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CASHTRUCK (Frankreich 2004)

von Jan Zeleny

Original Titel. LE CONVOYEUR
Laufzeit in Minuten. 95

Regie. NICOLAS BOUKHRIEF
Drehbuch. ERIC BESNARD . NICOLAS BOUKHRIEF
Musik. NICOLAS BABY
Kamera. DOMINIQUE COLIN
Schnitt. JACQUELINE MARIANI
Darsteller. ALBERT DUPONTEL . JEAN DUJARDIN . FRANÇOIS BERLÈAND u.a.

Review Datum. 2004-09-09
Kinostart Deutschland. direct-to-video

Auf einer einsamen Landstrasse ist ein gepanzerter Transporter unterwegs. Die Besatzung scherzt ausgelassen über Dolly Parton, als das Führerhaus abrupt in einem Feuerball explodiert. In der auf den Schock folgenden Stille bildet sich aus den Flammen ein Schriftzug vor schwarzem Hintergrund: CASHTRUCK. Selten hat die Eröffnungssequenz eines Films den Ton treffender etabliert...

Ein abgehalftertes Wachschutzunternehmen für Geldtransporte, "Vigilante" (sic!), in einer namenlosen, tristen Vorstadt. Gleich drei Transporter wurden in den letzten Monaten von schwer bewaffneten Profis brutal überfallen, die Crews rücksichtslos aus dem Weg geräumt; die Nerven liegen verständlicherweise blank. In diese Atmosphäre schwelenden Unbehagens platzt nun Alexandre Demarre (mal wieder ganz, ganz gross: Albert Dupontel), ein undurchsichtiger Einzelgänger, der sich in einer Absteige in unmittelbarer Nähe des Unternehmens einmietet und offenbar eigene Pläne verfolgt. Er integriert sich in die schräg zusammengewürfelte, unterqualifizierte Truppe, bewährt sich bei einem Überfall, und bald ist man derart in den Alltag der Männer (und der einen Frau: Dupontels wunderbare Weggefährtin Claude Perron) involviert, dass man das dräuende Unheil schon beinahe vergessen hat. Doch so behutsam wie geschickt der Film in der ersten Hälfte das Interesse an seinen Charakteren und Demarres Motivation weckt, so unaufhaltsam und unvermittelt drastisch brechen dann in der zweiten Hälfte die tragische Auflösung und schliesslich das nicht minder tragische Finale über den Zuschauer herein. Und das kennt keine Gewinner.

Nicolas Boukhrief, der Anfang der '80er zusammen mit Christophe Gans das in Frankreich mittlerweile legendäre Magazin "Starfix" gegründet hatte, arbeitete er Mitte der '90er für Canal+ an der Entwicklung der Drehbücher so unterschiedlicher Projekte wie Dupontels Regiedebüt BERNIE, Jan Kounens DOBERMANN und dem Holocaustdrama ZUG DES LEBENS mit, um sich schliesslich selbst aktiv der Produktion von Filmen zuzuwenden. Zusammen mit Matthieu Kassovitz schrieb er das Drehbuch für dessen ASSASSINS, drehte zwei kleinere Filme (die er selbst pragmatisch als Fingerübung bezeichnet) und gründete nebenbei noch 1997 mit Richard Grandpierre die Produktionsfirma Eskwad, die u.a. Dupontels zweiten Spielfilm LE CRÉATEUR, Gans' PAKT DER WÖLFE und Gaspar Noés IRREVERSIBLE finanzieren half.

Und nun hat Boukhrief, als hätte er nicht schon genug für das Medium getan, mit seinem dritten abendfüllenden Spielfilm auch noch einen brillanten Reisser abgeliefert, der aufgrund seiner intelligenten und kompromisslosen Machart allerortens schwärmerische Reminiszenzen an die geschätzten Thriller der '70er Jahre heraufbeschwört. Kein Wunder, finden sich doch wesentliche Elemente von CASHTRUCK, wie z.B. der traumatisierte Protagonist, das lebensfeindliche Umfeld und der genaue Blick für das soziale Milieu seiner Protagonisten bereits in einem der wichtigsten amerikanischen Filme der '70er: Martin Scorseses TAXI DRIVER. Sind es bei Scorsese noch die illusorischen zwischenmenschlichen Beziehungen, die für Travis Bickle erst im Laufe des Films zur Obsession und schliesslich zum Auslöser seines Amoklaufes werden, so bleibt Alexandre Demarre in CASHTRUCK von Anfang an nur noch seine persönliche Obsession. Soziale Interaktion findet, von Sticheleien unter Kollegen mal abgesehen, ausschliesslich in flüchtigen Begegnungen mit dem Zimmermädchen seiner Unterkunft statt; so entwickelt sich der Film über seinen grundlegenden Thrillerplot hinaus zu einer bedrückenden Studie urbaner Isolation. Obwohl sich die Charaktere ihrer Protagonisten, ihre Beweggründe und die Ursachen ihrer Traumata unterscheiden, sind doch beide Filme letztlich präzise beobachtete Zustandsbeschreibungen zerstörter Menschen, denen der Sinn in ihrem Leben brutal genommen wurde.

Im Gegensatz zur relativ geradlinigen und nüchternen Erzählweise, die Scorseses Meisterwerk an den Tag legt, blitzen bei Boukhrief jedoch gerade anfangs immer wieder kleine Momente voller Wärme in der deprimierenden Tristesse auf, in denen Albert Dupontel erneut souverän sein komisches Genie demonstriert. Überhaupt: Ob sich der Mann in einer Szene eben noch unbeholfen mit seiner Dienstwaffe vertraut macht (und dabei eine Gruppe Jogger den Schreck ihres Lebens beschert) oder kurze Zeit später in seinem schäbigen Hotelzimmer hockt und bitterlich weint, Dupontels Charisma und der Lebendigkeit seines Spiels kann man sich unmöglich entziehen. In den Szenen, die den Arbeitsalltag der lausig bezahlten und von Entlassung und Überfällen bedrohten Fahrer zeigen, darf dann auch der Rest des grossartigen Ensembles glänzen und natürlich gibt es einige Rückblenden, die knapp aber pointiert offenlegen, was Demarre antreibt...

Man kann Nicolas Boukhrief zu seiner zündenden Mischung aus Sozialdrama und eisenhartem Thriller nur gratulieren und angesichts seiner Pläne für die Zukunft (er möchte einen Horrorfilm und eine Komödie realisieren, nicht zwingend in dieser Reihenfolge) und aufgrund des ausserordentlichen Talents, das der Mann mit CASHTRUCK bewiesen hat, steht fest: Diesen Namen sollte man sich merken!











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