wie vor zehn Jahren; der Zuschauer ist längst mündig geworden in seiner Beurteilung von Gewaltdarstellung in den Medien. Haneke hat das wohl nicht mitbekommen und lässt das Blut des kleinen erschossenen Georgie auf den übergrossen Fernseher spritzen.

Aber wenn man denn will, kann man dem Film eine viel tiefere Struktur zusprechen, wo er es vielleicht gar nicht beabsichtigt hat: in seinem tiefen Unbehagen Frauen gegenüber. Oder vielmehr der den Männern von den Medien mittlerweile aufdiktierte Unsicherheit gegenüber dem weiblichen Geschlecht: es sind die Frauen, die hier die Verabredungen treffen und alles Mögliche besprechen, das Essen kochen, die Haustür öffnen; in Aktion treten und Mann und Kind beschützen müssen. Die Frau wird den toten Hund finden, und die Frau wird den Ehemann trösten und versuchen, nach vorne zu blicken und Hilfe zu organisieren. Die absolute Aktion kommt von den Frauen aus (Ann und die kurz in Erscheinung tretenden Nachbarinnen), und Haneke lässt sie gnadenlos scheitern. Die Männer sind hilflos, selbst die Mörder. Sie resignieren vor Anns nacktem Körper und tragen dicke weiße Handschuhe. Es ist der Sohn, der zuerst stirbt, und zu Beginn des Films noch herumjammert, da seine beste Freundin noch nicht am Ferienort angekommen ist.
Das wäre die moderne Lesart des Films: es kann nicht mehr um die altväterliche Warnung vor dem Umgang mit den Medien gehen, mit der vermeintlich Manipulation des Konsumenten, mit der sich eine Machtelite oder Industrie doch nur die Oberhand über das Volk erhalten will. Panikmache!
Es geht hier vielmehr um das Ungleichgewicht der Geschlechter, die Unfähigkeit miteinander zu reden und wirklich zuzuhören und tatsächlich für den anderen zu sorgen, das Zerbröseln von familiärer Zusammengehörigkeit und Verantwortung und was das eigentlich bedeutet. Aber wenn man den Zuschauer hier wieder einmal zum Denken animiert, wäre ja die ach so einfache "Medienkritik", das Abschieben von eigener Verantwortung seinem Nächsten gegenüber, völlig absurd und ein bequemes schwarzes Schaf wäre verloren.











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