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BLUT MUSS FLIESSEN - UNDERCOVER UNTER NAZIS (Deutschland 2012)

von Benjamin Hahn

Original Titel. BLUT MUSS FLIESSEN - UNDERCOVER UNTER NAZIS
Laufzeit in Minuten. 86

Regie. PETER OHLENDORF
Drehbuch. PETER OHLENDORF
Musik. MICHA LEGOV
Kamera. PETER OHLENDORF . THOMAS KUBAN
Schnitt. STEFAN GANTER
Darsteller. THOMAS KUBAN u.a.

Review Datum. 2012-08-31
Kinostart Deutschland. nicht bekannt

Der Zeitpunkt hätte nicht besser sein können: Drei Monate nach Bekanntwerden der rechtsextremen Terrorgruppe NSU hatte auf der Berlinale eine Dokumentation zu rechtsradikaler Musik in Deutschland Premiere. BLUT MUSS FLIESSEN - UNDERCOVER UNTER NAZIS heißt der Film von Thomas Kuban (Pseudonym) und Peter Ohlendorf, der im Zeitraum von viereinhalb Jahren entstand und bis heute immer noch nicht refinanziert ist, weil sich keine Filmförderung, kein öffentlich-rechtlicher Sender und keine Stiftung imstande sah, die Produktionskosten des Films - auch nicht nachträglich - zu übernehmen.

Angesichts seines Inhalts keine verwunderliche Situation, denn das Thema Rechtsradikalismus, das über Jahre hinweg eher "unter ferner liefen" abgeheftet worden war, fand erst mit dem Medieninteresse am NSU und der kollektiven Empörung über die Versäumnisse der Behörden zurück in den Fokus der Öffentlichkeit. Doch auch jetzt hat sich die Situation für die Filmemacher nicht grundlegend geändert, denn offenbar beschränkt sich das Interesse der Bürger und Sender auf Attentate, Terrorgruppen und die NPD, umfasst aber nicht den alltäglichen Nazi und schon gar nicht den biersaufenden Proll, der am Wochenende zu konspirativ organisierten Konzerten fährt um dort gemeinsam mit Gleichgesinnten Lieder über den Holocaust zu singen. Genau darum aber geht es in BLUT MUSS FLIESSEN - UNDERCOVER UNTER NAZIS: Um eine Musikszene, die es so eigentlich gar nicht in Deutschland geben dürfte, würden die Behörden durchgreifen. Weil dort Texte gesungen werden, die in Deutschland verboten sind und Menschen Meinungen gröhlen, die in Deutschland unter Strafe stehen. Bilder aus dieser Szene sind rar. Sie entstehen zuweilen unter Lebensgefahr, denn diese Szene und ihre Angehörigen öffentlich zu machen, wird in ihr als Hochverrat gewertet und entsprechend bestraft.

So ist BLUT MUSS FLIESSEN - UNDERCOVER UNTER NAZIS nicht nur eine Dokumentation über Nazi-Rock, sondern auch eine über die Produktionsbedingungen von Undercover-Reportagen. Denn Kuban muss nicht nur einen organisatorischen Aufwand betreiben, um unentdeckt zu bleiben, sondern auch einen technischen: "bewaffnet" mit Minifestplattenrecorder, Akkus und Knopflochkamera fühlt sich Kuban, so beschreibt er es selbst im Verlauf des Films, wie eine "wandelnde Kabeltrommel". Mit all dieser Technik am Körper über Jahre der Undercover-Drehs nicht aufzufallen, das ist schon eine Leistung. Doch Vorsicht ist nicht nur auf dieser Ebene geboten, auch der Film selbst muss ständig darauf achten, dass er Kuban nicht aus Versehen enttarnt - und so greift Regisseur und Autor Peter Ohlendorf dann auch zwangsweise zu einem Mittel, dass den Film angreifbar macht: Die Verzerrung der Realität in Form von Veränderung des Aussehens und der Sprache Kubans. Daraus aber entsteht ein Problem, das besonders dann zutage tritt, wenn der Zuschauer mit Szenen konfrontiert wird, in denen Kuban persönlich auftritt. Die verfremdete Stimme, die viel zu große Kleidung, die Perücke, die immer wieder prominent ins Bild gerückte Ray-Ban-Brille des angeblich klammen Journalisten: Der aus der Nähe aufbauenden Ich-Perspektive erzählte Film will auf gar keinen Fall Zweifel an der Authentizität des Materials aufkommen lassen, doch die merkwürdig anmutende Kunstfigur, die mehr an Mickie Krause erinnert als an einen seriösen Journalisten sät erst genau dadurch welche.

