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BURNING (Korea 2018)

von André Becker

Original Titel. BURNING
Laufzeit in Minuten. 148

Regie. LEE CHANG-DONG
Drehbuch. LEE CHANG-DONG
Musik. MOWG
Kamera. HONG KYUNG-PYO
Schnitt. KIM DA-WON . KIM HYUN
Darsteller. YOO AH-IN . STEVEN YUEN . JUN JONG-SEO . MUN SEONG-KUN u.a.

Review Datum. 2019-02-15
Kinostart Deutschland. nicht bekannt

Die Romane und Erzählungen des vielfach ausgezeichneten japanischen Autors Haruki Murakami (KAFKA AM STRAND) gelten gemeinhin als unverfilmbar. Versuche diese Missinterpretation aus der Welt zu räumen gab es dennoch. Jun Ichikawa verfilmte 2004 die Kurzgeschichte TONY TAKITANI, Tran Anh Hung (CYCLO) versuchte sich im Jahr 2010 an NAOKOS LÄCHELN. Wirklich überzeugen konnte keines der beiden Werke. Die Zeit ist insofern reif für einen Film der Murakamis literarische Poesie filmisch erfahrbar werden lässt.

Das südkoreanische Regietalent Lee Chang-Dong kommt mit BURNING der eigentümlich-surrealen Stimmung, die viele der Geschichten Murakamis prägen, sehr nahe. Und das obwohl die Verfilmung die Vorlage recht frei interpretiert. Die Short-Story SCHEUNENABBRENNEN, erschienen im Erzählband DER ELEFANT VERSCHWINDET umfasst knapp zwanzig Seiten. Der Regisseur übersetzt diese Seiten in ein annähernd zweistündiges Drama, das seine komplex ausgearbeiteten Figuren in einen Strudel rätselhafter Begebenheiten stürzt. Ein angenehm uneindeutiger Film.

Die Geschichte beginnt als der Twenty something Jong-su (Yoo Ah-in) durch Zufall auf eine alte Schulkameradin trifft. Hae-mi (Jun Jong-seo) scheint sich dabei sofort für ihn zu interessieren. Und das auf eine Weise, die über bloße Freundschaft hinausgeht. Jong-su wiederum erkennt seine ehemalige Mitschülerin zunächst gar nicht, landet dann aber doch in ihrem Bett. Kurze Zeit später bittet sie Jong-su um einen Gefallen, den er ihr (nun bereits von ihr hingerissen) nicht abschlagen kann. Während eines Auslandsaufenthalts soll er ihre Katze füttern. Diese ist zwar nie in der Wohnung anzutreffen, scheint aber dennoch ab und an dort zu verweilen. Oder ist sie vielleicht nur eine Erfindung von Hae-mi? Bereits hier streut Lee Chang-Dong erste Zweifel an dem Wahrheitsgehalt der Aussagen seiner weiblichen Hauptfigur. Nur was steckt dahinter? Und was bedeutet dies für Jong-su? Ohne zu spoilern sei so viel verraten: Unwichtig ist die wie auch immer geartete Existenz der Katze für den Fortgang der Handlung nicht.

Als Hae-mi schließlich zurückkehrt sind die Karten neu gemischt. Das einstige Verlangen zu Jong-su scheint dem Bedürfnis nach Freundschaft gewichen zu sein. Zudem tritt mit dem jungen Ben (Steven Yuen) eine neue Person auf. Ein Nebenbuhler? Oder doch eine harmlose Bekanntschaft, die sie während ihrer Zeit im Ausland kennengelernt hat? Für Jong-su bleiben die Gefühlswelten beider Personen verschlossen. Nur seine eigene Zuneigung zu Hae-mi scheint mit der Zeit weiter gewachsen zu sein. Noch bevor er es jedoch übers Herz bringt ihr seine Gefühle zu gestehen, passiert etwas Unerwartetes. Hae-mi ist plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Spurlos. Für Jong-su ist schnell klar: Irgendwie ist Ben darin verstrickt. Eine fieberhafte Suche nach Antworten beginnt.

