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Gut, dann eben EIN QUANTUM TROST. Warum auch nicht? Quantum kennt der ein oder andere ja vielleicht noch aus Omas Rezeptbuch, und Trost kann man dieser Tage immer gebrauchen. Ich will mich auch gar nicht beschweren, ging wahrscheinlich einfach nicht besser. Freilich: Hätte man die Bond-Geschichte nur ein bisschen sorgfältiger geschüttelt (nicht gerührt), wäre man bestimmt auf das ein oder andere nützliche Eindeutschungsmuster für Problemtitel gestoßen. Die Sprichwort-Umkrempelungs-Strategie, zum Beispiel (siehe MAN LEBT NUR ZWEIMAL), oder die Irgendwas-mit-Tod-Taktik (IN TÖDLICHER MISSION, DER HAUCH DES TODES). Wieso also im aktuellen Fall nicht TÖDLICHER TROST, TROST MAHLZEIT oder WER TRÖSTET, DER RÖSTET?
Mehr oder minder gepasst hätten sie alle auf den 22. Teil der Reihe, der zugleich die erste serieninterne Direktfortsetzung darstellt: Bond braucht a) Kitt (d.h. Rache) für sein Herz, das ihm die scheinbar verräterische Vesper Lynd in CASINO ROYALE gebrochen hatte, beweist dabei b) einmal mehr seine legendäre Trinkfestigkeit und steht c) am Ende beinahe buchstäblich in Flammen. Wer den Plot ein Quäntchen (!) ausführlicher haben will, bittesehr: Ein Verhör von Vespers Kontaktmann, Mr. White, fördert nebulöse Informationen über eine kriminelle Megacorporation zutage – Deckname: Quantum –, deren Leute sich wie unsichtbare Parasiten in Regierungen, Geheimdiensten und Großunternehmen eingenistet haben. Als bald auch M (Judi Dench) von höchster Stelle bedrängt wird, die Ermittlungen abzubrechen, ist Bond einmal mehr auf sich allein gestellt. In Italien nimmt er Quantums Spur wieder auf und gerät an die ebenfalls auf Privatvendetta befindliche Camille (bada-bing: Olga Kurylenko) sowie den ekligen, weil scheinbar niemals blinzelnden Quantum-Schergen Dominic Greene (Mathieu Amalric), der sich als ökobewusster Philanthrop einen Namen gemacht hat und nebenher ominöse Landmassen-Deals mit südamerikanischen Diktatoren abschließt. Vor allem ein scheinbar wertloses bolivianisches Wüstengebiet hat es Greene angetan...
Nun lebt ja der Mensch bekanntlich nicht vom Plot allein, schon gar nicht, wenn er Bond heißt und tendenziell sowieso immer das gleiche erlebt. Die klassische 007-Handlung ist entweder so kinderleicht, dass man sie von vorneherein durchschaut, oder dermaßen überkomplex, dass sie einem bald egal wird. In beiden Fällen dient sie idealerweise als bloßes Bindemittel für den wahren Kern der Serie: die einzelne Sequenz. Selbige in hoher Schlagzahl aneinander zu ketten und mit den klassischen Elementen (Jagden, Schießereien, Frauen, fremde Städte etc.) nicht nur zu bestücken, sondern auch zu je gewitzten Auflösungen zu führen, offenbart das Geschick eines Bond-Autors. Das Trio Haggis-Purvis-Wade, das sich in dieser Hinsicht mit CASINO ROYALE den Triumviratstitel erschrieben hatte, rutscht in EIN QUANTUM TROST allerdings merklich aus der Spur: Der bravouröse Spagat zwischen alter Verspieltheit und neuem Realismus, der den Relaunch der Serie auszeichnete, macht hier einem Drehbuch Platz, das sich streckenweise deutlich zu wichtig nimmt und dabei viele der eigentlich zentralen set pieces mit routinierter Trägheit abhakt: es darf zwar wieder zu Land, zu Wasser und in der Luft gekabbelt werden was das Zeug hält, aber man wird das Gefühl einer müßigen Pflichtübung nicht los. Spuckte der Vorgänger noch kreative Glanzlichter im Dutzend aus – etwa die nervenzerrende Flughafensequenz, der zwölffache Autoüberschlag oder der Defibrillator im Handschuhfach –, herrscht hier reines Post-BOURNE-Actionfilm-Einerlei. Kurz gesagt: viel wird geschlagen, nur keine Haken; vieles zündet, nur keine Ideen.
Statt dessen bekommt man einen kruden Plot serviert, der soviel Aufmerksamkeit nun auch nicht verdient hätte. Das Drehbuch bemüht sich mit nachgerade pädagogischem Ernst, den beißenden Ölgeruch der Spätkapitalismuskritik zu verbreiten, raunt von Ressourcenausbeutung, Stellvertreterpolitik und globaler Paranoia – übersieht dabei aber, dass die Bösewichtsfigur des gewissenlosen Global Players mittlerweile ein ebenso abgefrühstücktes Klischee ist wie die russischen Generäle und exzentrischen Spinner von dunnemals. Ganz abgesehen davon ist gepflegte Korruptionsdresche in einem Film, der sein reichhaltiges Arsenal an Product Placement mittlerweile ähnlich perfide unterzuschmuggeln weiß wie Tyler Durden Pornobilder in Disney-Musicals, ohnehin ein Kavaliersdelikt.
