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CAPTAIN AHAB (Schweden/Frankreich 2007)

von Claudia Siefen

Original Titel. CAPITAINE ACHAB
Laufzeit in Minuten. 100

Regie. PHILIPPE RAMOS
Drehbuch. HERMAN MELVILLE . PHILIPPE RAMOS
Musik. PHILIPPE GRIVEL
Kamera. LAURENT DESMET
Schnitt. PHILIPPE RAMOS
Darsteller. DENIS LAVANT . DOMINIQUE BLANC . BERNARD BLANCAN . PHILIPPE KATERINE u.a.

Review Datum. 2008-04-23
Kinostart Deutschland. nicht bekannt

Die Arte-Coproduktion (und beim diesjährigen Filmfestival in Locarno für die Beste Regie ausgezeichnet) versetzt den 43jährigen französischen Regisseur schnell in Erklärungsnot: Nein, dies sei keine lange Version seines gleichnamigen Kurzfilms von 2003, jeder der beiden Filme stünde für sich selbst und sie hätten nichts, aber auch gar nichts miteinander zu tun! Gut, dass man dies erklärt bekommt. Dieser Film gehörte zunächst zu den Geheimtipps unter den Filmkritikern bei der diesjährigen Viennale, bis man ihn dann gesehen hatte... . Jeder verkniff es sich, ihn vor lauter Anspannung etwa schon einmal im Pressebüro auf DVD anzuschauen, um dann umso enttäuschter nach der Vorführung aus dem Kinosaal zu stapfen, oder schon nach den berühmten ersten 30 Minuten kopfschüttelnd zu gehen.

Die Idee: herrlich! Wunderbar! Darauf hat man wirklich gewartet, wie konnte man ohne diesen Film sein Leben fristen? Wer kennt nicht Herman Melvilles Roman "Moby Dick" und wer unter ihnen, der den Roman gelesen hat, liebt ihn NICHT? 1851 ist der Roman des amerikanischen Autoren erschienen und basiert auf reale Hintergründe insofern, dass 1839 ein weisser Wal vor der Küste Chiles sein wildes Unwesen trieb und deshalb von der Presse "Mocha Dick" genannt wurde. Melville ließ noch eigene Erfahrungen aus seiner Zeit als Harpunier einfliessen und beschäftigte sich mit der ewigen Sinnsuche für das eigene Leben. Vom Schreiben konnte Melville nicht leben und arbeitete ab 1866 in New York als Hafeninspektor. Ramos hat die geradezu sehnsüchtige Idee in Bild und Ton umgesetzt und man schimpft sich selbst, welche Geister man da herbeigerufen hat: erhörte Gebete sind die Schlimmsten! Nun genug der Aufregung und fahren wir fort mit den detailierten Gründen solchen Missmuts. Denn CAPTAIN AHAB bringt die einfache und doch so schwierige Idee zutage: was ist mit Kapitän Ahabs Jugendjahren? Was hat diesen verbissenen Charakter geformt? Im Roman gibt es angeblich ein paar Zeilen (die ich selbst immer noch nicht gefunden habe) zu seiner Kindheit und Ramos wollte dem Abhilfe verschaffen und anhand des Romans eine völlig andere Welt erschaffen: Ramos erklärt Ahab!

Zunächst einmal herrscht hier der Ärger über die Kadrierung: dem Film sieht man einfach jede Minute an, dass hier auf das Fernsehformat zugearbeitet wird, was auf einer Leinwand schnell verärgern kann. Die Psychologisierung Ahabs greift auf ein allzu bekanntes Muster zurück: die erste, natürlich unerwiderte grosse Liebe in zartem Alter von 11 zu einer erwachsenen Frau und der erste Eindruck davon, dass Liebe aufgrund körperlicher Unzulänglichkeit scheitert. Hier ist der Altersunterschied massgeblich. Die fehlende positive Vaterfigur, denn Ahab wird natürlich von seinem Vater geschlagen und dass seine Mutter bei seiner Geburt verstorben ist (Erbschuld!) gibt Ahab schon in seiner Kindheit das Gefühl von Heimatlosigkeit. Der Vater stirbt bei einem Duell und so wird Ahab zur streng religiösen und sehr reichenTante verfrachtet (soll hier heissen: die Dame nährt sich von ihrem religiösen Fanatismus) und als diese einen offensichtlich sadistisch veranlagten Herren ehelicht, der am zierlichen Ahab Gefallen findet, nimmt Ahab endlich Reißaus. Um dann selbst bei einem freundlichen Pfarrer zu landen, der aber auch insofern verwirrt ist, da er Ahab als ein Zeichen Gottes ansieht und ihn an sich ketten will. Ahab verschwindet wieder einmal, landet angeblich in einer Seemannsschule (was man nicht zu sehen bekommt) um sich fortan nur noch dem weiten Ozean zu widmen. Nach einer wilden Jagd auf einen weissen Wal begegnen wir Ahab wieder, diesmal als Erwachsenen (Lichtblick: Denis Lavant).