BURNING ist ein Film über dunkle Geheimnisse, abgründige Begierden und die Suche nach dem Kern der eigenen Identität. Eine Suche, die vor allem Irrwege und immer neue Abzweigungen produziert. Lee Chang-Dong interessiert sich somit insbesondere für das, was zwischen den Zeilen steckt. In den untersten Schichten der Seele. Die Sehnsüchte, die darauf warten gestillt zu werden. Und die Konsequenzen, die dies haben kann. Oder eben nicht. Alles kann, nichts muss notwendigerweise passieren. In einer Schlüsselszene des Films gesteht der hipsterhaft und gleichzeitig biedermeierlich wirkende Ben seinem Gesprächspartner Jong-su das er heimlich alte, verfallene Gewächshäuser (in der Vorlage ist von Scheunen die Rede) niederbrennt. Und dies für ihn keineswegs mit einem schlechten Gewissen, sondern vielmehr mit tiefsitzender Befriedigung verbunden ist. Ein neues Ziel ist bereits auserkoren und liegt in unmittelbarer Nähe von Jong-su Haus. Nur welches Gewächshaus ist gemeint? Und wann wird Ben zur Tat schreiten? Aus dieser beständigen Unsicherheit zieht der Film seinen Reiz.

Niederbrennen, Abfackeln, das Alte dem Erdboden gleichmachen. Eine Obsession, die bereits im Titel des Films steckt und die auch Jong-su erfasst. "Nachts im Dunkeln denke ich manchmal an die niederbrennenden Scheunen" heißt es diesbezüglich treffend in der Short-Story. Fortan begibt sich Jong-su auf die Suche nach den möglichen Gewächshäusern und hadert selbst damit den Feuerteufel zu spielen. Beginnend mit dieser Suche, die mit dem Verschwinden Hae-mis zusammenfällt, schafft der Film Raum für die Darstellung der dunklen Flüsse in den Herzen seiner beiden männlichen Protagonisten. Während Jong-su schon sehr früh als Figur mit eher zweifelhaften Charaktereigenschaften gekennzeichnet wird (in Hae-mis Abwesenheit masturbiert er regelmäßig in ihrer Wohnung), ahnt man nun auch, dass hinter der schönseligen Fassade von Ben ebenfalls eine morbide, ja gefährliche, Seite schlummert.

Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass alle drei Hauptfiguren mehr gemeinsam haben als ihnen lieb ist. Es ist eine Verbindung, die auf eine Katastrophe hinsteuert. In einer Welt, die letztlich nur Einsamkeit und Trugbilder kennt. Mit der Verlegung der Story nach Südkorea füttert Lee Chang-Dong sein urbanes Drama zusätzlich mit beißender Kritik an den glattpolierten Oberflächen einer jungen Oberschicht, die ihr Geld mit zweifelhaften Geschäften erwirtschaften, deren Inhalte niemand so recht verstehen mag. Da Jong-su nicht als positives Gegenbeispiel taugt und Hae-mi ebenso wenig greifbar bleibt, zeichnet BURNING eine nihilistische Grundierung aus, die den Film in dieser Hinsicht dann doch ein Stück weit von der Literatur Murakamis abgrenzt, die trotz gelegentlicher Düsternis immer das Helle und Schöne betont.

Nichtsdestotrotz findet man in dem offiziellen Oscaranwärter Südkoreas viel Murakami wieder. Sei es das sukzessive Einsickern immer neuer ungeklärter Fragen und Rätsel, die detaillierten Betrachtungen alltäglicher Verrichtungen oder die vielen weiteren Motive aus dem literarischen Kosmos des Autors (ein alter Brunnen wird ebenfalls aufgegriffen etc.). BURNING ist ein Film der tief in die Herzen seiner Protagonisten blickt. Figuren, die allesamt auf ihre je eigene Art und Weise Verlorene sind. Ein Triumpf des südkoreanischen Kinos, das gleichzeitig berührt und verstört. Meisterhaft.











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