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ABSOLUTE EVIL (Deutschland/USA 2009)

von Björn Lahrmann

Original Titel. ABSOLUTE EVIL
Laufzeit in Minuten. 80

Regie. ULLI LOMMEL
Drehbuch. ULLI LOMMEL
Musik. ROBERT J. WALSH
Kamera. JONATHAN RISINGER
Schnitt. CHRISTIAN BEHM . BRIAN LOPIANO . FRANK SCHÖNFELDER
Darsteller. DAVID CARRADINE . CAROLYN NEFF . RUSTY JOINER . CHRISTOPHER KRIESA u.a.

Review Datum. 2010-04-04
Kinostart Deutschland. direct-to-video

Der Ulli kann sich offenbar selbst gut leiden. Vor seinen neuen Film hat er mit bewundernswerter Dickärschigkeit Archivaufnahmen von der Berlinale '68 platziert, wo er und Fassbinder (nicht umgekehrt) für LIEBE IST KÄLTER ALS DER TOD zerruppt und ausgepfiffen worden waren, was heute ja irgendwie lustig ist, weil: ey, das is Fassbinder!! ULLI LOMMEL, steht dann plötzlich in sehr großen weißen Buchstaben auf der Leinwand, dazu läuft ein Clip aus besagtem Film, wo er als schöner junger Mann zu sehen ist, mit Trenchcoat und Stetson und Sonnenbrille, wie Bogart oder Delon, nur, dass die niemals so große Buchstaben vom Ulli bekommen hätten. Dass Fassbinder in seinen paar Jährchen 40 Filme gedreht hat, steht dann da, und dass der Ulli bis heute ungefähr genauso viele Filme gedreht hat, was wohl irgendwie eine ziemlich beeindruckende Parallele sein soll (wobei ich jetzt nicht unbedingt BERLIN ALEXANDERPLATZ gegen DANIEL DER ZAUBERER aufrechnen wollen würde). In einem anderen Ausschnitt sieht man noch ganz kurz Peter Berling, der damals bloß mitteldick war und überhaupt keine Augensäcke hatte, was eigentlich nichts zur Sache tut, außer, dass es vielleicht überraschender ist als alles, was danach kommt.

Es kommt: ABSOLUTE EVIL, der mit weiterhin erfrischender Dreistigkeit "to RWF" gewidmet ist, sich aber als genauso ungeschlacht zusammengezimmerter DV-Megatrash entpuppt wie Ullis gesammeltes Oeuvre der letzten Jahre. Zwei sind da auf der Flucht durch Texas, sie heißen Savannah und Babyface, tragen coole Hüte und fahren eine schwarze Limousine aus den 70ern. Sie checken in ein Motel ein, werden dabei von ein paar finstren Gesellen beobachtet, schnell kommen allerlei Knarren zum Vorschein, und am Ende ist Babyface tot. Dann beginnt der Film durch Zeit und Raum zu hüpfen, als hätte er einen Flux-Kompensator verschluckt: In New York lauert ein knurriger Privatdetektiv namens Beauregard einem der finstren Gesellen auf, lässt ihn von seinem Handlanger Rick (Ulli himself!) unter Wasser drücken und schnauzt immer und immer wieder, "Who killed Babyface?" – was Anlass zu allerlei Rück- und Vorblenden und Parallelgeschichten gibt, die wiederum all over America statt finden. Eine davon involviert sogar David Carradine, der die Bibel liest und Flöte spielt.

Es ist, mit anderen Worten, Ullis erbärmlicher Versuch, sich ein Stückchen von der großen Post-Tarantino-Zitatenkino-Torte abzuknapsen, serviert mit einem dicken Schlag abgelaufener Americana-Sahne: Tankstellen, Güterzüge und grandios hässliche Pixelpanoramen des Great Wide Open replizieren die sattsam bekannte europäische Fetischisierung von USArtefakten und gerinnen im unscharfen Digitalbild zu einer mit Urin geschmierten Liebeserklärung an God's Own Country. Der Plot ist reines Noir-Versatzstückwerk: Einst hat Baby Face Savannahs Vater umgebracht, sich Jahre später unwissentlich in sie verliebt, was sie dann irgendwie spitz kriegt und ihm auch sofort verzeiht, aber leider versäumt, dies den finstren Gesellen mitzuteilen. Spannend oder unterhaltsam ist das alles mitnichten, zumal das Ende ja ohnehin von Anfang an bekannt ist. Mit Ausnahme des stets granatencoolen Carradine muss man über die Darsteller nicht reden, die sind dermaßen hölzern, dass sogar ihre echten Akzente fake klingen, und wenn Beauregard und Rick am Ende über die Definition des absolut Bösen zu philosophieren beginnen, bleibt kein Auge trocken. Dass kein Geld für Actionszenen da war, ist beinahe ein Segen, wenn man mit ansehen muss, wie krude und unbeholfen die Regie den einzigen Shoot-out des Films (mit CGI-Mündungsfeuer!) vermasselt.

In aller Form gewarnt und gewettert habe ich jetzt aber genug; kommen wir, kurz und hoffentlich nicht allzu ermutigend, zu einer winzigkleinen Ehrenrettung – denn vollends uncharmant fand ich ABSOLUTE EVIL letztlich nicht. Das hat weitestgehend mit der Carradine-Figur zu tun: Er spielt Raf McCane, einen gebrechlichen alten Gangsterboss, der am Fuße einer tiefen Schlucht ein Eremitendasein führt. Pro forma hält er zwar immer noch alle Fäden in der Hand, zieht aber nicht mehr an ihnen: Er hat sich mit der Welt längst arrangiert und predigt Vergebung, auch denen, die sich von ihm Rat in Sachen Babyface erbitten, auf den sie später dann doch nicht hören werden. Seltsame Leerstellen tun sich um McCane auf: zentrale Gespräche, bei denen der Ton ausgeblendet wird, auf halber Strecke abgebrochene Hintergrundgeschichten in einem Film, der sonst immer alles doppelt erzählen muss. Ist das einfach nur ein weiteres Beispiel für handwerkliches Unvermögen oder ein tatsächlich formal reflektierter Abgesang auf das eigene Genre, dessen ausgediente Mechanismen nur noch in eine dumpfe Dauerschleife und somit, wie der Film selbst, gähnend ins Leere laufen? Ich wage das weder zu behaupten noch zu bestreiten, kann den Eindruck aber nicht ganz abschütteln, dass diese Passagen ABSOLUTE EVIL mit einer seltsam abgeklärten Melancholie anreichern; einer Wehmut darüber, dass etwas, was einmal so schön funktioniert hat, irgendwann, plötzlich und unmerklich, den Geist aufgegeben hat.








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