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Schon 1985 kursieren bei der berühmt-berüchtigten Produktionsfirma Cannon die ersten Pläne, die Marvel Comics-Figur Captain America zum Filmhelden zu machen. Menahem Golan kauft bei Marvel die Rechte, deren Lizenzkosten zu diesem Zeitpunkt noch nicht dem Stratosphären astronomischer Beträge komender Jahre schweben. Der Superheldenfilm soll erst 1989 mit Tim Burtons BATMAN seinen grossen Erfolgsschub erhalten, und bevor das passiert, setzt Cannon 1987 erst einmal mit SUPERMAN IV - THE QUEST FOR PEACE eine andere Franchise brutal in den Sand. Bei Marvel zeigt man sich zunehmend verärgert über die Tatsache, dass Golan immer noch die Filmrechte gehören und hofft wohl, deren Gültigkeitsdauer aussitzen zu können. Doch der windige Menahem weiss, dass er CAPTAIN AMERICA bald drehen muss, wenn er ihn überhaupt noch drehen will, und so kommt ihm das Interesse von Regisseur Albert Pyun - damals im festen Stamm von Cannon - gerade recht. Pyun, selbst Fan des rotweissblauen Comic-Patrioten, hat Stephen Tolkins Script gesehen und ist begeistert. Angesichts des drohenden Kollapses von Cannon überredet er Golan, den Stoff mit in seine neue Firma zu nehmen; so landet CAPTAIN AMERICA bei 21st Century, mit einem enthusiastischen Stan Lee sowie den Miesepetern von Marvel im Rücken - und einem unbeschriebenen Blatt namens Matt Salinger (in der Tat der Sohn von J.D. Salinger) in der Hauptrolle.
Denn aus den Namen, mit denen in den vorangegangenen Jahren jongliert wurde, ist nichts geworden, nicht aus Dolph Lundgren, nicht aus Arnold Schwarzenegger und nichts aus Val Kilmer, der lieber Jim Morrison spielte.
Aus den engagierten Plänen Pyuns für den Film wird auch nichts. Das Budget platzt sofort, der Drehplan geht in Rauch auf. Es gibt Drehtage, an denen Golan den Producer Tom Karnowski mit Koffern an dubiose Orte in verschiedensten Ländern schickt, um Cash für die Fortführung des Projekts zu sammeln. CAPTAIN AMERICA wird in Jugoslawien und in Italien gedreht , und was nicht on location gemacht werden kann, wird in Los Angeles nachgeholt; auch die Alaska-Shootings werden gestrichen. Ein geplanter 6 Mio.-Dollar-Etat wird runtergebrochen auf ein paar Kröten und die 3 Millionen Dollar, die Marvel zu spendieren bereit ist. Pyun muss in jeder Hinsicht improvisieren, insbesondere bei Effekten, Maske und dem generellen Volumen, das ein Film wie dieser einfach braucht. Am Ende sind die Marvel Studios extrem unzufrieden mit dem Ergebnis, während Stan Lee das Projekt immer noch lobpreist - was allerdings keine Rolle spielt. Der Film wird Pyun schließlich entzogen und so geschnitten, dass der Regisseur das, was ihn ursprünglich an dem Projekt reizte, nicht mehr darin wiedererkennen kann. Zwei Jahre liegt CAPTAIN AMERICA im Regal, bis er 1990 schließlich in die amerikanischen Videotheken gestellt und im Ausland vor leeren Kinosälen gezeigt wird. In Großbritannien etwa spielt der Film sagenhafte 11.000 Pfund ein.
Pyuns Werk verschwand in der Versenkung, doch nun, zum Start des viehisch teuren Marvel-Spektakels mit Chris Evans als Captain America, will MGM auch den alten Heuler wieder veröffentlichen. Doch vorher überrascht Albert Pyun selbst, der unlängst schon seinen Schnitt von CYBORG in sehr limitierter Auflage über seine Homepage verkaufte, mit dem Director's Cut seines CAPTAIN AMERICA. Diesen kann man nun bei ihm bestellen, für einen fairen Preis und mit einem Audiokommentar und einer neuen Fassung von LEFT FOR DEAD als Extras. Der Hauptfilm wurde von Pyun aus einem Workprint gebastelt, dem man ihm damals für das Verlassen des Projektes überliess, dementsprechend unterirdisch ist auch die Qualität der Kopie. Zu allem Überfluss ist das 16:9-Bild zum allergrössten Teil ein Fake; hier wurde einfach ein 4:3-Bild aufgezoomt und damit besonders gegen Ende des Films auf den einen oder anderen Kopf verzichtet.
