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ASSAULT ON WALL STREET (USA 2011)

von Benjamin Hahn

Original Titel. BAILOUT: THE AGE OF GREED
Laufzeit in Minuten. 97

Regie. UWE BOLL
Drehbuch. UWE BOLL
Musik. JESSICA DE ROOIJ
Kamera. nicht bekannt
Schnitt. nicht bekannt
Darsteller. DOMINIC PURCELL . ERIN KARPLUK . EDWARD FURLONG . JOHN HEARD u.a.

Review Datum. 2013-07-08
Kinostart Deutschland. direct-to-video

Vielleicht tut man Uwe Boll seit Jahren Unrecht. Vielleicht ist er gar kein so schlechter Regisseur, sondern ein recht gewiefter. Vielleicht sind etliche seine Filme nur deshalb so schlecht, weil sie rein kommerziell gedacht sind, weil ihnen das Herzblut fehlt und aus ihren Mängeln die Verweigerungshaltung spricht, sich für reine Auftragsarbeiten irgendwelche Mühe zu machen. Diese Schlüsse mögen wenig Zustimmung finden, aber betrachtet man die Qualität der Filme, die Uwe Boll laut eigener Aussage wirklich am Herzen lagen, ist diese Vermutung nicht so leicht von der Hand zu weisen. Nachweisen kann man das z.B. an BAILOUT: THE AGE OF GREED, dessen deutscher Verleihtitel ziemlich doof mit ASSAULT ON WALL STREET "übersetzt" wurde. Dieser Film ist nämlich ein überraschend guter - auch wenn der Inhalt anderes vermuten lässt.

Jim, ein bei einem Sicherheitsdienst beschäftigter Muskelprotz, verliert im Zuge der Finanzkrise seine Kapitalanlagen. Bedingt durch die Geldprobleme muss seine Frau eine dringend notwendige medizinische Behandlung abbrechen. Während sich das Drama für das Paar immer weiter zuspitzt, durchleben die Bänker die Krise fast ohne Schaden. Irgendwann kann Jim die Ungerechtigkeit nicht mehr ertragen und wendet sich einer mörderischen Selbstjustiz zu.

Selbstjustiz und Uwe Boll? Das klingt nicht gerade nach einem anspruchsvollen Film. Und doch: Boll unterläuft die Erwartungshaltung seines Publikums und präsentiert einen Film, der überraschend viel Zeit für die Psychologisierung seiner Charaktere und den Aufbau einer richtigen Narration aufwendet. Über weite Strecken wirkt BAILOUT: THE AGE OF GREED zwar nicht gerade wie ein Meisterwerk, aber immerhin wie ein solides Familiendrama. Selbst als der von Dominic Purcell gespielte Jim dann endlich zur Waffe greift, gelingt es dem Film zunächst noch den Akt der Selbstjustiz als handlungslogisch und psychologisch folgerichtig darzustellen. Doch leider übernimmt ganz zum Schluss wieder der Trash-Onkel die Vorherrschaft und Boll beginnt sich zusehends im Massaker zu verlieren. Dann verliert er das Gespür für die Stärke der Zurückhaltung und zelebriert - ästhetisch gewollt, aber nicht gekonnt - eine blutige Massenhinrichtung.

Die Botschaft ist klar: Kein Bänker, egal wie groß oder klein, soll sich mehr sicher fühlen. Das Problem: Die kleinen Bänker sind letztlich auch nur willenlose Rädchen im System und machen damit nichts anderes als das, was auch Jim, der Beschützer von Werttransporten, gemacht hat. Diese Menschen zu töten ist unfair, denn anders als der Tod der großen Bosse und Entscheider wird der Massenexodus der kleinen Zahnräder nichts am System selbst ändern. Er wird nur den Platz für neue, frischere Rädchen schaffen. Genau den Punkt aber versteht Boll nicht. Für ihn sind Bänker per se eine Klasse ohne Gewissen und schuldig ohne Anklage und faires Verfahren. Damit aber macht er es sich zu einfach und bricht ein kompliziertes und durchaus auch faules System herunter auf ein stumpfes Stammtischniveau. Die da oben sind die Bösen, die miteinander Verschworenen, wir hier unten die Guten und Unterdrückten und irgendwer muss sich endlich ein Herz fassen und mit dem ganzen Sauhaufen da oben abrechnen. In diesem Sinne ist BAILOUT: THE AGE OF GREED ein knallharter Propagandafilm. Weder richtig links, noch rechts verortet, will er dem vereinten Volkszorn eine Stimme der Vergeltung geben.

Für ihn selbst mag das eine Reinigung von seiner eigenen Wut sein, ein Abbau der Aggressionen durch den symbolischen Mord auf der Leinwand. Was aber, wenn sich jemand die Botschaft des Films zum Vorbild nimmt? Natürlich kann man jetzt verweisen auf die Freiheit der Kunst und die Eigenverantwortlichkeit der Rezipienten, wie es Veit Harlan 1949 vor Gericht tat. Aber Bolls Film ist letztlich emotional so geschickt aufgebaut und präsentiert seine eigene Geisteshaltung als die ultima ratio, dass man ihm zumindest eine Teilverantwortung unterstellen könnte, sollte sich jemand BAILOUT: THE AGE OF GREED zum Vorbild nehmen.

Dass Boll in Wahrheit durchaus differenzierter denkt und juristisch weniger belastbare Lösungen für die Finanzkrise parat hält, verrät der Film nicht. Das ist sein großer Nachteil und sein Versäumnis. Dabei hätte Boll am Ende nicht einmal auf das Gesplatter verzichten müssen. Mit einer Konzentration einzig und allein auf diejenigen, deren Schuld die größte ist, wäre der Film bereits wesentlich weniger stumpf geworden. So aber ist es wieder nur eine der Bollschen Vigilantengeschichten geworden, in denen am Ende die pure Gewalt siegt. Angesichts eines fast durchweg gut geschriebenen, gut gespielten und überraschend gut inszenierten Films darf man das wohl als eine Fehlentscheidung verbuchen. Schade.

ASSAULT ON WALL STREET ist ab dem 27.09. von Splendid auf DVD & Blu-ray erhältlich.











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