Andererseits haben sich die Autoren offenbar das hehre Ziel gesetzt, Bonds von Verrat und Verlust traumatisierte Psyche bis zum kleinen Zeh auszuleuchten, verwechseln aber charakterliche Ambivalenz mit grober Unterdefiniertheit: Bond kommt hier so wortkarg, unnahbar, ja abstrakt rüber wie selten zuvor. Zwar ist das stellenweise gar nicht so unelegant gelöst, etwa wenn Bond in einer frühen Zweikampfszene kaum noch von seinem Gegner zu unterscheiden ist und sich von Freund Mathis hinterher sagen lassen muss: "The heroes and the villains get all mixed up." Zugleich fehlt aber seinem mittlerweile grenzsoziopathisch kaltblütigen Verhalten – mehr als einmal entrüstet sich M über sein menschlich wie taktisch unmögliches Zeugenwegtöten – das dringend notwendige emotionale Gegengewicht, was Empathie mit der Figur mindestens problematisch gestaltet und so die dramatisch fruchtbare Rachethematik, die schon LIZENZ ZUM TÖTEN zu einem Serien-Highlight machte, schlichtweg verschenkt.
Selbstredend dürfte man sich solcherlei Detail-Einwände getrost an den Hut stecken, wenn nur der Doppelnull-Faktor halbwegs stimmt. Doch wo CASINO ROYALE noch durch spielerische Variation und Reorganisation standardisierter Bond-Muster frischen Wind in die Serie brachte, praktiziert EIN QUANTUM TROST den totalen Kahlschlag: Praktisch sämtliche liebgewonnenen Bondismen finden hier höchstens noch als Zitat oder Relikt statt, angefangen beim scheußlich charakterlosen Titelsong von Alicia Keys und Jack White, die dafür beide von John Barrys Geist mit wütenden Flüchen belegt gehören. Es gibt kein "Bond, James Bond" mehr, keine unterirdischen Raketenbasen, keine Gimmicks unter der Schuhsohle und anstelle von Wodka Martini einen ziemlich tuffigen Cocktail mit Zitronengirlanden drin, dessen Rezept Bond erst beim Barkeeper erfragen muss. Mathieu Amalric gibt den vergesslichsten Bösewicht seit Brosnan-Zeiten ab, wahrscheinlich, weil er gänzlich auf schillernde Gadgets und Idiosynkrasien verzichten muss: weder besitzt er blutende Tränendrüsen noch einen goldenen Colt oder acht Pussies. Und wo wir schon dabei sind: Eine einzige Bettgeschichte im gesamten Film (Gemma Arterton in einer beleidigenden 5-Sekunden-Performance) dürfte für den einstmaligen Mr. Kiss Kiss Bang Bang auch Minusrekord sein.
Immerhin, auf einige Grundtugenden ist nach wie vor Verlass: Das Location-Hopping steht voll im Saft, alle fünf Minuten erscheint ein neuer, typografisch extravaganter Schriftzug auf der Leinwand, der uns darüber informiert, wo zum Geier wir uns jetzt schon wieder befinden. Wie immer wird die stählerne Geometrie der Weltstädte tunlichst gemieden; auf steinernen Serpentinen am grünen Meer rast es sich einfach ansehnlicher, und das Finale findet gleich mitten in der Wüste statt.
Daniel Craig ist – bei aller emotionalen Distanz – auch in seinem zweiten Bond-Auftritt ein Ausbund an physischem Charisma, dessen rohe, fast plumpe Körperlichkeit vor allem in Nahkampfszenen wieder perfekt zur Geltung kommt; erneut darf nach Herzenslust geschwitzt, geschnauft, gegen Wände gekracht und die Treppe runtergestürzt werden. Gerade auf Straßenlevel geraten die Action-Choreografien glänzend, hervorgehoben sei eine frühe Hetzjagd über den Dächern von Siena, die die atemlose Klasse der Parkour-Sequenz aus CASINO ROYALE um wenige Nasenlängen verfehlt. Die Kamera changiert dabei durchaus planvoll und rhythmisch zwischen völligem Chaos und balettöser Gleitbewegung, was das Geschehen jederzeit übersichtlich hält und (abgesehen von einer arg bemühten Parallelmontage in der Bregenzer Oper) selten prätentiös wirkt. Nicht immer gilt das für die zahlreichen motorisierten Intermezzi, die, wie gesagt, teils recht überraschungsarm durchgespult werden; aber zumindest eine mörderische Flugsequenz über dem Baja California gibt es, die das Adrenalin dann doch noch spielend in den roten Bereich treibt.
Solche Momente sind immerhin ein kleiner Trost, vielleicht sogar ein Quantum, können aber die mittelschwere Enttäuschung über die weitgehende Unbondigkeit des Ganzen nicht wirklich lindern. Und, siehe da, jetzt fällt mir doch noch der perfekte Titel für diesen Film ein: EIN QUANTUM BOND. Es wäre zu hoffen, dass die Macher für den nächsten Teil wieder den ganzen James reaktivieren. Es ist nämlich so: Man mag vielleicht zweimal leben, gar zweimal eine Serie neu starten können – dies aber unmöglich auf halber Kraft.
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