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APOCALYPTO (USA 2006)

von Martin Eberle

Original Titel. APOCALYPTO
Laufzeit in Minuten. 140

Regie. MEL GIBSON
Drehbuch. MEL GIBSON . FARHAD SAFINIA
Musik. JAMES HORNER
Kamera. DEAN SEMLER
Schnitt. KEVIN STITT . JOHN WRIGHT
Darsteller. RUDY YOUNGBLOOD . DALIA HERNANDEZ . JONATHAN BREWER . MORRIS BIRDYELLOWHEAD u.a.

Review Datum. 2006-12-10
Kinostart Deutschland. 2006-12-14

Der mittelamerikanische Dschungel. Ein Blätterwald, sonnenbeschienen. Ein Schmetterling huschelt friedlich durchs Bild. Aber nicht mehr lang, denn das hier ist ein Mel Gibson-Film. Der Frieden kann nur von kurzer Dauer sein, gleich gibt's Blut.

Und richtig, mit einem verzweifelten Quieken hetzt ein Tapir durchs Gebüsch, hin und her gejagt, endgültig zur Strecke gebracht von einer fiesen Schnappfalle, die für den ersten Gore-Moment sorgt. Dann folgt die Zerteilung des sympathischen Unpaarhufers. Auch ein kleiner Gore-Moment. Die Jagdgesellschaft ist trotzdem sympathisch, edle Wilde, die sich mit kleinem Schabernack lustig halten.

Diesen putzigen Waldbewohner stellt Gibson die rüden Stadtbewohner entgegen, Mayas, die um ihre Opferpyramiden und Sklavenmärkte am Laufen zu halten, im Regenwald nach Nachschub stöbern. Das paradiesische Idyll wird von ihnen brutal zerstört.

APOCALYPTO ist ein mutiger Film. Es ist kein Sequel, kein Prequel und kein Remake, ganz aussergewöhnlich also für dieses Kinojahr. Und Gibson hat sich dafür entschieden, wie bei DIE PASSION CHRISTI die Sprache der damaligen Zeit zu benutzen. Die Dialoge werden untertitelt. Sehr spröde also für ein tendenziell bequemes Publikum.

Dieses pseudoauthentische Moment passt ganz phantastisch in diesen Film. Die Sprache klingt einfach schön und lenkt nicht ab von den ausdrucksstarken Gesichtern der Schauspieler, viele von ihnen Laiendarsteller.

APOCALYPTO ist ein unausgegorener Film. Hätte nicht Gibson diesen Film gemacht sondern ein anders Besessener wie sagen wir mal Jean-Jaques Annaud, der ja ähnlich penibel auf historisch korrekte Umstände achtete, es wäre einfacher, den Film einzuordnen, ihn als FILM zu mögen oder zu verachten. Denn Gibson ist ja nicht einfach irgendein Regisseur. Er ist ein religiös beseelter Jesusverehrer. Als solcher hat er sich auf kalifornischen Highways schon mal antisemitisch geäußert und im Kino dem Messiastopos einige seiner blutrünstigsten Momente nach den Kreuzzügen beschert. Schon BRAVEHEART war, als Messiasgeschichte angelegt, voller alttestamentarischer Grausamkeiten, DIE PASSION CHRISTI sowieso. Es ist schon faszinierend, was für feuchte Splatter- und Goreträume solch ein bibelfester Jesusfreak in sich trägt.

Nun sollte man ja Künstler und Text voneinander trennen. Bei Gibson fällt das schwer, gerade weil sein Ouevre als Regisseur so wunderbar zu seiner religiösen Gesinnung passt. Deshalb auch das ständige Misstrauen: was sehe ich gerade, was will der Mann mir da gerade unterjubeln?

Bei APOCALYPTO scheint der Missionar Gibson in den Hintergrund zu treten. Aber trauen darf man den Darstellungen nicht. Zu viel ist ungewiß über die Zeit der Maya und die Gründe für deren Untergang. Weil Gibson sich aber so sicher gibt, ist der Film voller ideologisch suspekter Momente.

So ist der schwächste Moment des Films die Darstellung der Stadt. In einem unübersichtlichen Gewusel von Not, Dekadenz und Sündigkeit geht jede Nuance hoffnungslos unter. Dieser undifferenzierte Moloch passt besser in die Weltsicht eines nordamerikanischen Provinzpredigers als in einen Film mit historisch korrektem Anspruch. Kein erhellender Moment über die Gesellschaft, die Menschen, die dort leben, nur reines Sündenbabel ohne jede Struktur. Hier spürt man den Regisseur, der aus tiefstem Herzen alles urbane verachtet und in der Stadt nur das Sündenbabel sehen kann, das er dem einfachen ehrlichen Leben in der ruralen Welt plump entgegensetzt.

Das ist symptomatisch für den Film. Die Momente sind unglaublich stark, solange die Kamera nahe bei den Menschen ist. Hier drücken kurze Augenaufschläge, Blicke, Berührungen so viel Gefühl aus! Liebe, Hass, Furcht, man ist ganz nah dabei.

Sobald es aber allgemeiner wird, verliert sich der Film in Stoffeligkeiten, in Albernheiten, in Dünkel. So werden schöne, intime Momente lapidar verschenkt, während Ideologien (zum Glück nur knapp) angerissen werden und Unwahrscheinlichkeiten (das chase-movie ab der zweiten Hälfte des Films, bei dem der MARATHON MANN vor Neid erblassen würde) stumpf durchgezogen werden.

Trotz unglaublich schöner Aufnahmen und der phantastischen Darsteller, APOCALYPTO ist nichts rechtes, kein christlicher Fisch, kein sündiges Fleisch. Schade, denn Gott liebt es entweder heiß oder kalt, den hingebungsvollen Jünger oder den verlorenen Sohn. Nur lau findet er scheisse. So wie jeder normale Kinogänger.











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