Sehenswert ist das Ganze dennoch, denn in der Director's Cut-Fassung liegt Pyuns Schwerpunkt tatsächlich auf den tragischen Aspekten der Story. Der Film beginnt mit einer Szene, die Owen Gleiberman von Entertainment Weekly einst als "all wrong" bezeichnete, nämlich mit der Ermordung der Familie eines kleinen Jungen durch die Gestapo. (Was damals bei Comic-Verfilmungen offensichtlich noch fehl am Platze war, geht heutzutage völlig in Ordnung, wenn etwa der erste X-MEN-Film im Konzentrationslager beginnt.) Der kleine Junge wird entführt und in einem brutalen Experiment zum entstellten Red Skull gemacht, dem praktisch nur noch die Rolle des Antagonisten bleibt. Auf der anderen Seite steht Steve Rogers, der uramerikanische Sonnyboy, der sich vom Militär zum Supersoldier hochspritzen lässt und schon in seinem ersten Einsatz beinahe sein Leben lässt - getreu der Vorlage wird Captain America im ewigen Eis eingefroren, bis er in der Gegenwart (in diesem Fall den 90ern) zufällig entdeckt wird. Hier finden sich auch die grössten Unterschiede zur alten Schnittfassung, wenn sich nämlich Pyun die Zeit für die Erörterung des Seelenzustands eines Rückkehrers nimmt. Rogers ist völlig verloren im Amerika der Neuzeit, seine grosse Liebe ist verheiratet, der gute alte Colonel ist dement und die grossen Ideale wurden von anderen verwirklicht, die für ihre Ziele starben (Kennedy, King, Lennon) bzw. vom Red Skull beseitigt wurden (!).
Der Red Skull und seine Killermiezen (mit dabei: Francesca Neri) sind Cap schon auf den Fersen und gehen dabei ausgesprochen brutal vor. Spätestens hier hat Pyun deutlich gemacht, dass ihn ein Kiddie-Publikum, welches Captain America aus Sonntagmorgen-Cartoons kennt, nicht interessiert. In einem überschaubaren, aber nicht uncharmanten Finale kämpft Steve Rogers schließlich Seite an Seite mit dem US-Präsidenten (Ronny Cox) um die Zukunft der freien Welt. Die Spezialeffekte sind mitleiderregend, aber Pyun erstaunte 1990 in den (wenigen) Captain America-Actionszenen mit einem geradezu frenetischen Schnitt, der heute zeitgemäss und kraftvoll wirkt. Pyun wollte auch das berühmte Kostüm modifizieren, um es von seiner Lächerlichkeit zu befreien; doch so albern auch die weissen Flügel am Kopf des Helden aussehen, so originalgetreu ist sein Look. Der Comicfan hat hier kein Recht, sich zu beklagen - dieser Superhero sieht wirklich so aus, wie ein Captain America in der realen Welt aussehen würde.
Im Director's Cut kommt auch die Aufrichtigkeit, die Salinger einer fast unspielbaren Rolle schenkt, erst zur Geltung. Steve Rogers ist in dieser Fassung ein einsamer, aus der Zeit gefallener Mann; ein verlorener Held, dem Scott Paulin als Red Skull noch unter Tonnen von Maske einen wirkungsvoll verbitterten Antagonisten entgegen stellt. Der Rest der etwas überalterten Besetzung liefert mehr oder weniger Dienst nach Vorschrift; Cox, Ned Beatty und Michael Nouri geben sich auf jeden Fall mehr Mühe als Darren McGavin, dem schmalen Budget und widrigen Gegebenheiten zu trotzen. Albert Pyuns CAPTAIN AMERICA hat selbstverständlich jede Menge unfreiwillige Albernheiten zu überstehen, aber wie so viele Filme dieses Regisseurs hat er auch eine eigentümliche, irreale Atmosphäre - und den Mut, eine in ihrem Hurra!-Patriotismus so zweifelhafte Figur auf den gequälten Menschen dahinter runterzubrechen. Es ist klar, dass Marvel sich mit dem 2011er CAPTAIN AMERICA nicht auf ähnliche Ambivalenzen einlässt.
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