Wenn man dies alles noch milde belächelt hat begegnet uns hier im Hauptdarsteller aber das nächste Ärgernis: Ahab ist bei diesem Auftauchen bereits seines Beines entledigt, der Schauspieler besitzt aber (gottlob!) noch beide, und so werden alle möglichen Kamerawinkel und genügend Kostüm- und Szenentricks aufgefahren, um hiervon abzulenken. Das Bein, das eigentlich nicht da sein dürfte, wird nicht etwa Dank Computertechnik "ausradiert", nein, Ramos entschliesst sich aus den Winkeln zu drehen, aus denen das nach hinten geknickte Bein nicht allzusehr auffällt, oder er lässt Kamerafahrten entlang des nackten Ahabs einfach in Kniehöhe enden. Das strengt an, denn es lenkt die Aufmerksamkeit allzu heftigst und völlig unnötigerweise auf dieses Detail. Auf die Frage, warum er denn nicht Guillaume Depardieu mit dieser Rolle betraut hat (dieser ist ja seit 2003 "einbeinig") antwortet Ramos freundlich, dass es aus Geldmangel galt, einen strikten Drehplan einzuhalten und dass Depardieu hierzu bekannterweise nicht in der Lage sei.

Ramos findet in der ersten Hälfte des Films langsam in einen epischen Erzählstil, dessen Langsamkeit wohltuend ist und auch gekonnt erscheint. Und dann wird man wieder herausgerissen: mittendrin gibt es eine "fake-documentary" über Walfänger. Eine eindeutig weil gleichmässig eingefärbte Szenenfolge im ewig gleicen Braunton, sogar die Sprenkler (die altes Filmmaterial suggerieren sollen) tauchen immer wieder periodisch auf, die gezeigten Personen tragen moderne Haarschnitte und haben eindeutig vom Fitnessstudio gestärkte Leiber, aber nicht etwa von harter Seemannsarbeit! Nun ja, diese Szene geht auch vorbei, und vorbei ist es dann auch völlig mit dem eingeschlagenen Weg der ruhigen Erzählung: alles, was man aus dem Buch als Wiedererkennungseffekt benutzen könnte, taucht nun auf (Goldmünze an den Mast hämmern; Starbuck erzählt von seiner Begegnung mit Ahab etc.), um möglichst schnell zum Ende zu kommen: die Harpune wird ausgeworfen und Ahab greift in das sich abrollende Seil, um ins Meer gezogen zu werden und sich schliesslich am Körper des Wales festgekettet vorzufinden. Einzig der Schluss findet ein wenig zur Qualität der ersten 15 Minuten zurück: seine einzige Geliebte (Dominique Blanc als "Anna") bezeichnete sich in einem zärtlichen Gespräch mit Ahab als "Kreatur der Bäume", nachdem er davon gesprochen hatte, dass er das Meer so liebe: dass er sich als Kreatur des Meeres ansehe. Zum Schluss ist er also tot und sitzt nun mit starrem Blick inmitten eines sonnenhellen Waldes. Er ist heimgekehrt, zu ihr.

Soweit die Geschichte und immer noch der Ärger über den schlechten Bildschnitt, der nur allzu klar macht, dass hier aus Materialmangel Unmögliches an Schnitt und Gegenschnitt auf die Leinwand gebracht wird, dass es schmerzt. Bei einem Studentenfilm lässt man dies durchgehen und hofft auf bessere Zeiten, in denen solche simplen Fehler nicht mehr getätigt werden. Bei Ramos tut es einfach nur weh.











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