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EXCISION (USA 2012)

von Alexander Karenovics

Original Titel. EXCISION
Laufzeit in Minuten. 81

Regie. RICHARD BATES JR.
Drehbuch. RICHARD BATES JR.
Musik. STEVE DAMSTRA . MADS HELDTBERG
Kamera. ITAY GROSS
Schnitt. STEVE ANSELL . YVONNE VALDEZ
Darsteller. ANNALYNNE MCCORD . TRACI LORDS . MALCOLM MCDOWELL . JOHN WATERS u.a.

Review Datum. 2013-02-07
Kinostart Deutschland. 2013-01-17

Teenager sein ist die Hölle; so viele Verbote, soviel auszuprobieren und zu entdecken: erster Sex, erster Herpes, erster chirurgischer Eingriff. Pauline ist kein Mädchen wie andere, mehr eine Spezies für sich. Ihr größter Wunsch: Medizin studieren! Statt den Cosmopolitan wälzt die exzentrische Außenseiterin den Pschyrembel, eine tote Krähe auf dem Gehweg befeuert ihre morbide wissenschaftliche Neugier: zuhause am Schreibtisch wird das Tier seziert und Organ um Organ inspiziert. Logisch, daß keiner mit ihr befreundet sein will und sie sich allerhand verbale Angriffe von der populären Cheerleader-Front gefallen lassen muß. Revanchieren tut sich Pauline mit der vollen Breitseite an Gross-Out-Taktiken - Hauptsache es schockt und ekelt. Ein autonomer Freak mit Grips, gefährlichem Ehrgeiz und noch mehr Hormonen. Und wenn die mal wieder Amok laufen, verliert sich Paulinchen gänzlich in erotisch-grotesken Traumwelten im aseptischen Fetisch-Ambiente, reibt sich an nackten, koital verknoteten Körpern, während Blut in sterilisierte OP-Behälter tropft und blitzende Skalpelle Adern und Sehnen freilegen. AnnaLynne McCord spielt die Anti-Heldin mit bemerkenswerter Kompromißlosigkeit, ein charismatischer Kotzbrocken, berechnend bis ins Mark, ohne Anwartschaft auf sentimentale Gefühle oder Mitleid: "Impossible to love", wie ihre Mutter in einem unkontrollierten Moment verzweifelt ausruft.

Man mag von der Besetzung halten was man will, sicherlich nicht unerheblich kalkuliert, auf daß der Feuilleton einen "Cast mit Kultpotential" heraufbeschwöre, der sich natürlich super als Zitat auf dem Cover der Heimkino-Auswertung macht: John Waters und Malcolm McDowell sind Hausnummern, da braucht es keine Aufschrift auf dem Klingelschild. Genauso könnte man dem Team zu raren Glücksgriffen gratulieren: Paulines religiös-dogmatisch deklamierende Mutter ausgerechnet mit Traci Lords zu besetzen, das hat Witz. Und funktioniert. Lords überzeugt in ihrer zweitbesten Rolle ausnahmsweise nicht als exploitative Staffage, sondern als respektable Schauspielerin. Und wenn vorgestrige Republikaner-Gesinnung von instabilem jugendlichen Wahn gefickt wird, zeugt sie eine kritische Masse, die die Leinwand explodieren läßt und spannende Transitionen zwischen drastischem Horror und Familiendrama ermöglichen.

Ein Film, dem ich nur knapp das Prädikat "Geheimtip" verweigere, aus dem einfachen Grund, weil wenn jeder das tut, EXCISION nicht länger als Sleeper durchgeht, sondern zum langweiligen Konsens verkümmert. Und dafür traut er sich schlicht zuviel. Regisseur (und Autor) Richard Bates Jr. psychologisiert nicht, bleibt mehr am sichtbaren Effekt denn am Werdegang interessiert; wer neugierig auf die Triebfeder solch pathologischen Verhaltens ist, findet in Paulines familiärem Umfeld ausreichend Indizien, um sich ein farbiges Bild vom Verwesungsprozeß ihres manischen Seelenlebens zurechtzupuzzlen. Nur konsequent, wenn sie den Tag ihrer (akribisch geplanten) Entjungferung ausgerechnet auf das Datum ihrer Periode legt ...

Emphase ohne Anlaufzeit; auf Aktion folgt Reaktion, auf graphischen Schock sardonischer Witz, jede Szene setzt am Höhepunkt ein; EXCISION ist zum bersten gefüllt mit Handlung und potentem visuellen Ejakulat. Sieht so eine nicht sauber zu Ende gedachte, auf Spielfilmlänge aufgepumpte Kurzfilmidee aus? Von diesem Exemplar braucht es nämlich weiß Gott kein Weiteres ... in der Tat weiß Bates gar nicht soviel zu erzählen - seine Charaktere sind Typen, die bereits zu Beginn entwickelt sind und nun als Katalysator für ein Dauerfeuer an fatalen Korrelationen herhalten müssen. Mit diesem Blatt auf der Hand läßt er uns an einer Vabanque-Partie von solch halsbrecherischer Intensität teilhaben, daß wir am Ende sogar verzeihen, wenn ihm (hat er uns mal in Paulines Masterplan eingeweiht) die Asse im Ärmel ausgehen und ihm nichts mehr bleibt außer All In zu gehen. Ein Konzept, das sich einem roten Faden gleich durch den Film zieht: wenn er uns wehtun will, piesackt er uns nicht lange mit Stricknadeln, sondern geht direkt an die Eier. Der Einsatz hat sich gelohnt; Bates geht auch ohne Straight Flush auf der Hand als Sieger nachhause. Und wir mit ihm.











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