Nicht minder ärgerlich ist die Konzentration auf die harten Rechtsrockkonzerte und damit einer Szene, die nicht so leicht zugänglich, die vorsichtig und konspirativ ist. Zwar ist jene Szene auch genau aus diesen Gründen besonders faszinierend, aber sie ist auch eine, in der der Rechtsradikalismus am offensichtlichsten ist und am unverhohlen zur Schau gestellt wird. Vielleicht ist dieser Szene deshalb ein bestimmtes Gewaltpotential inhärent, aber das weitere Radikalisierungspotential dürfte angesichts ihrer eh schon radikalisierten Angehörigen gering ausfallen Dabei ist es längst kein Geheimnis mehr, dass der Einstieg in rechte Musik und das entsprechende Gedankengut an anderer Stelle geschieht, dort wo subtiler vorgegangen wird, eindeutige Symbole und Zeichen als Provokation verkauft werden. Eine dieser Musikszenen, bei der es immer wieder zu einer problematischen Vermischung rechter Elemente und scheinbar harmloser Provokation kommt, ist die des Neo-Folk.

Das Muster der Verteidigung ist dabei immer ähnlich: Zwar nutzen die entsprechenden Bands fast durchweg nationalsozialistische Versatzstücke, schaffen es aber immer wieder durch oberflächliche Distanzierungen zum NS-Regime als provokante, aber letztlich unbedenkliche Bands wahrgenommen zu werden. Und den Kritikern am Umgang der Bands mit eindeutigen Codes wird mangelndes Verständnis für die künstlerischen Dimensionen von Rebellion unterstellt. Doch diese Szene, die auf vielen Festivals alternativer Musik in Europa offen vertreten ist und eine erste Schnittstelle zwischen Jugendlichen und rechter Ideologie sein kann, spielt in BLUT MUSS FLIESSEN - UNDERCOVER UNTER NAZIS keine Rolle. Ebenso wenig scheint Kuban zu bemerken, dass manch Vertreter aktueller Industrial-Musik harte Militarismuspropaganda mit nationalistischer Färbung fährt und sich Fans heranzüchtet, die zu Konzerten oder entsprechenden Parties auch schon mal in stilisierter SS-Uniform anreisen. Darüber hätte man in einer solchen Dokumentation reden müssen und nicht bloß über das offensichtliche.

Selbst Black Metal, der auch nicht gerade unschuldig ist, wenn es um Rechtsradikalismus geht, wird in einem Nebensatz abgehandelt und die Fußball-Hooliganszene mit ihren einschlägig bekannten Bands wird erst gar nicht erwähnt. Zwar gibt es im letzten Drittel einen kurzen Abschnitt über Rechtsrock in Ungarn, der weniger hart und damit massenkompatibler ist als jener aus den deutschsprachigen Ländern, aber hier ergeht sich Kuban lediglich in einer spekulativen Andeutung zum Zusammenhang zwischen Rechtsrock und gesellschaftlichem Rechtsruck. Erklärungen oder wirklich tiefergehende Analysen sucht man auch hier vergebens.

So ist die Dokumentation nicht mehr als die Bestandsaufnahme einer Sparte rechter Subkultur, die nicht geeignet ist um Wege in diese Szene nachvollziehbar zu machen. Nein, eigentlich ist er nicht einmal eine Bestandsaufnahme, denn dazu fehlen Informationen über Größe der Szene, Summe der Konzerte, Anzahl der Bands und Profil ihrer Angehörigen. Überhaupt ist der Film erstaunlich desinteressiert an den Menschen in dieser Szene und konfrontiert den Zuschauer letztlich nur mit Offensichtlichkeiten: Für die Information, dass Nazis Nazilieder hören und ihre Konzerte vor der Öffentlichkeit geheim halten wollen, reicht auch schon ein Blick auf antifaschistische Internetseiten, dafür braucht es keinen gesonderten Film.

