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DREAM (Korea 2008)

von Björn Lahrmann

Original Titel. BI-MONG
Laufzeit in Minuten. 93

Regie. KIM KI-DUK
Drehbuch. KIM KI-DUK
Musik. JI PARK
Kamera. KIM GI-TAE
Schnitt. KIM KI-DUK
Darsteller. JÔ ODAGIRI . NA-YEONG LEE . ZI-A . TAE-HYEON u.a.

Review Datum. 2009-01-04
Kinostart Deutschland. nicht bekannt

Wenn in einer Geschichte zwei sich treffen sollen und man als Autor partout nicht weiß wie, bedient man sich gern eines Unfalls. Kim Ki-duk sei der Gebrauch dieses Allunheilmittels verziehen, schließlich ist DREAM sein fünfzehnter Film in gerade mal zwölf Jahren. Darum geht's: Eine Frau namens Ran wird nächtens auf ein Polizeirevier geschleppt, weil sie kurz vorher ein fremdes Auto gerammt und Fahrerflucht begangen haben soll. Sie selbst bestreitet die Tat zwar vehement – schließlich habe sie zum betreffenden Zeitpunkt geschlafen –, aber der Zustand ihres Wagens und die entsprechenden Verkehrsüberwachungsvideos lassen an ihrer Schuld keinen Zweifel. Kurz darauf erscheint jedoch ein Mann namens Jin auf der Wache, der behauptet, er sei der eigentliche Verursacher des Unfalls – und zwar, indem er ihn geträumt habe.

Bevor jetzt alle Aficionados gepflegt übersinnlicher Vexierspiele an uneinsehbaren Stellen feucht werden: des Rätsels Lösung erfolgt bereits in den ersten fünf Minuten. Sie geht, um mal Freud via Harry Nilsson zu zitieren, etwa so: "Dreams are nothing more than wishes and a wish is just a dream you wish to come true." Jins sehnlichster Wunsch – und somit auch allnächtlicher Traum – ist nun ein Widersehen mit seiner Ex-Freundin, die ihn verlassen hatte, weil er grob zu ihr war, und die er nach wie vor abgöttisch liebt. Wo für Freud jedoch bereits der Traum selbst die Wunscherfüllung in sich birgt, wird selbige bei Jin in die Realität verlängert: Was immer er träumt, wird von Ran schlafwandelnd ausgeführt – mit dem perfiden Kniff, dass (ganz nach dem Muster Freudscher Verschiebungsarbeit) an die Stelle von Jins erträumter Ex-Freundin Rans eigener Ex-Freund tritt, den auch sie verlassen hatte, weil er grob zu ihr war, und der seinerseits unterdessen eine Affäre mit… na, mit wem wohl angefangen hat?

Auf dem Papier ist das ein recht raffiniertes, genussreich im Hirn wälzbares Wahlverwandtschaftsszenario, das als statisches Labormodell allerdings besser funktioniert als im Fluss einer linearen Erzählung. Diesen Konflikt lässt der Film seine Protagonisten gewissermaßen offen austragen: Ran, die von Beruf Näherin ist, spinnt ihren Lebensfaden trotz gescheiterter Beziehung parzengleich voran, wird aber von dem Graveur Jin, dem ganz im Gegenteil an einer immer tieferen Einkerbung seiner verlorenen Liebe gelegen ist, daran gehindert. Und da Jin der Taktgeber des Film ist, überträgt sich sein pathologischer Wiederholungszwang auch auf die Plotstruktur, die das Ausgangsszenario in je leichter Abwandlung immer wieder aufs Neue durchexerziert – mit stetig ärger werdenden Konsequenzen: Resultiert der anfängliche Unfall noch aus einer bloß distanzierten Verfolgung der Geliebten, träumt sich Jin bald auf ihre Türschwelle, in ihr Zimmer, in ihr Bett – was für Ran letztlich nichts weniger bedeutet, als sich ihrem verhassten Ex zur Vergewaltigung abzuliefern.

Nun ist derart unbekümmerte Misogynie bei Kim, der bekanntlich ganz gern mal eine Frau für seine latent kranken Ideen opfert (siehe etwa den erheblich besseren SAMARIA), wahrlich nichts Neues und kaum mehr Anlass für empörtes Gejapse. Durchaus neu ist an DREAM allerdings, wie sehr er sich bei der Inszenierung im Ton vergreift: Nachdem die zugrunde liegende Traummechanik ungelenk durch eine butterweich säuselnde Psychologin zu Tode erklärt wurde, wandelt sich der Film für einen Gutteil der Laufzeit zum sorglos-dämlichen Verwechslungsklamauk, bei dem Jin und Ran unter viel Maulen und Zicken gegenseitige Wachhaltemaßnahmen ersinnen. Jeder sich anbahnende Moment meditativer Melancholie wird sofort vom nächsten Wasser-im-Bett- und Klebestreifen-überm-Augenlid-Jokus plattgefahren. Restlos über den Jordan geht der Film ironischerweise aber erst, wenn er zum Ende hin doch noch die Kehre zum Tragischen einschlagen will mit überflüssigen Zenkloster-Besichtigungen, Überbietungsversuchen in Märtyrertum und sagenhaften Verwandlungen, dabei aber bloß noch pathetisch und aufgesetzt wirkt.

Ließ Kim sonst meist erlesene Bilder sprechen, packt ihn hier ein akuter Fall von Laberdefizitaufholungsfieber: jeder noch so offensichtliche Gedanke wird feinsäuberlich in Dialoge verpackt, und zwar solche, die George Lucas erbleichen lassen würden. (Randnotiz: Teenagerschwarm Jô Odagiri spricht als einziger im ganzen Film Japanisch, was aber niemanden zu stören scheint.) Komplementär zur neuen Redseligkeit ist DREAM von der visuellen Eleganz früherer Werke meilenweit entfernt: Die biederen Sets werden durch glanzlose Alltagsausleuchtung noch ein gutes Stück hässlicher gemacht, als sie ohnehin sind, und zur Markierung der Traumsequenzen wird einfallsloserweise die Framerate gedrosselt, bis es halt ein bisserl stockt. Eine einzige Szene gibt es, ziemlich genau in der Filmmitte, die das Potenzial ihres Machers noch einmal ausschöpft: Jin, Ran und ihre beiden ehemaligen Geliebten treffen sich auf einem nebelverhangenen, in der Morgensonne milchig glühenden Feld und gehen sich über Kreuz an den Kragen. Nichts scheidet hier noch Traum von Realität, nichts mehr seinen Schmerz von ihrem – und wortlos, fast unmerklich generiert sich in der Quadratur der Doppelgänger eine Bitterkeit, die jene Konsequenz nahelegt, der gegenüber der restliche Film leider blind und taub ist: dass man für wirkliche Erfüllung aus dem Traum, der sie verspricht, nicht mehr erwachen darf.











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