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CAMINO (Spanien 2008)

von Jenny Jecke

Original Titel. CAMINO
Laufzeit in Minuten. 143

Regie. JAVIER FESSER
Drehbuch. JAVIER FESSER
Musik. RAFAEL ARNAU
Kamera. ALEX CATALÁN
Schnitt. JAVIER FESSER
Darsteller. NEREA CAMACHO . CARME ELIAS . MARIANO VENANCIO u.a.

Review Datum. 2010-02-05
Kinostart Deutschland. nicht bekannt

Wer sich jemals vom goldenen Prunk eines katholischen Gotteshauses hat erschlagen lassen, bekommt womöglich eine Ahnung davon, welche Wirkung Javier Fessers CAMINO auf den Zuschauer haben muss. Vor der Erhabenheit kommt im Falle der in die Höhe schießenden Säulengänge, verzierten Altäre und des malerischen Martyriums Christi in der Regel ein Gefühl: Überwältigung. Alles auf einmal aufzunehmen, ist zunächst unmöglich, also tastet man sich langsam vor, von der Peripherie, den ausladenden Gemälden und Fresken in den Seitenschiffen, zum Zentrum, zum Altar. So ähnlich ist auch die Herangehensweise an CAMINO beschaffen. Unter all den vor Imagination platzenden Traumsequenzen, der hyperemotionalen Thematik eines an Krebs sterbenden Kindes und dem über dessen Schicksal hängenden dunklen Schatten des Opus Dei, irgendwo unter diesen filmischen Massen verbirgt sich ein Drama über eine Mutter, die ihre Tochter nicht ins Erwachsenenleben entlassen kann.

Camino (Nerea Camacho) ist ein lebenslustiges Mädchen, das mit ihren großen blauen Augen und ihrer Freundlichkeit zu allen Menschen die personifizierte Unschuld darstellt. Genau darin liegt das Problem, denn ihre Mutter Gloria (Carme Elias) ist bemüht, sie für immer in diesem Zustand zu erhalten. Anstatt sie den Tücken des Lebens auszusetzen, soll Camino sich genau wie ihre Schwester dem Opus Dei verschreiben. Als bei Camino Krebs diagnostiziert wird, scheint der Wunsch der Mutter auf zynische Art wahr zu werden und die Gottesmänner des Opus sehen ihre Chance gekommen, das Mädchen tatsächlich in ewiger Unschuld zu konservieren: durch eine Heiligsprechung der Totkranken.

Die Tatsache, dass Fessers Film auf wahren Begebenheiten beruht, ist zweitrangig. CAMINO kommt immerhin mit solcher Wucht, einem solchen Erzählreichtum daher, dass er ganz Fessers Werk wird, kein Dokudrama, keiner jener Tränenzieher, die sich sonst so das Etikett "basierend auf..." anheften. Fesser ist in erster Linie ein Rundumschlag von einer Religionskritik gelungen, der sich natürlich auf den Opus Dei bezieht, aber im selben Atemzug jedem institutionalisierten Fundamentalismus eine Abfuhr erteilt. Dabei betrachtet er die Gläubigen als Opfer und unwissentliche Handlanger. Während Gloria tatsächlich auf Gottes Hilfe hofft, als sie Camino in die Hände des Opus gibt, ist den Oberen des Laienordens von vornherein nur ein sterbendes Mädchen ein heiliges Mädchen. Dabei vermeidet der Film das Zerrbild der Fanatiker, zeichnet vielmehr die religiösen Autoritäten als stahlgraue, kalte Wand, deren Kontrolle und Entsagung jeglicher Freuden das Leben der Gläubigen zu umringen droht. Caminos liebevoller Vater (tatsächlich herzzereißend: Mariano Venancio) schaut dem wachsenden Einfluss dieser Autoritäten mit skeptischem Blick zu, doch kann er sich gegen Glorias tragische Verblendung nicht durchsetzen. Diese, vielschichtig von Carme Elias gespielt, ist keinesfalls eine Fanatikerin, sondern sucht im Prinzip - mit der Religion als Mittel - ihr Kind nicht zu verlieren. Sie verbietet ihrer Tochter die Teilnahme an einer Schulaufführung, fängt gar deren Briefe an ihren Schwarm ab, also flüchtet sich Camino vom Krankenbett aus in die farbenprächtige Fantasie einer Märchenwelt als Ventil ihres ungebrochenen Wunsches nach Leben. Doch auch in diese Träume dringt in Gestalt eines gewaltigen Engels die Bedrohung ein.

Überlebensgroß, ambitioniert und erhaben kommt CAMINO daher und Fesser, der virtuos auf der Klaviatur der Gefühle zu spielen weiß, hat mit diesem Film einen Paukenschlag des spanischen Kinos abgeliefert. Einen Film, dessen visuelle Pracht und komplexe Symbolik aller Voraussicht nach erst mit Hilfe mehrerer Besuche durchschaut und genossen werden kann.











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