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DREI GESICHTER (Iran 2018)

von Florian Lieb

Original Titel. SE ROKH
Laufzeit in Minuten. 100

Regie. JAFAR PANAHI
Drehbuch. JAFAR PANAHI . NADER SAEIVAR
Musik. -
Kamera. AMIN JAFARI
Schnitt. MASTANEH MOHAJER . PANAH PANAHI
Darsteller. BEHNAZ JAFARI . JAFAR PANAHI . MARZIYEH REZAEI . NARGES DELARAM u.a.

Review Datum. 2018-12-23
Kinostart Deutschland. 2018-12-26

In Eminems Hit-Song "Stan" dreht sich alles um Hilferufe eines Fans, die von seinem Idol vermeintlich unerhört bleiben, ehe daraus eine Tragödie entspinnt. Ähnlich mutet auch der Einstieg in Jafar Panahis neuesten Film DREI GESICHTER an. Das junge iranische Dorfmädchen Marziyeh beschreibt in einem Selfie-Video ihren Wunsch einer Schauspielkarriere und das Dilemma des Widerstands ihrer Familie, die sie lieber verheiraten möchte. Kontaktversuche zu ihrem Vorbild, Schauspielerin Behnaz Jafari, damit diese als Vermittlerin auftreten kann zwischen den Parteien, blieben unbeantwortet. Als letzter Ausweg dient Marziyeh nun die Aufnahme ihres Suizids durch Erhängung - und tatsächlich findet das Video endlich sein Ziel.

Marziyehs Handyvideo tritt die eigentliche Handlung los, wenn Behnaz Jafari gemeinsam mit dem ihr bekannten Filmregisseur Jafar Panahi, an den das Video geschickt wurde, zu Marziyehs Dorf in der Provinz Ost-Aserbaidschan aufbricht. "Das ist alles so absurd und doch so real", sagt Jafari da während der Fahrt - und redet sich ein, der Suizid sei gestellt. "Das ist doch alles inszeniert", findet sie. Halb mutmaßend, halb hoffend. Panahi begleitet sie dabei vermutlich neben seiner Kenntnisse als Filmemacher einerseits als männliche Begleitperson angesichts Irans patriarchalischer Gesellschaft, andererseits aber auch als Übersetzer, da er neben Persisch auch Aserbaidschanisch spricht.

Die Suche nach Marziyehs Schicksal entwickelt sich in der Folge zum ländlichen Road Movie durch nordiranische Täler und Dörfer. Hier kommunizieren Autos per Hupe, wer auf den engen Bergstraßen Vorfahrt genießt, und alte Frauen legen sich zur Probe bereits auf dem Friedhof in ihre designierten Gräber. Die Ankunft von Jafari und Panahi wird im Dorf zuerst groß gefeiert, weil assoziiert mit Problemlösungen aus Teheran für allerlei örtliche Ärgernisse. Genauso schnell macht sich dann Unmut breit, als ihnen der wahre Grund des Besuchs der Filmemacher gewahr wird. Denn Marziyeh war wenig populär, anderen Mädchen im Dorf gar der Umgang mit ihr verboten worden.

"Sie spricht immer aus, was sie denkt, und das mögen viele nicht", klärt eine Frau die Besucher auf. Im Dorf der ost-aserbaidschanischen Provinz läuft wie auch in Teheran und dem restlichen Iran alles klar nach Regeln - und die gibt das patriarchalische Regime vor. Das weiß Panahi selbst sicher am besten, der eigentlich Regie-Verbot hat. Entsprechend macht sich Panahis Mutter Sorgen, als sie ihn am Telefon erreicht, da das Gerücht umgehe, er filme zurzeit. Mehrfach muss der Sohn da der Mutter versichern, dass dem nicht so sei - obschon es natürlich der Fall ist. Zwar spielen sich Marziyeh, Jafari und Panahi hier selbst, dennoch ist DREI GESICHTER keine Dokumentation, sondern Spielfilm. Auch wenn dies nicht sofort klar wird.

Das tut der vermeintlichen Authentizität des Gezeigten jedoch wenig Abbruch. Die Figuren, die wir in Panahis Film treffen, gibt es sicher zuhauf in der Wirklichkeit - auch außerhalb der Grenzen Irans. Es geht ihnen um Tradition, aber auch um Selbstbestimmung. Es trifft Historie auf Moderne, wo zwar jeder ein Handy hat, aber keiner Netz. Einst wollte Marziyehs Vater die Vorhaut seines Sohnes in Teheran am Palast beerdigen, damit aus dem Nachwuchs dem Brauch nach später etwas Ordentliches wird. Bezahlen musste der Vater dies stattdessen mit Arrest. So verständlich der Wunsch junger Mädchen wirkt, sich fernab ihrer Dörfer der Kunst hinzugeben, so unverständlich erscheint er ihren Familien, die (noch) in der Vergangenheit verankert sind.

Passender Weise lebt abseits vom Dorf ebenfalls eine Schauspielerin, deren Schaffen ihr vor vielen Jahren genauso viele Probleme bereitete, wie bei Panahi der Fall. Sie ist ein Gegenentwurf zu Jafari, ihr war nicht dieselbe Karriere vergönnt, vielmehr das Arbeiten nach der Revolution untersagt. Panahi hinterfragt dabei auch die Rolle, welche die neue Generation Filmeschaffender um ihn, Jafari und Co. durch ihr Nichtstun gegenüber dieser Ungerechtigkeit gespielt hat. Insofern treffen in DREI GESICHTER was war, was ist und was sein könnte aufeinander. Und die relativ emanzipierte Jafari erlebt eine Welt, die mit weniger Glück auch die ihre hätte sein können.

Der Film funktioniert dabei primär in kleineren Episoden und Anekdoten, denen Panahi und Jafari auf ihrer Reise begegnen. Das Schicksal von Marziyeh steht weniger im Fokus, sondern ist mehr repräsentativ für den Status quo im Land und eine mögliche Divergenz zwischen Stadt und Land. Das macht DREI GESICHTER nicht zwingend tiefsinnig, aber relativ kurzweilig und vergnüglich aufgrund der Interaktionen zwischen den Figuren und dem provinziellen Charme. So sehr sogar, dass man fast auf die Auflösung um Marziyeh verzichten könnte. Denn auch ohne ihr Suizid-Video ist das Geschehen so absurd und doch so real - und ganz sicher inszeniert.











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