Weitaus interessanter als die Aneinanderreihung von diversen Konzerten, der Selbstinszenierung des Journalisten Kuban und gelegentlichen Hinweisen darauf, wo die Behörden wegschauen und wo nicht, wäre die Frage danach gewesen, wie und aus welchen Gründen Menschen in diese Szene gelangen - die im Film angedeutete Erklärung, dass in vielen Gemeinden die Nazis die Lücken geschlossen hätten, die durch die Sparmaßnahmen der Politik entstanden seien, ist eine gern vorgebrachte, aber auch eine recht dürftige. Und wenn als einziges Gegenangebot zu rechten Veranstaltungen das entgegengesetzte politische Spektrum in Form eines Punkkonzerts genannt wird, dann fasst man sich schon an Kopf und fragt nach den reflexiven Fähigkeiten der Filmemacher.

Gerade angesichts der übermaskulinen Selbstdarstellung der Besucher der Rechtsrock-Konzerte bieten sich zahlreiche alternative Erklärungen an, angefangen bei den traditionellen Geschlechterkonstruktionen, denen die zunehmende Auflösung der Geschlechter in der gesellschaftlichen Realität gegenübersteht. Rechtsrock verkauft seinen Zuhörern eine konservative, heile Welt mit einfachen Lösungen für komplexe Probleme. Muss eine folgerichtige Frage da nicht lauten, ob der Rechtsrock nicht bestimmte Bedürfnisse nach einer scheinbar idealen Welt stillt? Und falls dem so ist, gibt es Möglichkeiten, dieses Bedürfnis auch weltanschaulich neutral zu stillen? Doch auch darüber macht der Film sich keine weitergehenden Gedanken und liefert damit im Endeffekt ein schwaches Bild ab. Ohne die Rechercheleistung von Thomas Kuban schmälern zu wollen, aber letztlich ist der Informationsgehalt dieses Films auch nicht höher als jener der TV-Beiträge von PANORAMA (NDR) und anderer Magazine, zu denen er das Bildmaterial geliefert hat.

Spätestens nach dem dritten, heimlich gefilmten Konzert wünscht man sich nichts sehnlicher als endlich mal eine Biographie der Konzertbesucher, der Bands, der Organisatoren. Wer sind all diese Menschen? Wo kommen die her? Warum machen die das? Fragen, deren Beantwortung der Film schuldig bleibt. Dass er stattdessen vollkommen unkritisch Antifa-Hacker zu Wort kommen lässt, die Neonazi-Portale angreifen und illegal beschaffte Kundendaten öffentlich machen um so die Betroffenen im Internet anzuprangern, ist eine weitere problematische Entscheidung.

So kulminiert am Ende alles in der Frage, was dieser Film eigentlich erreichen möchte. Aufklärung bietet er kaum, Strukturen aufdecken will er nicht, das Phänomen Rechtsrock als Mainstreambewegung erklären kann er nicht. Bliebe einzig das "aufmerksam machen" übrig. Ja, das gelingt dem Film. Mehr aber auch nicht. Und dabei ist es gar nicht mal so, dass Kuban diese Informationen nicht liefern könnte. Tatsächlich gibt es mehrere lesenswerte Interviews mit ihm zum Thema, wie z.B. bei getaddicted.org. Dass man sich aber all dieses zusätzliche Wissen außerhalb des Films anlesen muss, weckt den Eindruck, Kuban und Ohlendorf hätten aufgrund ihrer finanziellen Situation einen schlechten Schnellschuss produzieren müssen, der inhaltlich fast vom Fleisch fällt. Vielleicht aber ergibt sich ja jetzt - durch das gesteigerte Medieninteresse - die Möglichkeit, dass dieser Film als Beilage zu einem sauber recherchierten Buch erscheint. So aber, als reiner Dokumentarfilm ohne Begleitmaterial, ist er ehrlich gesagt aufgrund seiner dürftigen Erkenntisse doch reichlich verzichtbar.






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